Süddeutsche Zeitung

Proteste gegen Siko:So friedlich wie noch nie

Rund 2000 Menschen demonstrieren am Samstag in der Innenstadt gegen die Münchner Sicherheitskonferenz und für eine humanere Flüchtlingspolitik. Für die Polizei wird es ein entspannter Arbeitstag, nur eine einzige Festnahme gibt es zu vermelden

Von Martin Bernstein,Frank Müller und Tom Soyer

Knapp 2000 Menschen haben am Samstagnachmittag friedlich gegen die Sicherheitskonferenz demonstriert. Die in einem Aktionsbündnis zusammengeschlossenen Veranstalter, die ursprünglich rund 4000 Teilnehmer angekündigt hatten, widersprachen der Polizeizählung, sie kamen auf etwa 3000 Demonstranten. Ansonsten gingen Sicherheitskräfte, Nato-Gegner und Passanten aber entspannt wie selten miteinander um: Die Polizei, die 600 Beamte bei den verschiedenen Kundgebungen am Samstag im Einsatz hatte, verzeichnete nur eine einzige Festnahme. Und die hatte nichts mit dem aktuellen Geschehen zu tun, sondern mit einer Körperverletzung am Rande einer Versammlung im vergangenen November. "Die sind ja ganz entspannt und freundlich", sagte ein Polizist aus Niedersachsen erstaunt - und meinte damit die Münchner.

Dabei sieht es kurz nach dem Start des Demonstrationszugs so aus, als könnten Entspannung und Freundlichkeit schnell wieder vorbei sein. Wolfgang Blaschka, Autor und Filmemacher aus München, der vom Lautsprecherwagen aus traditionell die Kundgebung dirigiert, lässt anhalten. Man warte noch auf einen Bus aus Nürnberg, ist ihm durchgegeben worden, der von der Polizei aufgehalten worden sei. An anderer Stelle im Zug ist später sogar die Rede davon, dass Einsatzkräfte die Teilnehmer eingekesselt hätten. Und dann kommen auch noch Gerüchte auf, dass Rechte am Zugende Ärger machen würden.

Von diesen Rechten ist im Vorfeld viel die Rede gewesen. Weil ein Grüppchen antisemitischer Verschwörungstheoretiker unter dem Friedenstaubenlogo eine eigene Demonstration vom Rindermarkt aus angemeldet hatte - in unmittelbarer Nachbarschaft der israelitischen Kultusgemeinde. Nach einer Anfrage der Süddeutschen Zeitung verlegt das Kreisverwaltungsreferat die Route dann noch. Und die Israel- und Amerikafeinde verlieren die Lust. Sie lassen ihre geplante Demo sausen und bleiben am Rindermarkt. Keine 20 Mann stark ist das Grüppchen um Hendra Kremzow, das sich unter der Flagge der prorussischen Donbass-Rebellen zusammengeschart hat und Putin und Assad preist. Die Gegendemonstranten von der Antifa, die vorsorglich zum Rindermarkt gekommen sind, falten ihr Transparent zusammen - und entrollen es wenig später auf der großen Kundgebung der wirklichen Friedensbewegung am Stachus wieder. Dort passt es zwar eigentlich nicht, aber es ist halt zu schön: "Aluhüte zusammenfalten! Gegen Antisemitismus und Verschwörungstheorien." Ähnliches wird auch KZ-Überlebender und Zeitzeuge Ernst Grube kurz darauf einer Gruppe von Konfirmanden in der Markuskirche erzählen. Er bahnt sich einen Weg durch die vielen Demonstranten am Karlsplatz. Nein, sagt er, für die Demo habe er heute keine Zeit: "Aber beides ist gleich wichtig."

Das findet auch Kathrin Gebhardt, eine der ersten am Stachus. Sie hört dort der Kabarettistin Lisa Fitz zu, die sagt: "Die Siko ist die Après-Ski-Hütte der Rüstungsindustrie." Gebhardt bezeichnet sich selbst als "undogmatische Linke". Eine solidarische Gesellschaft ohne Rassismus und Militarismus, das ist der Traum der 60-Jährigen. Deshalb ging die Cutterin aus München früher schon auf die Straße gegen die "Wehrkundetagung" im Bayerischen Hof. Jetzt ist sie wieder unterwegs für den Frieden - und nickt zustimmend, wenn Lisa Fitz sagt: "Diese Siko gibt es seit 1963 - und was ist sicherer geworden? Nichts!"

