Prozess gegen Jugendtrainer:Das Schweigen der Opfer

Lange blieb das Treiben des Bundestrainers Ewald K. unbemerkt - nun muss er wegen hundertfachen Missbrauchs ins Gefängnis. Und das Hauptopfer macht sich Vorwürfe.

Christina Warta

Er muss heute 26 Jahre alt sein, bald feiert er seinen 27. Geburtstag. Sein Leben wäre anders verlaufen, wäre er nicht als Achtjähriger in eine Trainingsgruppe von Ewald K. geraten. Dort wurde er 1990 zum ersten Mal Opfer des Leichtathletiktrainers; über sechs Jahre hinweg wurde er von K. sexuell missbraucht. Niemand kennt das Gesicht jenes jungen Mannes, dessen Name in den vergangenen zwei Tagen so häufig genannt wurde wie kein anderer im Gerichtssaal B273 des Münchner Strafjustizzentrums.

Prozess gegen Jugendtrainer: Ewald K. im Gerichtssaal: Am Mittwoch wurde der einstige Erfolgstrainer zu acht Jahren Haft verurteilt.

Ewald K. im Gerichtssaal: Am Mittwoch wurde der einstige Erfolgstrainer zu acht Jahren Haft verurteilt.

(Foto: Foto: dpa)

215 Mal wurde der Junge von Ewald K. missbraucht, angeklagt sind außerdem 82 weitere Fälle des sexuellen Missbrauchs von sieben Schutzbefohlenen. Im Prozess vor dem Landgericht München II hat der 49-Jährige in einem rund drei Stunden währenden Geständnis alle Vorwürfe der Anklage eingestanden. Außerdem hat er rund 30 weitere, verjährte Fälle an drei Opfern eingeräumt. Am Mittwoch wurde der einstige Erfolgstrainer zu acht Jahren Haft verurteilt. Und selbst nach seiner Haftstrafe wird K. nicht freikommen: Die 7. Jugendkammer hat die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet.

Er nutzte jede Gelegenheit

Die Zahl der Missbrauchsfälle in diesem Prozess ist monströs, die Dauer ebenfalls, die Vorgehensweise des Täters sowieso: Über 20 Jahre hinweg verging sich Ewald K. an Jungen, die Eltern ihm zum Sporttraining anvertraut hatten. K. arbeitete für den TSV Penzberg, den Bayerischen und Deutschen Leichtathletikverband sowie für das private Isar-Sportgymnasium in München. Er nutzte jede Gelegenheit: Nebenräume in Sporthallen, Autofahrten von Penzberg zur Leichtathletikhalle im Olympiapark, Trainingslager, sogar eine Geisterbahnfahrt.

Selbst in seiner Badewanne oder in ihrem Kinderzimmer waren die Jungen nicht vor ihm sicher. K. sperrte die Tür ab und gab vor, eine Massage an der Leiste vornehmen zu müssen, sprach von Mentaltraining oder Bewegungsübungen. Dann manipulierte er an den Geschlechtsteilen der Kinder, zwang sie zum Oral- und Analverkehr. In Trainingslagern, berichtet er, habe er gewisse Kinder bei sich im Doppelbett schlafen lassen, um sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können.

"War das üblich, dass Trainer mit Athleten im Doppelbett schlafen?", will Richterin Petra Beckers wissen. "Nein", antwortet Ewald K. Trotzdem flog sein Treiben jahrzehntelang nicht auf. Der Prozess macht einmal mehr deutlich, wie tabubehaftet das Thema Kindsmissbrauch ist - und warum. Da sind die kleinen Kinder, die es nicht wagen, gegen das schreckliche Tun ihres Trainers aufzubegehren. Ein Opfer sagte der Polizei, es habe Angst gehabt, nicht mehr in des Trainers Gunst zu stehen.

