Proteste gegen Automesse IAA:Erst das Urteil, dann die Anklage

Proteste gegen Automesse IAA: Einer von insgesamt fünf Angeklagten im Verhandlungssaal des Amtsgerichts München - alle wurden verurteilt.

Einer von insgesamt fünf Angeklagten im Verhandlungssaal des Amtsgerichts München - alle wurden verurteilt.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Ein Amtsrichter verhängt milde Strafen gegen vier Klimaaktivisten und einen Journalisten wegen einer Hausbesetzung während der IAA - und prangert dann die wirkungslose Klimapolitik und die Autoindustrie an.

Von Bernd Kastner

Am Ende steht ein Urteil und es umfasst ein bemerkenswertes Plädoyer. Beides kommt von einem Amtsrichter, der gerade eine Hausbesetzung geahndet hat. Das Plädoyer ist eine Anklage gegen eine Politik, die zu wenig gegen den Klimakollaps tue, und gegen eine Autoindustrie, die diese Katastrophe mit verursache. Indirekt ermutigt der Richter die fünf jungen Leute, die er gerade schuldig gesprochen hat, weiter aktiv zu zu bleiben, für das Klima und für den Journalismus.

Verurteilt werden die fünf Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs. Während der Automesse IAA hatten vier Klimaaktivistinnen und -aktivisten ein leer stehendes Gebäude besetzt; ein Journalist hielt sich auch darin auf, er berichtete vor Ort von der Aktion. Tatort war das Bürogebäude Karlstraße 20, es gehört dem Freistaat Bayern und steht seit Jahren leer. Das Gericht bleibt mit der Strafe im untersten Bereich: Der Journalist sowie eine Frau und zwei Männer werden lediglich verwarnt; wenn sie ein Jahr lang straffrei bleiben, entgehen sie der Geldstrafe von 30 Tagessätzen. Ein weiterer Aktivist wird zu 40 Tagessätzen verurteilt, weil er einschlägig vorbestraft ist. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht.

Proteste gegen Automesse IAA: Die Hausbesetzer hängten Transparente aus dem Gebäude an der Karlstraße und entzündeten Rauchtöpfe.

Die Hausbesetzer hängten Transparente aus dem Gebäude an der Karlstraße und entzündeten Rauchtöpfe.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Das Geschehen ist unstrittig: In der Nacht auf den 10. September drangen die vier Aktivisten im Alter von 22 bis 31 Jahren in das ungenutzte Gebäude ein. Als am darauffolgenden Mittag eine der Anti-IAA-Demonstrationen durch die Karlsstraße zog, hängten sie Transparente aus den Fenstern und entzündeten Rauchtöpfe. Sie erklärten das Haus zum selbstverwalteten Kulturzentrum.

Dies sei legitim angesichts der Klimakrise, erklärt vor Gericht ein Aktivist im Namen des Quartetts. "Dass die Stadt München in solchen Zeiten zulässt, dass ein Riesen-Event der internationalen Autoindustrie die gesamte Innenstadt in Beschlag nimmt, ist purer Hohn und ein Schlag ins Gesicht" der Menschen, die sich für eine lebenswerte Zukunft engagieren. Der Protest, der sich auch gegen Immobilien-Leerstand richte, sei befeuert von Wut, aber "auch von unserem Gewissen": Sie wollten sich den "ökologischen und sozialen Verwüstungen" entgegenstellen, die von den reichsten Weltregionen ausgingen.

Nach der Aktion stellte der Freistaat Strafanzeige; die Staatsanwaltschaft erwirkte wegen Hausfriedensbruchs fünf Strafbefehle. Weil die Beschuldigten Einspruch einlegten, ist es an Amtsrichter Thomas Müller, die Aktion juristisch zu bewerten. Der freie Journalist, 27, der während der IAA für die Tageszeitung taz aus München berichtete, beruft sich auf das Grundrecht der Pressefreiheit. Er habe in jener Nacht einen Tipp bekommen, habe vor dem Haus von der Aktion erfahren und sich innerhalb weniger Minuten entscheiden müssen: Draußen bleiben oder reingehen, um vor Ort vom Geschehen zu berichten? Die Aktivisten berufen sich auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, die in diesem Fall höher zu gewichten sei als das Hausrecht; zumal es zu keiner Sachbeschädigung gekommen und niemand gestört worden sei.

Diesen Argumentationen folgt Richter Müller nicht. Niemand könne mit Berufung auf ein Grundrecht für sich in Anspruch nehmen, eine Straftat begehen zu dürfen. Der Reporter hätte auch von der Straße aus berichten können. Zwar bewege man sich im Bereich der "Bagatellkriminalität", sagt Müller, aber schuldig sprechen müsse er die Angeklagten halt doch - "leider". Im Strafmaß bleibe er ganz unten, weil er fast nur Entlastendes sehe. So etwa hätten sich alle bei der Räumung durch die Polizei kooperativ verhalten.

Dem schließt Thomas Müller eine umfassende Erläuterung an, fast schon ein Statement. Die Pressefreiheit sei "von außerordentlicher Bedeutung". Er erinnert an die Verhältnisse in Russland, wo keine freie Berichterstattung mehr möglich sei, aber auch an die Mediengängelung in den USA unter Trump und aktuell in Polen und Ungarn. Dennoch, auch ein Journalist dürfe keinen Hausfriedensbruch begehen. Die Motive der drei Männer und einen Frau, die mit der Besetzung gegen Missstände protestierten, könne er sehr gut nachvollziehen, sagt Müller. Es sei notwendig, dass junge Leute Rabatz machten. Selbst er werde wütend, wenn er während der internationalen Klimakonferenzen erlebe, wie gefeilscht werde und am Ende nichts herauskomme - "da krieg ich den Vogel". Und auch den Ärger über die Autoindustrie teile er, sagt Müller. Denn die verfahre nach dem Motto: "Was interessiert mich der Klimawandel, Hauptsache der Umsatz stimmt."

So verständig sich Müller auch zeigt, sein Urteil ruft Kritik hervor, wie die dpa berichtet. "Zwar hat der Richter umfassend ausgeführt, welch hohe gesellschaftliche Bedeutung die Pressefreiheit hat", sagt die Geschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten Union, Monique Hofmann. Dies sei aber nicht ins Urteil eingeflossen. "Wir haben den Eindruck, dass mit diesem Verfahren die Berichterstattung über Klimaproteste nachträglich sanktioniert und für die Zukunft mit einer Warnung versehen werden soll." Auch bei der taz kritisiert man das Urteil. "Es klingt, als wollte das Gericht hier milde wirken, aber wir bleiben dabei: Eine Hausbesetzung journalistisch zu begleiten, ist Journalismus und kein Hausfriedensbruch", betont Chefredakteurin Ulrike Winkelmann. "Hier kann es nur einen Freispruch für unseren Kollegen geben."

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