Prozess:"Dann kam der Stich"

Schizophrene Frau verletzt Freund schwer, er nimmt sie ihn Schutz

Von Susi Wimmer

Die Situation mutet reichlich grotesk an. Erwin Reiser (Name geändert) sitzt vor der zweiten Strafkammer am Landgericht München I und tut alles, um die Angeklagte Ann Z. in Schutz zu nehmen. Vielleicht habe sie der schwingende Beutel an seinem Arm beunruhigt, mutmaßt er. Oder er hätte nicht einfach die Türe zu ihrer Schwabinger Wohnung aufsperren dürfen. Er sucht die Schuld bei sich. Und dann bittet er das Gericht, dass die 54-Jährige doch bald freikommen solle. Dabei hatte Ann Z. im Oktober 2017 ihrem langjährigen Bekannten und Vertrauten ein Messer in die Brust gerammt. Erwin Reisers Leben wurde nur dank einer Notoperation gerettet.

Ann Z. ist eine Frau von gepflegter Erscheinung, lediglich ihr Blick wirkt abwesend. Richter Norbert Riedmann sagt sie, sie könne sich an die Tat nicht erinnern. Man habe viel getrunken, und vom Gefühl habe man ihr K.o.-Tropfen verabreicht, "die mich verrückt gemacht haben". Das sei schon öfter passiert. Immer wenn Freude da waren. "Und am nächsten Tag waren mein Reisepass, Schmuck oder Geld weg."

Anfang 2017, so erzählt Reiser, sei ihm erstmals aufgefallen, dass Ann "das Empfinden für die Realität verliert". Er habe sie gebeten, sich in Behandlung zu begeben, was sie auch gemacht habe. Allerdings muss die 54-jährige Angestellte diese sofort wieder abgebrochen haben. Am 21. Oktober war sie in einem Zustand akuter paranoider Schizophrenie der Meinung, man stehle ihre Identität, sie werde bedroht, und Erwin Reiser stehe nach ihrer 21-jährigen Freundschaft nicht mehr zu ihr. Im Streit ging der 68-Jährige und warf die Türe zu. Doch dann wollte er ihr doch noch "zum Abschied die Wange geben", wie er es nennt, und sperrte ihre Wohnungstüre mit seinem Schlüssel auf, den er seit Jahren besaß. "Verzeih, Ann", sagt er zur Angeklagten, weil er normalerweise nicht einfach aufsperre, sondern vorher immer klingle.

Er ging bis zur Wohnzimmertüre, sah eine Bewegung. "Dann kam der Stich." Er habe lediglich "Aua" gesagt, sei in den Aufzug geflüchtet und nach unten gefahren. Er sah noch einen Hausbewohner auf sich zukommen, und das Blut, das schwallartig durch die angestochene Arterie aus der Brust quoll, dann brach er zusammen. Die Staatsanwaltschaft wertet die Tat als versuchten Mord und hat die Unterbringung von Ann Z. in einer psychiatrischen Klinik beantragt.

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