Süddeutsche Zeitung

Prozess:"Ich fühlte mich gequält"

Angeklagter erklärt, weshalb er sein Opfer ins Koma prügelte

Von Susi Wimmer

Constantin N. lachte, als Polizisten der Altstadtwache ihm zur Beweissicherung braune Tüten über seine Hände zogen. Er lachte, als Spurensicherer seine Fingernägel bearbeiteten. Und er lachte, als er fragte: "Ist der andere gestorben?" So zumindest erzählt es ein Polizist vor der zweiten großen Strafkammer am Landgericht München I. Dort ist der 31 Jahre alte Constantin N. des versuchten Totschlags angeklagt. Der Putzmann soll einen Mitbewohner bewusstlos geschlagen und dann immer wieder mit stampfenden Bewegungen von oben auf das Gesicht und den Kopf des Wehrlosen eingetreten haben. Das Opfer lag einen Monat lang im Koma. Den Gerichtstermin allerdings, wo er gegen seinen Peiniger aussagen sollte, ließ der Mann platzen.

"Das wird das Problem an dem Verfahren werden", sagt der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann, nachdem auch der zweite Zeuge nicht zur Verhandlung erschienen ist. Szenerie des Tatgeschehens ist eine Appartement-Anlage an der Senefelderstraße, in der eine Reinigungsfirma ihre Raumpflegekräfte untergebracht hat. 800 Euro netto im Monat, so sagt Constantin N., sollte er als Putzkraft verdienen. Der 31-Jährige hat bereits in Italien am Bau gearbeitet, in Griechenland in der Landwirtschaft, in Tschechien in einer Gemüsefabrik, er hat in England Autos gewaschen und in Irland in einem Restaurant gejobbt. Ähnlich sprunghaft dürfte das Leben seiner Mitbewohner verlaufen, die für das Gericht nicht auffindbar sind.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft fußt auf den Aussagen der verschwundenen Raumpfleger. Demnach sollen Raj L. und Paul I. den Angeklagten am Hauptbahnhof kennengelernt und ihm eine Stelle bei der Putzfirma vermittelt haben. Obwohl Constantin N. eine Wohnmöglichkeit an der Aubinger Straße zur Verfügung gestellt bekam, soll er bei den beiden Männern in dem Appartement in der City gelebt haben. "Das Zusammenleben mit Raj L. war schwierig", lässt Constantin N. über seine Verteidigerin Birgit Schwerdt sagen. Und: "Ich fühlte mich von ihm gequält."

Am Tattag, dem 20. Oktober 2018, will er nachmittags fünf Bier und abends mit seinem Mitbewohner zwei Flaschen Whisky getrunken haben. Er sei davon ausgegangen, dass L. ihn bedrohe, und um sein eigenes Leben zu schützen, habe er zugeschlagen. Laut Staatsanwaltschaft streckte N. den Mann mit einem Faustschlag nieder. Der schlug im Treppenhaus mit dem Hinterkopf auf dem Treppenabsatz auf und verlor das Bewusstsein. Dann prügelte und trat Constantin N. auf das Opfer ein.

"Das passt alles nicht zusammen", sagt der psychiatrische Gutachter Matthias Hollweg, als Constantin N. vor Gericht von seinem extremen Alkoholkonsum spricht. Dem Gutachter hatte N. vorab von vier bis fünf Bier täglich berichtet, im Gerichtssaal sind es dann 20 bis 30 Flaschen Augustiner. Außerdem sagt N., er sei an dem Tag sauer gewesen, weil er von seinem Arbeitgeber keinen Vorschuss über 100 Euro erhalten habe. Laut Anklage hatte die Reinigungsfirma am Tag vor der Tat Constantin N. wegen wiederholten Fehlens gekündigt. Der Prozess dauert an

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Quelle:
SZ vom 08.10.2019
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