Süddeutsche Zeitung

Prozess:Alles andere als friedlich

Charlotte Knobloch darf nach Ansicht eines Gerichts Äußerungen des Verlegers Abraham Melzer wohl antisemitisch nennen

Von Stephan Handel

Im Magazin Spiegel hat Sascha Lobo vergangene Woche aufgelistet, wie denn Antisemitismus heute funktioniert. Ihm ging es besonders um das Internet. Dass Lobos Darstellung aber in der realen Welt ebenso funktioniert, das war am Mittwoch bei einer Verhandlung vor dem Landgericht zu erleben. Grundtendenz: Wem heutzutage Antisemitismus vorgeworfen wird, der reklamiert für sich, selbst definieren zu können, was Antisemitismus ist, und dann kommt heraus, dass er gerade kein Antisemit ist.

Auf der Klägerbank sitzt der Verleger Abraham Melzer. Er sollte im vergangenen Jahr in München einen Vortrag halten beim Verein "Salam Shalom Palästina-Israel", Thema: "Antisemitismus heute". Weil Melzer den Leuten, die sich damit beschäftigen, hinlänglich bekannt ist, fiel sein Name auch der Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde auf, Charlotte Knobloch, die es für eine Zumutung hielt, Melzer dulden zu müssen in der Stadt, in der sie lebt. Deshalb schrieb sie einen Brief an die Verantwortlichen, in dem stand, Melzer sei "für seine antisemitischen Äußerungen regelrecht berüchtigt". Weil aber Melzer, siehe oben, findet, er könne doch selbst definieren, was antisemitisch sei, fühlte er sich beleidigt und klagte auf Unterlassung. Knobloch erhob Widerklage, weil Melzer später geschrieben hatte, sie, Knobloch, sei "berüchtigt für antidemokratische Gesinnung und rassistische Ausfälle".

Zur Verhandlung im Justizpalast am Stachus hat Melzer einen vielleicht 15-köpfigen Fanclub mitgebracht. Seine eigenen Äußerungen - die Knobloch als Beleg für ihre Meinung anführt - sind unappetitlich: Den israelischen Außenminister bezeichnete er als "Blockwart", israelische Ministerinnen als "Nazi-Weiber", und Verständnis äußerte er für antiisraelische Demonstrationen. Dass dabei Parolen wie "Tod den Juden" und "Juden ins Gas" skandiert worden waren, will er zuerst nicht gewusst haben - laut Sascha Lobo eine weitere klassische Antisemiten-Verteidigungslinie.

Dann aber, als Petra Gröncke-Müller, die Vorsitzende Richterin, deutlich sagt, dass sie ihm das nicht glaubt, möchte er es doch bitte anders gemeint haben - Antisemiten-Taktik Nummer drei. Mit der Meinungsfreiheit hat er's dann auch noch - als könnte man über den Holocaust und darüber, ob die Juden nicht vielleicht doch Urheber der großen Weltverschwörung sind, unterschiedliche, diskutierbare Meinungen vertreten. Sodann reklamiert Verleger Abraham Melzer "Respekt und Toleranz" für sich, nachdem er fast zwei Stunden lang seine eigene Respektlosigkeit und seine Intoleranz dargelegt hat.

Das Gericht hält ihm aber nicht Karl Popper entgegen: "Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden." Vielmehr erklärt Richterin Gröncke-Müller ihm, dass es nicht darum geht zu entscheiden, ob Melzer seine Äußerungen antisemitisch gemeint hat - sondern ob andere sie antisemitisch verstehen könnten. Als Tendenz für ein kommendes Urteil sagt sie, man könne bei Melzers Äußerungen "schon zu der Überzeugung kommen, dass das antisemitisch ist." Umgekehrt sagt sie dem Anwalt von Charlotte Knobloch, diese werde wahrscheinlich hinnehmen müssen, dass sie von Melzer der "antidemokratischen Gesinnung" geziehen werde - nur die "rassistischen Ausfälle", die muss sie sich wohl nicht gefallen lassen.

Kein Ansatzpunkt für eine friedliche Einigung natürlich. Das Gericht wird ein Urteil sprechen, voraussichtlich am 19. Januar.

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Quelle:
SZ vom 21.12.2017
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