Süddeutsche Zeitung

Prozess:Drei Mal verurteilt wegen 109,5 Gramm Marihuana und zwei Messern

  • Ein Kiffer soll fünf Jahre in Haft, weil die Polizei bei ihm zwei verbotene Butterflymesser und 109,5 Gramm Marihuana gefunden hat.
  • Der Anwalt des Mannes ging in Berufung und zog vor den Bundesgerichtshof - zweimal ging der Fall zurück nach München.
  • Nun fiel das dritte Urteil: Josef S. muss für drei Jahre und acht Monaten ins Gefängnis.

Von Annette Ramelsberger

Es war keine große Sache für ihn. Auch nicht für seine Freunde. Sie nahmen es halt. Als Joint oder in der Pfeife geraucht. Machte gute Gefühle. Und man konnte ein paar Euro damit verdienen, wenn man es weiterverkaufte. War ja nur Marihuana - so dachte sich das der Seppi aus Olching. Dann hängte ihn ein Kumpel hin. Die Polizei durchsuchte seine Wohnung. Auf seinem Schreibtisch fand sie zwei verbotene Butterflymesser. Und unterm Computer lag eine Kugel Marihuana. 109,5 Gramm.

Josef S., Auszubildender aus Olching, von seiner Mutter Seppi genannt, bekam die ganz große Keule des Rechtsstaats zu spüren. Für etwas, so sagt der jetzt 26-Jährige, wofür man halt mal 'ne Geldstrafe kriegt oder Sozialstunden. So kannte er das aus seinem Freundeskreis. Etwas, was man so nebenbei erledigt. Das Landgericht München II aber verurteilte Josef S. Anfang 2014 zu fünf Jahren Haft. Das ging nicht nebenbei, Josef S. ging nach Stadelheim. Dort sitzt er seit 27 Monaten. Das Gericht wertete Josef S.' Tat als bewaffneten Drogenhandel, wegen der Butterflymesser. Das war für das Gericht kein minderschwerer Fall mehr.

Der Bundesgerichtshof sah das anders. Im September 2014 hob der BGH das Urteil gegen Josef S. auf und legte den Münchner Richtern nahe, dass es sich hier doch um einen minderschweren Fall handeln könnte, weil es sich um recht wenig Rauschgift gehandelt habe. Die Strafe für so einen minderschweren Fall: ein halbes bis fünf Jahre.

Doch auch beim nächsten Münchner Richter erging es Josef S. nicht besser. Wieder erhielt er fünf Jahre - dabei hatte er mittlerweile auch seinen Lieferanten genannt. Der ist nun ebenfalls verurteilt worden - wegen der Aussage von Josef S. Er kam mit einer Bewährungsstrafe davon, Josef S. aber saß weiter in Haft.

Sein Anwalt Ralf Seidl ging erneut nach Karlsruhe. Und noch einmal hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf. Die Richter in München hätten eine kleine Vorstrafe wegen eines Diebstahls in einem Baumarkt eingerechnet, der nicht mehr hätte berücksichtigt werden dürfen, schrieben sie. Weil diese Tat da schon acht Jahre her war und der Junge damals erst 17.

Was am Stolz der Münchner Richter kratzt

Ein Urteil, das zweimal vom Bundesgerichtshof aufgehoben wird, das ist eine Seltenheit. Etwas, was auch am Stolz der Münchner Richter kratzt. Diese Woche stand Josef S. zum dritten Mal vor seinem Richter. Besser: vor seiner Richterin. "Sie kennen den Ablauf ja jetzt langsam", sagt die Vorsitzende Richterin Carolin Stier zum Angeklagten. Und mit einem kurzen Blick auf den Verteidiger Seidl, der zweimal beim BGH gewonnen hatte, erklärt sie: "Um keine Fehler zu begehen, machen wir das jetzt ausführlich."

Man muss dazu wissen, dass Anwalt Seidl früher Richter war und Kollegen ausgebildet hat. Die Situation zwischen dem Verteidiger und der Münchner Richterschaft scheint ein wenig verhärtet. Und so kommt auch zur Sprache, dass Seidl am Telefon gesagt hatte, er schäme sich für die Münchner Richter und wie sie sich in dem Fall verhielten. Darauf war das Gespräch dann zu Ende. So was lässt man sich halt nicht gerne sagen.

Richterin Stier geht frisch und umsichtig an die Sache heran. Sie hat einen jungen Kerl vor sich, der immer noch zu seiner Mutter im Zuschauerraum schaut, wenn er nach etwas gefragt wird. Der ewig brauchte, bis er sich eine Lehrstelle suchte. Der von der Familie gehätschelt wird. Um ihm zu helfen, hat sogar die Oma erklärt, sie habe die zwei Butterflymesser auf seinen Schreibtisch gelegt. Das hat dann aber niemand so recht geglaubt. Die Richterin erfährt, dass Josef S. in der Haft ein paar mal zur Drogenberatung gegangen ist, aber aufgehört hat, als das zweite Gericht ihn wieder verurteilt hatte. "Sie machen die Drogenabstinenz nicht für den Richter, sondern für sich", sagt Richterin Stier. Die Familie hat dem Jungen nun wieder eine Lehrstelle besorgt - sofort anzutreten, wenn er nicht mehr ins Gefängnis muss.

Manchen Angeklagten ist schwer zu helfen

Darauf will sich die Richterin nicht festlegen lassen. Sie macht deutlich, dass nun ein geringeres Strafmaß im Raum steht, aber Josef S. macht es ihr nicht unbedingt leicht. Vor einem Monat ist er vorläufig aus der Haft entlassen worden. Vier Wochen hatte er jetzt Zeit, daraus Lehren zu ziehen. Als ihn die Richterin fragt, ob er noch immer Drogen nehme, sagt er treuherzig:. "Ich hab's jetzt wieder mal probiert." Manchen Angeklagten ist schwer zu helfen.

Am Mittwoch fällte Richterin Stier das Urteil - das dritte in der Sache. Und sie verurteilte Josef S. zu drei Jahren und acht Monaten. Ganz genau hat sie erforscht, wie das alles war. Ganz genau hat sie alles begründet. Dieses Urteil wird vom BGH vermutlich nicht noch einmal nach München zurück geschickt. Alle sind ziemlich erleichtert. Und Josef S. kann dann bald die Lehrstelle antreten. Wenn er nicht mehr kifft.

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SZ vom 29.10.2015/infu
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