Prozess in München:Filmreife Flucht im Wahn

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Ein psychisch kranker Mann fühlt sich verfolgt. Er bewaffnet sich mit einem Schraubenzieher, kapert zwei Autos und löst einen Feueralarm aus. Vor Gericht ist schnell klar, dass der 33-Jährige nicht bestraft werden kann.

Von Christian Rost

Michael S. (Name geändert) war auf der Flucht. Im festen Glauben, die Mafia oder eine andere "Organisation" habe es auf ihn abgesehen, versuchte der 33-Jährige am 8. Mai 2012, möglichst schnell aus der Stadt heraus zu kommen. Weil dem an paranoider Schizophrenie erkrankten Mann dabei jedes Mittel recht war, musste er sich am Donnerstag vor der 3. Strafkammer am Landgericht München I einfinden.

Michael S. ist ein Zahlenfreak: Zunächst arbeitete er als Croupier in einer Spielbank und dann als Risiko-Analyst bei einer Großbank. Er saß gerade in seinem Büro in Unterföhring, als ihn an jenem Maitag Wahnvorstellungen überkamen: Beim Blick aus dem Fenster sah er im Haus gegenüber eine Menschenansammlung und war sich sicher: "Die beobachten mich."

Er kaperte an der Kreuzung einen Land Rover

Panisch flüchtete er auf die Straße, sprach einen Handwerker an, der ihn in seinem Auto bis zu einer Kreuzung in Freimann mitnahm. Unterwegs entwendete S. dem Handwerker einen großen Schraubenzieher. Derart bewaffnet kaperte er dann an der Kreuzung einen Land Rover, den eine Lehrerin steuerte. Sie müsse ihn mitnehmen, drängte S. die Frau, kletterte auf die Rückbank und versteckte sich unter einer Decke.

Die Lehrerin sah die Sache gelassen und fuhr mit dem verängstigten Passagier bis zu ihrem Arbeitsplatz, der Fachakademie für Heilberufe. Auch dort fühlte sich S. nicht sicher. Sobald er Menschen erblickte, die auf ihren Handys herumtippten, glaubte er, alle tauschten über ihn Nachrichten aus.

Also flüchtete er weiter: In der Tiefgarage des Schulkomplexes schlüpfte S. unter den Windfang eines offenen Cabrios, dessen Fahrerin zwar ebenfalls bereit war, ihn ein Stück mitzunehmen. Nach einem halben Kilometer Fahrt war ihr das aber doch nicht mehr geheuer . Sie setzte ihn an einer Grünanlage ab. Ziellos lief S. weiter - und landete wieder in einer Schule.

In einem Aufenthaltsraum legte sich der erschöpfte Mathematiker zunächst eine Stunde aufs Ohr. Besser ging es ihm danach aber nicht: Überall sah er Gesichter, die ihn anstarrten. In seiner Hilflosigkeit drückte er auf einen Brandmeldeknopf. Mit der Feuerwehr rückte die Polizei an: "Da habe ich mich dann sicher gefühlt", sagte S.

Aufgrund der Schizophrenie ist er schuldunfähig und kann für seine Taten - versuchter schwerer Raub und Nötigung - nicht bestraft werden. Helfen können ihm ohnehin nur Ärzte.

© SZ vom 23.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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