Protest gegen Neubauprojekte:Die große Bau-Wut

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Schwabinger 7, Lindwurmstüberl, Dachauer Schlossberg: Warum die Bürger immer dann besonders heftig protestieren, wenn alte Gemäuer niedergerissen werden sollen.

Christian Mayer

Der Höllenhund sieht so aus, als werde er gleich fürchterlich zubeißen, sobald er von der Kette gelassen wird; er wacht zähnefletschend im Vorhof zu der Kneipe, über die im Moment alle reden. Ein hübsches Bild für die Wut, die angestauten Aggressionen, den Widerstand im Viertel? Oder steht der Höllenhund für die grausamen Großinvestoren und herzlosen Luxussanierer, die hier die letzten Reste eines Soziotops plattmachen?

Protest gegen Neubauprojekte: Schaurig schön, abgrundtief hässlich und ziemlich bald platt: die Schwabinger 7 als alkoholgetränktes Stillleben.

Schaurig schön, abgrundtief hässlich und ziemlich bald platt: die Schwabinger 7 als alkoholgetränktes Stillleben.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sicher ist eines: Bald wird die ganze Wand von "Mama's Kebap Haus" samt Graffiti niedergerammt, auch der schäbige Verhau, in dem sich seit vielen Jahren die Schwabinger 7 behauptet, wird dem Erdboden gleichgemacht, sofern sich die Aktivisten nicht an der Abrissbirne festketten.

Was ist los, dass Bürger aller Schichten und Künstler aller Sparten für den Erhalt einer Baracke aus den fünfziger Jahren auf die Straße gehen, dass die Facebook-Gemeinde tobt und jetzt sogar ein CSU-Staatsminister versucht, sich an die Spitze der Widerstandsbewegung zu setzen? Binnen weniger Wochen hat es die Initiative "Rettet die Münchner Freiheit" geschafft, nicht nur Tausende von Demonstranten auf die Straße zu bringen.

Das Protest-Bündnis würde die bestehenden Bauten am liebsten unter Denkmalschutz stellen und die Hamburgische Immobilien Handlung (HIH), die in der Feilitzschstraße einen Riegel mit Wohnungen plant, gerne zum Teufel jagen - eine schöne Illusion. Der Genehmigungsprozess sei zu weit fortgeschritten, entgegnet der SPD-Fraktionschef im Rathaus Alexander Reissl.

Schwer genervt reagiert Oberbürgermeister Christian Ude, wenn man ihn auf die Baracke anspricht, die zum Politikum geworden ist. Den passenden Sound liefert der Musiker Konstantin Wecker, der mit seiner Klage über die Allmacht der Investoren und den Ausverkauf ganzer Stadtviertel einen Nerv trifft. Die meisten Münchner würden zwar nie einen Fuß über die schmale Schwelle zur Absturzkneipe in der Feilitzschstraße setzen, aber viele Menschen haben doch ein großes Unbehagen dabei, dass hier demnächst schon wieder ein Domizil für Leute hochgezogen wird, die sich teuer einkaufen und ihre Ruhe haben wollen.

Die Schwabinger 7, in der lange Zeit bis zur Körperverletzung gesoffen und geraucht wurde, ist ein Symbol geworden für das, was München und seinem Umland verloren geht: der Charme des Unfertigen, der Reiz des Verlebten, auch das notwendige Quantum an Hässlichkeit, das Schönheit erst ermöglicht. Alles Störende muss aus der Hochglanz-Kulisse operativ entfernt werden, es herrscht ein gnadenloser Veredelungswettbewerb. Baulücken und Brachflächen gibt es ohnehin kaum mehr, freie Grundstücke sind Mangelware, deshalb stürzen sich die Investoren auf die wenigen Flächen, die noch auf den Markt kommen - mit dem Resultat, dass immer weiter "nachverdichtet" wird.

Es gibt Firmen, die bieten 10.000 Euro Belohnung nur für einen Tipp: Im Münchner Süden werden auf diese Weise frei werdende Häuser gesucht, die man dann abreißen kann. So wie die frühere Osteria Santini in der Fraunhoferstraße, ein orangefarbener Flachbau mit legendärem Kastanienbiergarten. Was nicht passt, wird passend gemacht - auch hier plant ein Premiumanbieter weitere Luxusappartements.

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