Süddeutsche Zeitung

Protest:23 000 Menschen sagen nein

Weder der Dauerregen noch das Oktoberfest halten Tausende davon ab, erneut in München gegen die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta zu protestieren. Während sich die CSU vor einem Auftritt drückt, nutzt die bayerische SPD die Gelegenheit, um sich gegen Vizekanzler Gabriel zu stellen

Von Christian Gschwendtner

Die Demo ist vorbei und Martin Geilhufe vom Bund Naturschutz erleichtert. Er hat den Anti-Freihandels-Protest in München mitorganisiert - aber vor allem hat er bis zum Schluss gezittert. Lange war unklar, ob es der Bayernfiliale der TTIP- und Ceta-Gegner an diesem Samstag gelingt, genügend Menschen auf die Straße zu bringen. Die Ausgangslage hätte nicht schwieriger sein können. Ausgerechnet den Wiesn-Eröffnungstag haben sich die Veranstalter ausgesucht, in der Arena spielt der FC Bayern. Dazu noch ein unerbittlicher Dauerregen. Es gibt einfachere Tage, an denen man sich mit seinen Anliegen Gehör verschaffen kann.

Die Organisatoren wussten, was da auf sie zukommt. Kurzzeitig überlegte man, die Demo nach Nürnberg zu verlegen. "In München wissen wir aber, dass wir viele Leute erreichen können", sagt Geilhufe. Im Juni 2015 hatten hier 40 000 Menschen gegen TTIP und den G-7-Gipfel auf Schloss Elmau demonstriert. An diesen Erfolg wollte man anknüpfen. Der Platz vor der Staatskanzlei war vermutlich auch der symbolträchtigere Ort. Also haben sich Geilhufe und seine Mitstreiter entschieden, "die Challenge", wie sie das nennen, anzunehmen.

Am Ende wohl die richtige Entscheidung. Laut Polizei haben am vergangenen Samstag 23 000 Menschen auf dem Odeonsplatz gegen die beiden Transatlantik-Abkommen demonstriert. Die Veranstalter berichten von noch mehr Teilnehmern. In jedem Fall sind die anfänglichen Erwartungen übertroffen worden. Karl Bär vom Münchner Umweltinstitut, der die erste Rede hält, wird deshalb sagen: "Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Handelsabkommen."

Die beachtliche Mobilisierung zeigt wieder einmal deutlich: Kein anderes Thema treibt in Bayern derzeit so viele Menschen auf die Straße, nicht die Flüchtlinge, nicht Erdoğan. Als wollten sie das noch einmal unterstreichen, haben einige Freihandelsgegner selbstgebastelte gelbe Ortsschilder mit auf den Odeonsplatz gebracht. Sie sollen zeigen: Die Menschen, die hier demonstrieren, kommen aus ganz Bayern: Aus Landshut, aus Rosenheim, aus Augsburg. Auf der Ludwigstraße, vor der Universität, wo an normalen Samstagen der Verkehr brummt, parken 34 Busse. Mit ihnen sind die Demonstranten nach München kommen.

Weil der Protest gegen das Freihandelsabkommen so populär ist, legt die Anti-TTIP-Bewegung großen Wert darauf, sich von rechten Strömungen abzugrenzen. Gleich zu Beginn schickt Renate Börger vom globalisierungskritischen Bündnis Attac eine Grußnachricht an die Flüchtlinge, die gerade am Sendlinger-Tor-Platz ein Protestlager errichtet haben. Ihre Botschaft: Wir sind weltoffen.

Am geplanten Ceta-Abkommen lassen die Redner auf der Bühne freilich kein gutes Haar. Immer wieder ist von Genprodukten die Rede, die über die Hintertür nach Europa kommen sollen. Von undemokratischen Schiedsgerichten, die Ceta einführe. Oder: "Es geht nur um Gewinnmaximierung für die großen Konzerne, die Arbeitnehmerrechte werden auf den Prüfstand kommen", wie Erna Groll, die Landesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung (KAB), das formuliert. Applaus. Die Freihandelsgegner recken ihre bunten Transparente, Plakate und Banner in die Luft.

Es ist ein breiter Ausschnitt aus der Bevölkerung, der sich da versammelt hat: Rentner, Familien, Jugendliche. Mindestens genauso vielfältig, wie die 27 Gruppierungen, die zur Kundgebung in München aufgerufen haben. Neben Umweltorganisationen und Gewerkschaften befinden sich auch einige Parteien im Anti-TTIP-Lager. Sie treffen am Samstag in einem "Parteientalk" aufeinander. Wobei das Wort "Talk" leicht in die Irre führt. Es geht eher um knackige Botschaften, die unters Wahlvolk gebracht werden.

Auffallend und wenig überraschend ist sofort: Die CSU hat keinen Vertreter geschickt. Warum auch, gehört sie doch zu den Freihandels-Befürwortern. Erst vor zwei Wochen hat die bayerische Europaministerin Beate Merk noch einmal klargestellt: "Ceta ist aus bayerischer Sicht ein gutes, ambitioniertes und gleichzeitig ausgewogenes Abkommen." Man muss kein großer Prophet sein, um zu ahnen, welche Reaktion sie mit solchen Worten bei den Demonstranten auf dem Odeonsplatz hervorgerufen hätte.

Interessant ist deshalb auch der Aufritt von Maria Noichl, der SPD-Europaabgeordneten aus Rosenheim. Schnell wird klar: Noichl versucht erst gar nicht, ihren Parteichef Sigmar Gabriel in Schutz zu nehmen. Im Gegenteil, sie geht hart mit Gabriel ins Gericht und fordert von ihm ein kompromissloses "Nein zu Ceta". Das sei die klare Ansage an den Parteikonvent, der an diesem Montag in Wolfsburg tagt. Dort beschließt die SPD ihre Position zu Ceta - der Hauptgrund, warum die Menschen auch in München demonstrieren gehen. Noichl jedenfalls redet sich fast ein bisschen in Rage, sie lässt keinen Zweifel: die SPD-Basis in Bayern will Ceta nicht. Das bringt ihr einiges an Sympathiepunkten bei den Demonstranten. Als die SPD-Politikerin die Treppe von der Bühne hinuntersteigt, bittet ein Mann um ein Selfie. Sein Wunsch wird erfüllt.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2016
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