Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen John Demjanjuk:Die Show eines "ukrainischen Bauern"

Es war die inzwischen dritte schriftliche Erklärung, die der wegen Beihilfe zum Mord angeklagte John Demjanjuk vor Gericht abgegeben hat. Doch zum ersten Mal stellt er darin detaillierte Forderungen - und endet mit einer Drohung.

Robert Probst

Der Angeklagte spricht nicht. Aber er schreibt. Zumindest schreibt er eigenhändig das Datum: 22.2.2011 und seinen Namen mit kyrillischen Buchstaben: Iwan Demjanjuk. In der recht krakeligen Schrift eines 90-Jährigen. Alles andere ist auf einem PC entstanden. Es gibt eine Ausführung in Englisch und eine in Ukrainisch. Eine DIN-A4-Seite mit der Überschrift: "Dritte Erklärung des John Demjanjuk in Deutschland." Alles soll seine Ordnung haben.

Diese Erklärung kommt kurz bevor vor dem Landgericht München II die Beweisaufnahme abgeschlossen werden soll.

Die erste Erklärung war im April 2010, zahllose Sätze, die alle mit den Worten begannen: "Deutschland ist schuld, dass ..." Die zweite stammt aus dem November, in der warf er den drei Berufsrichtern in seinem Prozess nichts weniger als Rechtsbeugung vor, brachte aber auch so schwierige Ausdrücke wie "kontradiktorische Befragung" unter. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit war ihm gewiss.

So auch in dieser Woche. Wobei der Showeffekt die Erkenntnisse deutlich überwog.

Jedes Mal trug Demjanjuks Wahlverteidiger Ulrich Busch die Erklärung im Gerichtssaal vor. Jedes Mal fragte anschließend der Vorsitzende Richter Ralph Alt den Angeklagten, ob dies wirklich seine Erklärung sei. Der antwortete jeweils mit einem knappen (ukrainischen) Ja. Die Diktion erinnert freilich stark an die üblichen Ausführungen des Anwalts Busch.

Vordergründig geht es in der Erklärung darum, sich als Opfer zu stilisieren. Demjanjuk zählt auf: Als Kind habe ihn Stalin durch eine quasi verordnete Hungersnot zum Tode verurteilt, später hätten ihn die NS-Machthaber als sowjetischen Kriegsgefangenen durch Hunger und Sklavenarbeit - sogar das Wort Kanibalismus fällt in dem Zusammehang - zu töten versucht, in den achtziger Jahren schließlich sei er von den USA und Israel in "betrügerischer Absicht" angeklagt und "unschuldig" zum Tod durch den Strang verurteilt worden als "Iwan der Schreckliche" aus dem Vernichtungslager Treblinka.

Schon damals hätten Betrug, politische Motive und "Richter, die nicht die Wahrheit suchten", die Hauptrolle gespielt. In der Tat erwies sich später, dass er wirklich nicht "Iwan der Schreckliche" war - 1993 wurde er freigesprochen.

Nun steht er in Deutschland wegen Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Sobibor vor Gericht. Dieses Verfahren sieht Demjanjuk - er nennt sich selbst einen "ukrainischen Bauern" - als "Exekution" der drei vorangegangenen Todesurteile (durch Stalin, Nazi-Deutschland und das Jerusalemer Gericht). Nun wolle Deutschland - das Land, das Millionen Menschen während der NS-Zeit ermordete - "meine Würde, meine Seele, meinen Geist und mein Leben auslöschen".

Die Erklärung, die am Dienstag vor Gericht verlesen wurde, fasst aus Sicht der Verteidigung prägnant sämtliche Probleme zusammen: Verteidiger Busch dringt mit kaum einem Beweisantrag durch - bei Demjanjuk heißt das "Unterdrückung von entlastendem Beweismaterial"; Sachverständige stützen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft - bei Demjanjuk heißt es "Verschwörung betrügerischer Strafverfolger aus den USA und Israel"; das Gericht folgt den Ausführungen von Experten und Zeugen - bei Demjanjuk heißt es "Geschichtsfälschung".

Erstmals stellt Demjanjuk in einer Erklärung auch detaillierte Forderungen - Angaben zur Sache hat er bisher nie gemacht, seine Verteidigungsstrategie beruht auf Aussagen aus den achtziger Jahren, er sei zur fraglichen Zeit in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen und sei nie zum Wachmann für die SS ausgebildet worden. Nun fordert er unter anderem, das Gericht möge anerkennen, dass solche Wachmänner nicht aus den Vernichtungslagern desertieren konnten - denn sie hätten unter steter Todesdrohung ihren Dienst verrichten müssen und seien bei Fluchtversuchen erschossen worden. Andererseits fordert er die Auswertung einer Akte aus KGB-Beständen in Russland (Akte 1627), die beweisen soll, dass er nie als Wachmann ausgebildet wurde und auch nie in Sobibor Dienst tat.

Dann wiederum weist er darauf hin, dass er damals in Jerusalem auch schon wegen Sobibor vor Gericht gestanden habe - und auch dafür einen Freispruch erhalten habe (was Münchner Staatsanwaltschaft und Gericht aber anders sehen). Stringenz der Beweisführung sieht jedenfalls anders aus.

Nicht zuletzt aus diesem Grund wird die Erklärung mit so starken Worten wie "politischer Schauprozess" und "Exekution" garniert. Als Höhepunkt und zynische Schlusspointe greift der Angeklagte dann sogar noch einmal das Hungermotiv vom Anfang auf - er habe die Brutalität Stalins und der Nazis überlebt, die ihn verhungern lassen wollten; nun bleibe ihm keine andere Möglichkeit mehr: Wenn das Gericht nicht seiner Pflicht zur Wahrheitssuche nachkomme und endlich entlastendes Beweismaterial zulasse, werde er innerhalb von zwei Wochen in Hungerstreik treten. Der wohl durchaus ernst gemeinte Knalleffekt kann aber nicht kaschieren, dass der Verteidigung offenbar die Argumente ausgehen.

Ob sich John Demjanjuk mit seinen neuen Vorwürfen einen Gefallen getan hat, darf bezweifelt werden. Vertreter der Nebenklage regten an, künftig länger als die vereinbarten drei Stunden pro Tag gegen den kranken 90-Jährigen zu verhandeln - er sei ja offenbar geistig sehr rege.

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