Süddeutsche Zeitung

Amoklauf von München:Waffenhändler-Prozess: Richter soll sich über Angehörige lustig gemacht haben

  • Philipp K. hat zu Prozessbeginn vor dem Münchner Landgericht sein Geständnis verlesen lassen. Demnach verkaufte er 2016 zwölf Waffen, unter anderem an den späteren OEZ-Amokläufer David S. Hinweise auf eine bevorstehende Straftat habe er bei S. nicht gesehen.
  • Zu weiteren Vorhalten, etwa warum er den Ausweis des Attentäters von Nizza und Fotos dieses Anschlags auf dem Handy hatte, äußert er sich nicht.
  • Der Prozess selbst ist turbulent gestartet: Der Anwalt dreier Opfer-Familien lehnt den Vorsitzenden Richter ab.

Aus dem Gericht von Martin Bernstein

Platzt der Prozess gegen den Mann, der David S. die Waffe für dessen neunfachen Mord am Olympia-Einkaufstentrum geliefert hat? Der erste Prozesstag am Montag hat mit einem Paukenschlag geendet: Rechtsanwalt Yavuz Narin, der drei der Opferfamilien vertritt, hält den Vorsitzenden Richter am Landgericht, Frank Zimmer, und dessen Kollegen der 12. großen Strafkammer für befangen. Narin wirft Zimmer "abfällige, zynische und pietätlose Bemerkungen" über die Familien der Opfer vor.

Drei weitere Nebenklage-Anwälte schließen sich dem Antrag an. Im Kern geht es um die Frage, ob sich der 32-jährige Marburger Philipp K. der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht hat - oder ob er Beihilfe zum neunfachen Mord geleistet hat. Und um die Rolle, die die möglicherweise rechtsextreme Gesinnung des Waffenhändlers und seines Kunden David S. gespielt hat

Die Lieferanten nannten sich im Darknet "Hyäna" oder "Kronos", die Interessenten "Suppenpeter", "Kamerad" oder "Pitbull": Der Waffenhändler hat am Montag vor dem Münchner Landgericht gestanden, seit 2012 im Darknet einen schwunghaften Handel mit Handfeuerwaffen, Munition, in einem Fall aber auch mit einer als Kriegswaffe eingestuften Langwaffe betrieben zu haben. Das dabei verdiente Geld investierte der gebürtige Kölner in seine eigene Waffenbegeisterung. Was sein Kunde David S. vor hatte, will K. nicht geahnt haben. Das ist die Strategie der Verteidigung. Vertreter der Hinterbliebenen des Amoklaufs glauben das nicht. Für sie ist Philipp K. ein Rechtsradikaler, der wusste, dass David S. Migranten ermorden wollte.

Deshalb stehen im Mittelpunkt des ersten Prozesstags die Anwälte der Hinterbliebenen - und die Strafkammer selbst. Der Mann, dem vorgeworfen wird, mitverantwortlich für den Tod von neun Menschen zu sein, wird dabei fast zur Nebenfigur. K. schweigt. Stumm sitzt der 32-Jährige daneben, als seine Anwälte das Geständnis verlesen. Auch K.s Beileidsbekundung "in ehrlich gemeinter Art und Weise" hören die Angehörigen im Gerichtssaal nur aus dem Mund des Verteidigers.

Stumm hört K. zu, als Briefe verlesen werden, die er aus der Untersuchungshaft an Mutter und Freundin geschickt hat. Aus den Briefen wird deutlich: K. hat Angst davor, dass die Angehörigen der Opfer sich an ihm rächen könnten. Und das Schweigen? Das begründen die Anwälte mit einer öffentlichen "Vorverurteilung" ihres Mandanten.

Der schlanke Mann mit den kurzen dunklen Haaren bleibt auch stumm, als Vorsitzender Richter Frank Zimmer dem Angeklagten vorhält, was Ermittler auf dessen Handy gefunden haben: Fotos zum Terroranschlag in Nizza und ein Video, das K. beim Hitlergruß zeigt. Nicht der einzige Hinweis auf eine mögliche rechtsextreme Gesinnung des Waffenhändlers. Auf Datenträgern in der Wohnung von Philipp K. fanden Ermittler ein Porträtfoto, auf dem der 32-Jährige sich augenscheinlich als Adolf Hitler verkleidet hatte, außerdem Hakenkreuze und andere Nazisymbole.

Auch sein Kunde David S., der spätere Amokläufer, hatte mehrfach Sympathien für Hitler und die Nazi-Ideologie geäußert. Die Rechtsanwälte mehrerer Opferfamilien haben bereits angekündigt, diese rechtsradikalen Bezüge im Prozess thematisieren zu wollen. Derzeit sind noch zehn Verhandlungstage angesetzt. Doch schon am ersten Verhandlungstag kommt reichlich Sand ins Prozessgetriebe.

Zwei Ereignisse vom Nachmittag sind es vor allem, die den weiteren Fortgang des Verfahrens erheblich beeinflussen können. Da ist zunächst die ehemalige Freundin des Angeklagten. Sie soll am Nachmittag aussagen - doch sie kommt nicht. Dafür ein Fax ihrer Betreuerin und eines Marburger Arztes. Dieser bescheinigt der jungen Frau eine psychische Erkrankung. K.s "ehemalige Verlobte" soll in der Folge der Tat eine Fehlgeburt gehabt haben und nicht verhandlungsfähig sein.

Und dann kommt der bereits am Morgen angekündigte Befangenheitsantrag. Rechtsanwalt Narin lehnt die Richter ab. Der Vorsitzende habe sich lustig gemacht über Angehörige der Opfer. Persönliche Details der Opferfamilien seien in die Akten aufgenommen worden und dem mutmaßlich rechtsextremen Angeklagten so zugänglich gemacht worden, wirft Narin der Kammer vor. Zimmer soll auf Sorgen der traumatisierten Hinterbliebenen um ihre Sicherheit gefragt haben, ob diese wohl Angst hätten, der Amokläufer könne von den Toten auferstehen. Außerdem habe der Vorsitzende Richter die Rechte der Nebenkläger missachtet und sie "schikaniert" sowie den Vater eines Mordopfers als Nebenkläger abgelehnt.

Auch versäume es das Gericht, einen möglichen ideologischen Hintergrund der Tat angemessen zum Gegenstand der Verhandlung zu machen. Es gebe Zeugenaussagen, die sowohl eine rechtsradikale, ausländerfeindliche Gesinnung des Angeklagten nahelegten als auch dessen Mitwisserschaft vom Amoklauf. K. soll gewusst haben, was David S. plante, und er habe sich darüber gefreut, so Narin. Der Vorsitzende Richter lasse solche Hinweise jedoch bewusst unter den Tisch fallen.

Später wird Narin vor dem Gerichtsgebäude sagen: Diese Kammer sei ein "Lottogewinn" für den Angeklagten. Offenbar solle der 32-Jährige mit einem milden Urteil davonkommen. "Ein Urteil, das Rechtsfrieden bringt, kann es so nicht geben", so der Anwalt, der auch Nebenkläger im NSU-Prozess vertritt. Eine halbe Stunde lang begründet Narin, warum den Opferfamilien eine Verhandlung unter Richter Zimmer nicht zuzumuten sei. Wie es jetzt weitergeht, ist völlig offen. Nächster Verhandlungstag soll am Mittwoch sein. Doch zuvor muss eine andere Kammer über den Antrag entscheiden.

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