Protestkultur in München:Goldgrund-Prinzip als Vorbild

Protestkultur in München: Unter dem Motto "Platz da! Flüchtlinge sind hier willkommen" demonstrierten 12 000 Münchner vor der Bayerischen Staatsoper gegen die flüchtlingsfeindliche und antiislamische Propaganda

Unter dem Motto "Platz da! Flüchtlinge sind hier willkommen" demonstrierten 12 000 Münchner vor der Bayerischen Staatsoper gegen die flüchtlingsfeindliche und antiislamische Propaganda

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Ob Anti-Pegida-Demonstration, Mietwucher oder Flüchtlingspolitik: In München weisen kleinere Initiativen die etablierten politischen Parteien oft auf drängende Probleme der Stadtgesellschaft hin.
  • Langsam lernen die Kommunalpolitiker, dass die Initiativen manchmal doch die einfacheren und schnelleren Lösungen bieten.

Von Franz Kotteder

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit." So beginnt der Artikel 21 des Grundgesetzes. "Wirken mit": Das ist vergleichsweise bescheiden formuliert. Und in München trifft diese Zurückhaltung derzeit besonders zu. Denn manches, was eigentlich in die Kernkompetenz der Parteien fallen müsste, läuft in der Stadt ziemlich an ihnen vorbei. Die große Anti-Pegida-Demo am Montag vor der Staatsoper mit offiziell 12 000 Teilnehmern, sie wurde nicht von der SPD, den Grünen oder der CSU initiiert, sondern von einer kleinen Gruppierung um den Schwabinger Kleinkunstveranstalter Till Hofmann.

Innerhalb einer Woche auf die Beine gestellt, ohne den professionellen, hauptamtlichen Apparat, der einer Partei zur Verfügung steht, wurde direkt aus der Bürgerschaft der Stadt heraus ein deutliches Zeichen gesetzt. Für die Flüchtlinge, die hier ankommen, aber auch gegen die Bewegung derer, die diese Flüchtlinge abweisen wollen. Man kann das auch so deuten, dass viele Münchner sich offenbar derart klare Ansagen von der Politik wünschen und sie von den Parteien meist vermissen.

Auf dem Platz war die Zustimmung fast mit Händen zu greifen, die Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) entgegenschlug für seine spontane Entscheidung vor einigen Wochen,die Bayernkaserne als Notaufnahmelager für Flüchtlinge zu schließen. Reiter hatte das wegen der chaotischen Verhältnisse dort verkündet, ohne groß nach Zuständigkeiten zu fragen. In seiner Stadt dürfe es so etwas nicht geben, befand der OB damals.

Die Kommunalpolitik steht in der Kritik

Das findet eine wachsende Zahl von Münchnern offenbar auch, und nicht nur, was die Flüchtlingspolitik angeht. Bei vielen ist der Eindruck entstanden, die Politik gehe die wahren Probleme in der Stadt gar nicht mehr an und traue sich nichts mehr zu. Tatsächlich sind die Möglichkeiten der Kommunalpolitiker ja auch begrenzt, etwa was das Problem von Wohnraum und Mieten angeht. Gegen den marktwirtschaftlichen Mechanismus von Angebot und Nachfrage kann ein Stadtrat schwer anstinken, solange das Angebot mangels Fläche nicht mal eben so auf die Schnelle der Nachfrage angepasst werden kann. Einfache Lösungen bieten sich da leider nicht an, schon gar nicht auf kommunaler Ebene.

Trotzdem wünschen sich viele Bürger offenkundig einen anderen Umgang mit diesen Problemen. Wenn man den begrenzten Wohnungsbauflächen in der Stadt schon nicht mit einer Begrenzung der Mieten begegnen kann oder will, dann sollen die Renditeobjekte, die Neubauten inzwischen nun einmal sind, wenigstens nicht derart dreist und unverschämt ihren Zweck erfüllen, wie sie es an vielen Stellen in der Stadt tun. Das war vor dreieinhalb Jahren der eigentliche Hintergrund der Proteste gegen den Abriss der Kneipe "Schwabinger Sieben" in der Feilitzschstraße. Die Proteste, damals schon angeführt von Till Hofmann, dem Kleinkunstunternehmer, hatten viele Politiker sehr überrascht, den damaligen Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) eingeschlossen.