Dann gibt Blaschka auf seinem ausgedienten Feuerwehrauto das Zeichen: Weiter geht's! Die Biker vom linken Motorradclub "Kuhle Wampe" - auch sie seit Jahren an der Spitze der Anti-Siko-Demo - starten ihre Maschinen. Vorbei am Promenadeplatz, vorbei am Platz der Opfer des Nationalsozialismus. Dort richten sich besorgte, auch nervöse Blicke der Polizisten auf die Bäume. Im Zug ist eine Abordnung der "Refugees Struggle for Freedom", das weckt Erinnerungen an die letzte Besetzungsaktion am Sendlinger Tor. Doch alles bleibt ruhig. Den Flüchtlingen und ihren Unterstützern ist es wichtig, ihr Anliegen zu vermitteln: Sofortiger Stopp der Abschiebungen. Sichere Fluchtwege. Das Flüchtlingsthema beherrscht den Protestzug.

Dieser ist eine Art Familientreffen der Friedensbewegung. Und in dessen Verlauf wird auch klar, was der vorherige Grund für die Verzögerung gewesen ist. Einige junge Teilnehmer haben von der Theatinerstraße über die Fünf Höfe einen Abkürzer zur Kundgebung gesucht - und sind an einem Abschnitt des etwa zwei Kilometer langen Sperrgitters von niedersächsischen Polizisten aufgehalten worden. Etliche der jungen Leute suchen sich einen anderen Weg, ein paar aber wollen das nicht einsehen. Sie wollen ihre Personalien nicht angeben, haken sich unter, rufen: "Wir sind friedlich! Was seid ihr?" Die Beamten packen zu, ziehen die Jugendlichen einzeln zu Identitätsfeststellungen heraus. Das sieht für Umstehende nicht schön aus. Polizisten vom Kommunikationsteam versuchen, aufgebrachten Passanten die Situation zu erklären. Es bleibt der einzige Zwischenfall an diesem Tag. Null Gewahrsamnahmen vermeldet die Polizei in ihrer Bilanz. Das Ganze sei "friedlich wie noch nie" gewesen, sagt Sprecher Marcus da Gloria Martins und lobt die Kooperationsbereitschaft der Demonstranten. Umgekehrt hat Einsatzleiter Werner Feiler auch immer wieder ein Auge darauf, dass auch die Polizisten aus anderen Bundesländern so auftreten, wie er das in München möchte. Nämlich nicht martialisch. Es passt ins Bild, dass der einzige Knall, der bei der Demo zu hören ist, von einem Konfetti-Böller herrührt. Und dass die Münchner Polizei die weltweit größte Aufmerksamkeit für einen Tweet bekommt, in dem sie verspricht: "Die Zugspitze hat mittlerweile den Odeonsplatz erreicht."

Entspannt geht es auch abseits der Demo-Route zu. Münchner Hunde dürfen an Polizeifahrzeugen schnuppern, ohne verhaftet zu werden. "Hallo Polizeikumpel", begrüßen die Kinder einer Familie die vorbeiziehenden Sicherheitskräfte. "Hi", grüßen diese entspannt zurück. Trotz Demo und 650 Absperrgittern, trotz mehr als 300 Eskortenfahrten für besonders zu schützende Konferenzteilnehmer, trotz insgesamt 4200 Polizeibeamter, die an den drei Tagen die Sicherheitskonferenz schützen (und dabei übrigens mit 28 000 Mahlzeiten versorgt werden müssen) - die Beeinträchtigungen für die Münchner halten sich in Grenzen. Autofahrer brauchen etwas länger im Samstagsverkehr. In der Fußgängerzone läuft der übliche Samstagsbetrieb. Nur in der direkten Umgebung des Bayerischen Hofs haben viele Geschäfte gleich komplett zugesperrt. Ein Mann will durch die Absperrung am Promenadeplatz Richtung Fünf Höfe, er möchte in einen Buchladen. Die Polizisten aus Baden-Württemberg haben keine Ahnung, was die Fünf Höfe sind, aber eines wissen sie sicher: Es ist kein Durchkommen. Auch für ihn nicht, der gar nichts mit der Kundgebung zu tun hat.

In der Fußgängerzone lässt man sich von dem Trubel kaum stören, auch nicht von der Menschenkette, die die Umzingelung des Bayerischen Hofs komplett machen soll. Kathrin Gebhardt findet, dass genau das ein Problem ist. Die Leute gäben sich heutzutage eher dem "Daumenballett" hin, sagt sie und meint damit das Tippen auf den Smartphones. Aber niemand handle, sagt sie. "Deshalb ist es gut, auf die Straße zu gehen."

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SZ vom 20.02.2017
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