Protest-Aktionen:Münchens Studierende - alles andere als unpolitisch

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"Nein" lautet der zentrale Slogan der Polizeiklasse der Kunstakademie, in diesem Fall richtet sich der Protest gegen Horst Seehofer. (Foto: Michael Trammer/Imago)
  • Viel Raum für politisches Engagement gibt es an den Hochschulen nicht, klagen die Studenten.
  • Trotzdem zeigen sie ihren Unmut: Der Protest gegen das Polizeiaufgabengesetz hat zu neuen Initiativen geführt, die mit plakativen Aktionen in Erscheinung treten.

Von Anna-Elena Knerich

Es ist die heiße Phase kurz vor den Prüfungen. Wer sich nicht dazu verleiten lässt, das Wetter im Englischen Garten zu genießen, sitzt in der Bibliothek und lernt. Doch es ist auch politisch eine heiße Phase. So heiß, dass manch Studierender gerade wenig Zeit für die Bibliothek oder für die Isar hat - weil er oder sie beim "Bildungsstreik" gegen die Abschiebung von Asylbewerbern aus Schulen dabei ist, bei der "Kein Schlussstrich"-Kundgebung gegen die NSU-Urteile, bei Protesten gegen Söders Kreuzerlass oder gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung. Und natürlich auf den Demonstrationen gegen das Polizeiaufgabengesetz (PAG) und der "Ausgehetzt"-Demo.

Organisiert oder unterstützt werden viele dieser Proteste von dem überparteilichen Bündnis NoPag-Jugend, das sich jeden Dienstag im DGB-Haus trifft. "In der Klausurenphase kommen zwar etwas weniger junge Leute zu unseren Treffen, aber immer noch genug, um die nächsten Aktionen zu planen", sagt Franziska Büchl, Vertreterin der Grünen Jugend im Bündnis. Seit das PAG in Kraft trat, sähen die jungen Leute erst recht Protestbedarf.

Proteste
:"Die jungen Leute heute sind nicht blöder als wir damals"

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Es ist nicht so, dass erst das umstrittene Gesetz die Münchner Studierenden politisiert hat, doch es hat viele bewogen, auch aktiv zu werden: "Ich wollte mich schon länger politisch engagieren, aber irgendwie hat mich keine Organisation richtig angesprochen", lautet der Tenor. Das politische Interesse der Studierenden manifestiert sich nicht mehr zwingend parteipolitisch, und auch bei den Hochschulwahlen ist die Beteiligung sehr gering. Dafür finden innovative Formen politischer Auseinandersetzung größeren Anklang.

Bei der Aktion "Wir bringen der CSU das Grundgesetz (vor)bei!" legte die NoPag-Jugend Gesetzbücher vor dem Innenministerium nieder, um symbolträchtig die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes anzuprangern. Franziska Büchl betont aber ausdrücklich auch die Informationskampagne des Bündnisses, denn: "Die Jugend wird oft auf Symbolpolitik reduziert, was Anfang 2018 ja unter dem Hashtag #diesejungenLeute thematisiert wurde. Diesem Vorwurf stellen wir konkrete politische Inhalte entgegen, die wir auf allen Kanälen verbreiten." Aus ihrer Sicht gibt es keine Politikverdrossenheit bei jungen Leuten, vielmehr erschwerten die Strukturen das politisches Engagement.

Mit künstlerischen Protestaktionen wie einem Schweigemarsch, Attrappen von Überwachungskameras im Englischen Garten oder kollektivem Erbrechen vor dem Landtag sorgt auch die "Polizeiklasse" für Aufsehen - ein Kollektiv der Akademie der Bildenden Künste, in dem sich auch externe Studierende mit ihren Kompetenzen einbringen: Jurastudenten etwa wollen in Rechtsfragen beraten, ein Philosophiestudent schickt Texte herum, die in einer Theoriegruppe besprochen werden.

An der Uni ist Protest nicht erwünscht

Ein Wort eint dieses heterogene Kollektiv: "Nein". Nein zum Polizeiaufgabengesetz, zur aktuellen politischen Situation - und zu dem Vorurteil, dass die junge Generation nicht politisch sei. "An der LMU gibt es keinen Raum für politische Aktivitäten, weil diese von der Uni gar nicht erwünscht sind", sagt ein Ethnologiestudent, deshalb engagiere er sich in der Polizeiklasse.