Der frühere Mieteranwalt wunderte sich sehr über die plötzlich erwachte Liebe der Schwabinger zu einer etwas ranzigen Absturzkneipe.Dabei ging es ihnen weniger um das Lokal als vielmehr, wie es der Kabarettist Frank Markus Barwasser damals ausdrückte, um das "Shopping-Gesindel", das viel Geld für sündteure Appartements ausgeben kann, diese aber nur brauche, "um dort die Einkaufstüten abzustellen". Heute steht an der Feilitzschstraße 7 ein Appartementhaus mit ziemlich teuren Eigentumswohnungen. Wer darin wohnt, ist nicht so recht ersichtlich.

München kämpft für bezahlbaren Wohnraum

Als der Protest um die "Schwabinger Sieben" aufkam, entstanden auch in anderen Vierteln Initiativen jenseits der etablierten Parteien gegen die sogenannte Gentrifizierung. Die Aktionsgruppe Untergiesing etwa, die sich bald mit anderen Mietervereinen zum "Bündnis bezahlbares Wohnen" zusammentat. Aus diesen Gruppierungen heraus erwuchs dann gar eine Wählervereinigung namens HUT, die bei der letzten Kommunalwahl gar einen Sitz im Stadtrat erringen konnte. Dort bildete sie dann erstaunlicherweise eine Fraktionsgemeinschaft mit der bekannten Mieterpartei FDP und den Piraten. Seitdem hat man von HUT nicht mehr sehr viel gehört.

Die Gruppe um Hofmann ging einen anderen Weg. Sie erfand als satirische Aktion die fiktive Immobilienfirma "Goldgrund", die unter anderem ein aberwitziges Bauprojekt für Superreiche an der Münchner Freiheit ankündigte. Aber selbst das war längst von der Wirklichkeit eingeholt worden mit dem Umbau des ehemaligen Heizkraftwerks in der Müllerstraße zum Luxusturm "The Seven" - mit Quadratmeterpreisen bis zu 20 000 Euro. Die Stadtwerke hatten das Kraftwerk für sehr viel Geld an einen Großinvestor verkauft.

"The Seven" steht seither als weithin sichtbares Symbol für das Versagen städtischer Planungspolitik. Geradezu symptomatisch war die Antwort von Christian Ude in einem Beitrag des Bayerischen Fernsehens 2013 auf die Frage, warum so etwas mitten in der Stadt genehmigt werde. Ude musste lachen und sagte: "Ich habe mich selber auch gewundert!" Ganz so, als sei der Oberbürgermeister nicht oberster Chef der Stadtverwaltung und Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke.

Wie weit Politik und Verwaltung von der Lebenswirklichkeit normaler Bürger oft entfernt sind, zeigten die Goldgrund-Aktivisten inzwischen mit mehreren Aktionen zu leer stehenden städtischen Immobilien. Mal renovierten sie mit prominenter Unterstützung von Dieter Hildebrandt bis zu den Sportfreunden Stiller im Schnellverfahren eine Abbruchwohnung, dann wieder ließen sie auf eigene Kosten Baugutachten erstellen, um städtische Häuser zu retten, die angeblich nicht mehr bewohnbar waren. Inzwischen gibt es einige Erfolge: So entsteht an der Müllerstraße demnächst mit "Bellevue di Monaco" ein Flüchtlingshotel.

Der Transrapid war vielen egal

Es scheint, als habe die Politik in München mittlerweile begriffen, dass Initiativen wie die um Till Hofmann, die nicht den offiziellen Weg von der Eingabe in den Bezirksausschuss bis hinauf zum Stadtrat gehen, manchmal doch die einfacheren und schnelleren Lösungen haben. Und dass die Bürger einer Stadt bisweilen auch klare Ansagen bei ganz normalen Alltagsdingen wollen und nicht nur schöne Leuchtturmprojekte. Zum Beispiel auch in der Verkehrspolitik.

Ein Transrapid zum Flughafen etwa war den meisten herzlich egal. Sie wollten immer schon lieber ein halbwegs störungsfrei funktionierendes S-Bahn-System. Ein Problem, das die Politik bis heute nicht in den Griff bekommt. Da wären wieder kreative Ideen gefragt. Aber leider wohnt die Kleinkunstszene um Till Hofmann halt in der Innenstadt und braucht keine S-Bahn. Vielleicht kann die Politik da was tun?

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