Süddeutsche Zeitung

Prozess in München:Grippe-Impfung mit fatalen Folgen

  • Vor dem Landgericht München I wird die Frage verhandelt, ob ein Junge mit asthmaartigen Erkrankungen womöglich an den Folgen einer Impfung gestorben ist.
  • Experten hatten rasch nach der Erkrankung im Jahr 2010 eine "Impfschadensfolge" anerkannt.
  • Vor Gericht sieht ein Sachverständiger die Todesursache eher woanders: womöglich in einer sehr seltenen Erbanlage des Kindes.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Hat eine Grippe-Impfung ihren neunjährigen Sohn erst gelähmt und schließlich getötet? Diese Frage wird ein Münchner Elternpaar für immer quälen. Denn die Richter der Arzthaftungskammer am Landgericht München I konnten ihnen am Mittwoch keine Antwort geben. Ein Sachverständiger hatte in der Verhandlung klar gemacht, dass die Todesursache für immer rätselhaft bleiben werde. Der Kinderneurologe sieht die folgenschweren Versäumnisse nämlich nicht bei der beklagten Kinderärztin, die den Bub geimpft hatte. Vielmehr hätten es Klinikärzte versäumt, dem immer dramatischer werdenden Krankheitsverlauf auf den Grund zu gehen.

Der Junge hatte immer wieder mal unter asthmaartigen Erkrankungen gelitten, wahrscheinlich allergisch bedingt. Deshalb hatte seine erfahrene Kinderärztin 2010 eine Grippe-Impfung empfohlen. Was nach Meinung vieler Experten in zahllosen Fällen richtig ist, hatte hier nach Auffassung von Klägeranwalt Jürgen Klass schwere Folgen: Die im Impfstoff Mutagrip enthaltenen Viren und Bakterien hätten eine Entzündung des Rückenmarkquerschnitts verursacht. Der Schüler war erst querschnittsgelähmt und starb 2013.

Experten erkennen "Impfschadensfolge" an

Tatsächlich haben die Experten des Versorgungsamts schon rasch nach der Erkrankung die "Impfschadensfolge" anerkannt, das Kind als zu 100 Prozent schwerbehindert eingestuft und ihm Grundrente zugesprochen. Das ist ganz selten: Nach offiziellen Berichten wurden zwischen 2005 und 2009 in ganz Deutschland aufgrund von öffentlich empfohlenen Impfungen 1036 Anträge gestellt, einen Impfschaden anzuerkennen, und nur 169 Fälle anerkannt.

Dennoch hat der vom Gericht bestellte Sachverständige - der Chef der Neuropädiatrie einer Klinik in Münster - an der Impfempfehlung seiner Münchner Kollegin nichts auszusetzen. Er sieht die Ursache eher in einer sehr seltenen Erbanlage des Kindes, die durch Infekte - oder eben auch eine Impfung - "aktiviert" worden sei. Auf diese Weise könne beispielsweise das Guillain-Barré-Syndrom entstehen, sagte er, multiple Sklerose oder, wie im Fall des Buben, Myelitis Transversa.

Schwerwiegende Entzündungen führten zum Tod

Auf diese Erkrankung des zentralen Nervensystems hätten sich dann aber noch viel schwerer wiegende Entzündungen "aufgesetzt" und letztlich zum Tode geführt, sagte der Experte. Den Klinikärzten warf er vor, sich zu sehr auf die Impfung als Krankheitsursache verlassen zu haben. Man hätte nach Meinung des Sachverständigen aber schon beim zweiten schweren Schub der Erkrankung nach weiteren Ursachen suchen müssen, auch nach Tumoren.

Vielleicht hätte man dann das Leben des Buben retten können. Oder den Eltern zumindest sagen können, welche Krankheit in diesem Fall nicht heilbar sei, meinte der Arzt. Und auf jeden Fall hätte man später durch eine Obduktion die tatsächliche Todesursache klären müssen.

Der Klage auf 300 000 Euro Schmerzensgeld gab das Gericht daraufhin keine Erfolgsaussicht. Angesichts der Tragik schlug es aber vor, dass die beklagte Ärztin trotzdem 9000 Euro als symbolischen Betrag bezahle. Sollte es zu keiner Einigung kommen, wird Mitte Februar das Urteil verkündet.

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SZ vom 18.12.2014/infu
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