Süddeutsche Zeitung

Urteil:54-Jähriger zwingt junge Frau zur Prostitution

  • Eine 22-Jährige unterschrieb Verträge, die sie dazu zwangen, als Prostituierte zu arbeiten. Aufgrund einer massiven Lese- Rechtschreibschwäche konnte sie den Inhalt jedoch nicht verstehen.
  • Als das Opfer aussteigen wollte, warf der Angeklagte ihr Vertragsbruch vor und forderte immense Geldmengen.
  • Nun verurteilte ihn das Amtsgericht München zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung.

Von Susi Wimmer

Es mag Mädchen geben, auf deren Berufswunschliste Pornosternchen ganz oben steht. Rahel Gerber (Name geändert) jedenfalls sah darin die Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie bewarb sich auf einer Internetseite für ein Casting in München und stellte sich bei Ralph W. in seiner Denninger Wohnung vor. Der ließ die leseschwache und naive 22-Jährige Verträge unterschreiben, die sie dazu zwangen, ihre mutmaßlich immensen Schulden bei Ralph W. als Prostituierte abzuarbeiten. "Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung", nennt das der Jurist. Unter anderem dafür wurde der 54-Jährige am Montag vom Amtsgericht München zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, die gerade noch zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Richterin Ines Tauscher benötigt einen langen Atem, um alle Einträge zu verlesen, die sich im Bundeszentralregister von Ralph W. seit 1986 angesammelt haben. Da geht es um Veruntreuungen, Betrug und auch schweren Menschenhandel. "Seit Jahren haben sie sich ein Lügengerüst aufgebaut, dass sie vermutlich selbst glauben", so formuliert es die Staatsanwältin, "dabei sind sie ein arbeitsloser Betrüger, der sich junge naive Frauen sucht."

Das Lügengerüst bestand aus der Legende, dass sich der ausbildungs- und arbeitslose Ralph W. im Netz als versierter Porno-Kameramann und Webdesigner anpries. Im Oktober 2014 stellte sich Rahel Gerber bei ihm in München vor. Sie hatte gerade eine gewalttätige Beziehung hinter sich gebracht und nach eigenen Angaben ihr Leben "wieder einigermaßen im Griff". Es folgten Probe-Pornodrehs, Fotos für den Internetauftritt und auch die Einwilligung, dass Rahel Gerber, wie früher auch schon einmal, im Escort-Gewerbe arbeiten werde.

Was die Frau unterschrieb, konnte sie aufgrund ihrer massiven Lese- und Rechtschreibschwäche gar nicht nachvollziehen. Jedenfalls sollte Ralph W. den Werbeauftritt pflegen und die Kunden vermitteln. Dafür sollte sie ihm die Hälfte ihrer Einnahmen abgeben. Während dieser Zeit schlief Rahel Gerber bei Ralph W. in der Wohnung auf der Couch, ihre Kunden empfing sie in einem Stundenhotel. Als aber ein Freier mit dem Pseudonym "Fesselmeister" devote Handlungen von ihr verlangte, wollte sie aussteigen. Doch Ralph W. verwies auf die zweijährige Vertragsdauer, warf ihr Vertragsbruch vor und verlangte Schadenersatz. 48 000 Euro müsse Rahel Gerber in einem halben Jahr an ihn abzahlen.

"Er drohte mit dem Gerichtsvollzieher", sagte Rahel Gerber später der Polizei. Sie habe Angst um ihre Freunde gehabt, dass er bei ihnen jemandem zum Geld eintreiben vorbeischicke. Erst als sie sich einem Kunden anvertraute, schaffte sie es, sich von Ralph W. zu lösen und zur Polizei zu gehen. Im Grunde, so sagt sie, sollte sie laut Vertrag die Haussklavin von Ralph W. sein. Sie habe keine andere Wahl gehabt, als sich zu prostituieren. Binnen drei Monaten zahlte sie 14 000 Euro an Ralph W. Der kassierte nebenbei auch noch jahrelang über 20 000 Euro Arbeitslosengeld und Sozialleistungen vom Staat. Deshalb ist Ralph W. auch wegen gewerbsmäßigen Betrugs vor dem Amtsgericht angeklagt. "Wo das Geld geblieben ist, wissen wir bis heute nicht", sagt Richterin Tauscher. Und: "Es bleibt der Eindruck, dass viel mehr mitschwingt, was wir nicht wissen."

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SZ vom 10.07.2018/baso
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