Und da sind die jungen Erwachsenen, die von den belastenden Vorgängen in der Kindheit nichts mehr wissen wollen. Dem Hauptopfer habe sein Therapeut Jahre nach den Vorfällen geraten, K. nicht anzuzeigen, weil sonst alles wieder aufgewühlt würde. Nun mache er sich Vorwürfe, erklärt Claudia Greinwald, die die Nebenklage vertritt. Hätte er damals die Taten offengelegt, hätten spätere Übergriffe womöglich nicht stattgefunden.

Zweimal fast angezeigt - aber nichts passiert

In all den Jahren wäre Ewald K. wegen seiner Handlungen zweimal fast angezeigt worden. Ende der achtziger Jahre vergreift sich K. in der Umkleidekabine eines Wellenbades an einem Jungen. Ein Bademeister wird aufmerksam, späht über die Trennwand, sieht beide nackt. Er besteht darauf, die Eltern des Jungen zu informieren. Doch nichts passiert. Im Jahr 2000 offenbart das Hauptopfer seinen Eltern das jahrelange Martyrium, das er bis vier Jahre zuvor erlitten hat. Die Eltern stellen K. zur Rede, der berät sich schon mit einem Anwalt. Doch wieder passiert nichts - und der sexuelle Missbrauch geht weiter, mit anderen Sportschülern.

Staatsanwältin Nina Libera fordert für Ewald K. acht Jahre Haft und Sicherungsverwahrung, ebenso wie Nebenklägervertreterin Greinwald. K.s Verteidiger Florian Schneider dagegen weist in seinem Plädoyer darauf hin, dass K. umfassend gestanden habe. Seine Entwicklung deute nach oben, "zeichnen Sie diese Kurve weiter", sagt er und rät, von der Sicherungsverwahrung abzusehen. Der psychiatrische Sachverständige Matthias Hollweg hatte K. zuvor in seinem Gutachten ein "mittleres Rückfallrisiko" und Pädophilie attestiert. Grund für die Veranlagung könne möglicherweise sein, dass K. als Jugendlicher zweimal von Homosexuellen vergewaltigt worden sei. Auf die Frage nach dessen Gefährlichkeit gab er indes keine eindeutige Antwort. Dass die Richter in ihrem Urteil doch die Sicherungsverwahrung verfügen, enttäuscht Strafverteidiger Schneider.

Notwendigkeit der Sicherungsverwahrung

Richterin Beckers - freundlich im Ton, akribisch in der Sache - macht deutlich, dass K.s Geständnis und die Tatsache, dass er damit den Opfern erspart habe, vor Gericht auszusagen, eine große Rolle gespielt habe: "Andernfalls wäre man mit der Haftstrafe im zweistelligen Bereich gewesen", sagt sie. Außerdem bejaht das Gericht das Vorliegen eines "Hanges" und deshalb die Notwendigkeit der Sicherungsverwahrung. "Sie haben selbst von einem Drang gesprochen", sagt die Richterin und spricht von eingeschliffenen Verhaltensmustern.

Ewald K. nimmt das Urteil ohne äußere Regung auf, nur hin und wieder hat er sich zuvor mit den Fingern über die Stirn gerieben. Gebeugt verlässt der Mann im hellblauen Pullover den Gerichtssaal, mit einer Handschelle an einen Justizvollzugsbeamten fixiert. Eine Therapie wolle er machen, hat er angekündigt, und dass es ihn heute vor den Dingen schaudert, die er getan hat.

Und irgendwo klingelt wohl kurz nach Prozessende das Telefon jenes jungen Mannes, von dessen grauenhaften Kindheitserlebnissen in den vergangenen Tagen in Saal B273 so viel die Rede war. Claudia Greinwald wird ihrem Mandanten von dem Urteil berichten, das gegen Ewald K. ergangen ist. Vielleicht empfindet er es als Genugtuung, vielleicht als späte Gerechtigkeit. Ein Opfer wird er trotzdem immer bleiben.

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