Seit Juni herrscht jedoch auch in der Polizeiklasse Unmut über die eigene Institution: Im April hatte die Akademieleitung dem Kollektiv einen Saal im Akademiekeller zur Verfügung gestellt, jedoch nur bis zum Sommer. "Wir wurden dann viel zu kurzfristig informiert, dass wir den Saal räumen müssen. Die Kommunikation mit der Hochschulleitung funktioniert einfach nicht", beschwert sich ein Kunststudent bei einem der provisorischen "Open Orbit"-Treffen, die die Gruppe zwischenzeitlich in der Akademie-Kantine abhielt.

Zwar darf die Polizeiklasse den Saal für die einwöchige Jahresausstellung im Juli wieder bespielen - doch wie es danach weitergeht, wissen sie nicht. Deshalb, so fordert der Kunststudent, müsse man jetzt überlegen, ob man "gegen diese Repression auf die Barrikaden gehen" wolle. Sofort regt sich Kritik: "Ich fühle mich hier wie bei einer Sitzung von Linksradikalen, aber ich verstehe uns eigentlich als Künstler-Kollektiv. Wenn wir schon revolutionär wirken, dann bitte mit einem positiven Fokus", sagt ein anderer Akademiestudent und entfacht eine hitzige Debatte über das Selbstverständnis der Polizeiklasse: Geht es einem um subtile Protestaktionen, politische Kunst oder um künstlerischen Aktivismus? Sollte man nur zum kritischen Hinterfragen anregen, den Diskurs beeinflussen oder auch Basisarbeit leisten?

Repression, Barrikaden, Revolution - diese Begriffe erinnern an die Studenten, die vor 50 Jahren genau dieses Gebäude zum Zentrum ihres Protests gemacht haben. Doch die Polizeiklasse unterscheidet sich von den Achtundsechzigern in einem wesentlichen Punkt: Richteten sich die "Malaktionen" der Akademiestudenten 1968 vor allem gegen die nicht entnazifizierte Hochschulleitung, blieben sie also innerhalb ihrer Institution, so trägt die Polizeiklasse ihren Protest ganz bewusst raus in die Stadt und ins Internet.

Demonstration
:Mehr als 2000 Schüler und Studenten protestieren gegen Polizeiaufgabengesetz

Fast in Hörweite des bayerischen Landtags demonstrierten Schüler und Studenten gegen das Polizeiaufgabengesetz.

In den sozialen Medien herrscht Solidarität unter den jungen Initiativen: Anstatt zu konkurrieren, unterstützen sie sich gegenseitig, teilen Aufrufe für die nächsten Protestaktionen. Grundsätzlich herrscht breiter Konsens darüber, dass es für Studierende in München sehr schwierig ist, sich politisch zu engagieren: Das Studium ist eng getaktet, und viele arbeiten nebenher, um die hohen Mieten bezahlen zu können. An der LMU bekommen Hochschulgruppen keine Räume mehr, was die Universität zusätzlich entpolitisiert.

Vor allem kritisieren die jungen Leute, dass es in Bayern keine verfasste Studierendenschaft gibt - die hatte Kultusminister Hans Maier 1974 abgeschafft, um "den linken Sumpf an den Universitäten trocken zu legen". Um dennoch politisch Ausdruck zu finden, greifen die Studenten auf kreative Mittel zurück: So schlossen sich Studierende und Dozierende verschiedener Geisteswissenschaften als "Bündnis für Kreuzvielfalt an Bayerischen Hochschulen" zusammen, um sich mit "kollektiven Kreuzlektüren" gegen den Kreuzerlass zu positionieren.

Auch an der Technischen Universität (TU) versucht man, mit einem Format namens "Trump vs. Wissenschaft" oder einem "Diversity Slam" das politische Interesse zu fördern: "Naturwissenschaftler sind nicht per se unpolitisch, ihnen fehlt oft nur der Anstoß, sich damit zu beschäftigen", sagt Fabienne Marco, die hochschulpolitische Referentin der TU.

Die Slams erfreuen sich großer Beliebtheit

Die 24-Jährige musste die Erfahrung machen, dass die AfD auch im universitären Rahmen polarisiert: Weil bei einer Podiumsdiskussion im Juni fünf Politiker nicht mit dem eingeladenen AfD-Vertreter diskutieren wollten, sagte sie diese schließlich ab: "Das war eine schwierige, aber die richtige Entscheidung - und vor allem haben wir dabei auch gelernt, dass Podiumsdiskussionen momentan nicht als Format funktionieren." Anfang Oktober soll es eine Folge-Veranstaltung mit Experten aus Medien und Wissenschaft geben, um das Thema aufzuarbeiten, sagt Fabienne Marco. Weil die Slams an der TU bislang erstaunlich gut besucht waren, wolle sie künftig noch mehr davon organisieren - "aber erst nach der Klausurenphase".

© SZ vom 19.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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