Auch wer Streit mit seinen Nachbarn hat, darf sie nicht elektronisch überwachen. Das Amtsgericht München hat eine Mieterin dazu verurteilt, ihren elektronischen Video-Türspion abzumontieren. Die Aufzeichnung von Bewegungen im Treppenhaus verletze das Persönlichkeitsrecht der Mitmieter, stellte das Gericht fest.
Die Münchnerin bewohnt die Erdgeschosswohnung in einem Mietshaus in Forstenried. Mit ihren Etagennachbarn liegt sie seit Jahren im Dauerstreit. Sie habe Angst vor ihnen, behauptete sie vor Gericht. Deshalb sei sie auf die Idee gekommen, Bewegungen im Treppenhaus zu überwachen. Die Linse der Videokamera wurde anstelle der üblichen Gucklinse in die Haustür eingesetzt.
Die Elektronik dahinter übertrug tagsüber das Geschehen im Treppenhaus unmittelbar vor dem Wohnungseingang auf einen kleinen Bildschirm hinter der Tür - in diesem Live-Modus wurden keine Bilder aufgezeichnet. Doch in der Nacht schaltete die Frau das Gerät auf Automatikmodus: Bewegungen lösten dann selbsttätig die Videokamera aus und das Geschehen im Treppenhaus wurde gespeichert. Diese Bilder wertete die Mieterin immer morgens auf ihrem PC aus. Wenn in der Nacht "nichts Verdächtiges" passiert sei, habe sie die Bilder gleich gelöscht, versicherte sie dem Gericht.
Privatsphäre muss gewahrt bleiben
Bei einer Hausbegehung hatte die Vermieterin die Elektronik entdeckt. Die Mieterin wurde aufgefordert, die Kamera sofort zu entfernen. Die Münchnerin sträubte sich: Wegen des Nachbarschaftsstreits sei sie zum Einbau und Betrieb des Türspions berechtigt, meinte sie. Daraufhin klagte die Vermieterin vor dem Amtsgericht und bekam Recht: Hier müsse zwischen den Interessen der Betroffenen und deren Mitmietern abgewogen werden - Persönlichkeitsrecht einerseits, andererseits das Eigentumsrecht und Überwachungsinteresse.
"Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die Freiheit vor unerwünschter Kontrolle oder Überwachung durch Dritte, insbesondere in der Privat- und Intimsphäre im häuslichen und privaten Bereich", stellte die Richterin fest. Hausbewohner hätten die Freiheit, ihre Wohnung oder das Haus zu verlassen oder zu betreten, ohne dass ein Mitmieter dies stets überwache und jederzeit aufzeichnen könne. Dazu gehöre auch das Recht, unkontrolliert Besuch zu empfangen.
Durch den elektronischen Haustürspion werde die Privatsphäre der Mitmieter und Besucher verletzt, sagt das Gericht. "Eine Überwachung des Hausflures, der Hauseingangstür oder anderer gemeinschaftsbezogener Flächen ist grundsätzlich unzulässig, da diese Bereiche allgemein zugänglich sind und nicht dem alleinigen Hoheitsbereich der beklagten Mieterin unterstehen oder ihrem alleinigen Hausrecht unterfallen", heißt es im Urteil.
"Massive Verletzung des Persönlichkeitsrechts"
Da die beklagte Mieterin im Erdgeschoss wohne, würden die übrigen Mitmieter und deren Besucher unabhängig von ihrem Verhalten nachts gefilmt und die Aufnahmen gespeichert. "Die Beklagte entscheidet allein, ob die Aufnahmen gelöscht werden oder nicht", erklärte die Richterin. "Das stellt eine massive Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mitmieter und Besucher dar."
Ein Nachbarschaftsstreit ändere daran nichts: Eine Kamera sei nur dann gerechtfertigt, wenn ein unmittelbar bevorstehender Angriff zu befürchten sei und diese Gefahr nicht anders abgewehrt werden könne. Bei gravierenden Vorfällen könne die Betroffene die Polizei einschalten. Im Übrigen sei sie gehalten, sich selbst so zu benehmen, dass die Situation nicht eskaliere. Das Urteil (Az.: 413 C 26749/13) ist rechtskräftig.
Anja Franz vom Mieterverein sieht das Urteil jedoch zwiespältig. "Natürlich geht es nicht an, dass alle Bewegungen im Treppenhaus durch eine Kamera überwacht und aufgezeichnet werden." Für den Fall aber, dass handelsübliche elektronische Türspione verwendet werden, wie man sie regulär etwa im Baumarkt kaufen könne, sei das Urteil überzogen, meint sie. Denn darauf sei auch nicht mehr zu sehen, als bei den herkömmlichen "analogen" Gucklöchern - nämlich nur, wer direkt vor der Haustür steht. "Knackpunkt" sei vor allem die Aufzeichnung.