Prozess:Fehler im Finanzamt: 96-Jähriger soll 5,7 Millionen Euro Steuern zahlen

  • Ein Mann erbt Immobilien, die einst seiner Mutter gehörten.
  • Darauf fielen Steuern an, die jedoch vom Finanzamt falsch berechnet wurden.
  • Der 96-Jährige klagte und bekam Recht. Nun will er auch die Kosten für seinen Anwalt erstattet haben.

Von Stephan Handel

Ein bis zwei Millionen zu bekommen - das ist ja nicht schlecht, nicht einmal für das Finanzamt. Weil aber ein Bürger in einer Erbschaftsangelegenheit einen falschen Steuerbescheid erhalten hat, wird die Finanzverwaltung dem Bürger voraussichtlich die Kosten für juristische Unterstützung erstatten müssen, die er in Anspruch nahm, um sich gegen die überhöhte Forderung zu wehren. Immerhin: Es geht um 35 000 Euro, die der Mann nun vor dem Landgericht München 1, Amtshaftungskammer, einklagt.

Der Kläger ist der Sohn einer Frau, die über größeren Immobilienbesitz in Laim verfügte, "ein halber Straßenzug", wie es im Gerichtssaal hieß. Die Besitzerin ließ sich von ihren damaligen Hausverwaltern, einem Ehepaar, überreden, ihnen den Besitz zu übertragen - 1972, da war die Besitzerin 70 Jahre alt. Im Gegenzug für die Schenkung sollte die Frau unter anderem eine monatliche Rente von 300 D-Mark erhalten - mit ein Grund, warum der Klägeranwalt heute sagt, die Frau sei "über den Tisch gezogen" worden. Zwar enthielt der Schenkungsvertrag einen Passus, dass der Besitz beim Tod des Ehepaars an die ursprüngliche Besitzerin zurückfallen sollte - der sehr viel wahrscheinlichere Fall, dass sie vor den Hausverwaltern sterben würde, war aber nicht geregelt.

Das fiel fünf Jahre später auf - die vom beauftragten Anwalt Rolf Bossi geltend gemachte "arglistige Täuschung" konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, so einigte man sich schließlich auf einen Vergleich: Die Hausverwalter durften den Besitz behalten, bis beide verstorben waren, dann sollte er an die Erben der ursprünglichen Besitzerin rückübertragen werden.

Die Frau starb 1997. Vereinbarungsgemäß behielten die Hausverwalter die Immobilien bis zum Tod der beiden, was 2015 der Fall war, da starb die Hausverwalterfrau. Und das Unheil nahm seinen Lauf.

Nun ging der Besitz zurück an den Sohn der früheren Besitzerin; er ist mittlerweile auch schon 96 Jahre alt. Das Finanzamt Kaufbeuren, das für Münchner Erbschaftssteuer-Angelegenheiten zuständig ist, schaute sich die Sache nicht allzu genau an und erließ im März 2017 einen Steuerbescheid gegen den Sohn in Höhe von rund 5,7 Millionen Euro. Der Fehler dabei: Die Behörde behandelte den Fall so, als habe der Sohn von den Hausverwaltern geerbt, nicht von seiner Mutter. Das ist ein gewaltiger Unterschied, bei Erbschaften unter Verwandten gilt ein Steuersatz von 19 Prozent und ein Freibetrag von 400 000 Euro, während 50 Prozent Steuer fällig werden, wenn Nicht-Verwandte erben, der Freibetrag beträgt dann nur 20 000 Euro.

Versäumnisurteil wegen Nichterscheinens

Selbstverständlich legte der Sohn Einspruch ein. Das Finanzamt weigerte sich jedoch, bis zur Klärung die Vollziehbarkeit des ersten Bescheids ruhen zu lassen. Das heißt: Der Sohn hätte die 5,7 Millionen Euro bezahlen müssen, erst später hätte er sie zurückfordern können. Mit seinem Steuerberater Alexander Koch zog er vor das Finanzgericht und bekam Recht - die Vollziehbarkeit ruhte bis zum Erlass des korrekten Bescheids. Der lag immer noch "zwischen ein und zwei Millionen Euro", genauer will Alexander Koch es nicht sagen, die Summe wurde jedenfalls akzeptiert und bezahlt.

Für den Rechtsstreit aber stellte der Steuerberater natürlich eine Rechnung - weil die streitige Summe so hoch war, fiel auch diese entsprechend aus: 35 000 Euro. Und die will der Sohn nun im Wege einer Amtshaftungsklage vom Freistaat zurück, weil, wie Alexander Wolf sagt, "das Finanzamt das hätte merken müssen, wenn sich nur ein Mensch dort ausgekannt hätte".

Zum ersten Verhandlungstermin im Justizpalast am Mittwoch war dann auch alles bereitet - allein der Vertreter des Freistaats ließ sich nicht blicken, obwohl Frank Tholl, der Vorsitzende Richter, selbst auf den Gerichtsflur zur "Nachschau" schritt. Nun wird es wegen des Nichterscheinens ein Versäumnisurteil geben. Dagegen kann der Freistaat zwar Einspruch einlegen, dann geht es von vorne los. Die Kosten für den nutzlosen Termin aber wird die Staatskasse auf jeden Fall bezahlen müssen, zusätzlich zu der Summe, zu der sie verurteilt wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: