Prozess:Demenzkranker tötet seine Frau - und vergisst es

  • Seit zwei Schlaganfällen leidet der 82-jährige Alfred W. an Demenz. Die Krankheit machte ihn zunehmend aggressiv.
  • Im August vergangenen Jahres brachte der Rentner seine Frau um.
  • Strafrechtlich kann W. nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik.

Von Andreas Salch

Nicht mal mit der Heckenschere durfte er zuletzt in seinem Garten arbeiten. Und Autofahren auch nicht. Das hatte Lydia W. ihrem Mann Alfred verboten. Sie dachte, es könnte ja etwas passieren. Die Sorge war berechtigt. Denn Alfred W. ist nach zwei Schlaganfällen nicht mehr der, der er einmal war. Seither leidet er an Demenz und wird zunehmend aggressiv. Dass seine Frau ihm sagte, was er zu tun und zu lassen habe, darüber soll sich der 82-Jährige sehr geärgert haben. Immer wieder soll es deshalb zu Streit gekommen sein. Auch am Vormittag des 27. August vergangenen Jahres. Für Lydia W. war es der letzte Streit ihres Lebens.

Alfred W. soll die 84-Jährige im Wohnzimmer der gemeinsamen Wohnung in Aubing niedergeschlagen und dann mit einem Strick erdrosselt haben. Strafrechtlich kann der gelernte Feinkürschner, der sich seit Donnerstag vor der 2. Strafkammer am Landgericht München I verantworten muss, wegen seiner Demenz nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Aus diesem Grund hat die Staatsanwaltschaft die Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik beantragt. In unbehandeltem Zustand seien von dem 82-Jährigen "weitere vergleichbare, also erhebliche, rechtswidrige Taten zu erwarten". Alfred W. stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Seine Demenz sei "nicht aufzuhalten und nicht heilbar", heißt es in der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft.

Alfred W. kann zu den Vorwürfen nichts sagen. Er ist fast taub. Ein Hörgerät will er aber nicht tragen. Richterin Susanne Reiß spricht den Senior sehr laut an. Ohne Erfolg. Dann versucht es W.s Verteidiger, Rechtsanwalt Wilfried Eysell. Er muss schon fast brüllen, damit sein Mandant ihn versteht. Wer er ist, wann er geboren ist, welchen Beruf er erlernt hat, an all das kann sich Alfred W. erinnern. Auf die Frage nach den Namen seines Vaters antwortet er: "Ich werde alles sagen, aber ich weiß nichts mehr, durch den Schlaganfall."

Obwohl Alfred W. einen Rollator braucht, hat er mit 82 Jahren noch eine drahtige Figur. Früher boxte er einmal in der Amateurklasse. Sein Sohn Manfred sagt, die "Schlagtechniken" seien wohl noch in seinem Vater drin. Deshalb sei es für ihn wohl auch ein Leichtes gewesen, seine Frau, die eher korpulent gewesen sei, niederzuschlagen. Kraft jedenfalls habe sein Vater kaum mehr. Als Alfred W. von seinem Platz auf der Anklagebank seinen Sohn im Zeugenstand betrachtet, beginnt er laut und bitterlich zu weinen. Sein Kopf sinkt auf den Tisch.

Fast 60 Jahre lang waren Alfred W. und seine Frau miteinander verheiratet. Ihr Leben sei "sehr glücklich" verlaufen, sagt der Sohn. Bis zu den Schlaganfällen des Vaters. "Seitdem ist es leider bergab gegangen." Seine Mutter, so Manfred W., sei dagegen gewesen, dass ihr Mann ins Isar-Amper-Klinikum nach Haar kommt. Bei ihr zu Hause bekomme er die "bessere Fürsorge und Pflege", habe sie gesagt.

Doch Manfred W. sah, dass sich seine Mutter zu viel vorgenommen hatte. Er habe täglich bei ihr angerufen, sagt er bei seiner Vernehmung. Sorgen habe er sich gemacht, dass sie es nicht schafft. "Meine Mutter hat immer so getan, als würde sie das schaffen." Doch Lydia W. übernahm sich. Das Wesen ihres Mannes veränderte sich mehr und mehr. Nachts stand er auf, zog sich an und wollte partout zum Friseur. Oder eben Autofahren. Lydia W. verbot es ihrem Mann, oder redete es ihm irgendwie aus. "Da hat sich Aggression aufgestaut", glaubt Manfred W. "Als Depp will ich nicht mehr leben", habe der Vater einmal zu ihm gesagt. Zweimal habe der 82-Jährige versucht, sich das Leben zu nehmen. Vermutlich habe sein Vater auch an dem Tag, an dem es zu dem tödlich Streit kam, Autofahren wollen, meint Manfred W.

Nachdem er seine Aussage gemacht hat, darf er sich neben seinen Vater setzen. Er beruhigt ihn, legt ihm seinen linken Arm auf die Schulter. Der Vater weint und sagt: "Ich habe keinem Menschen etwas getan." Der Prozess wird fortgesetzt.

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