Prostitution in München:Sex ist käuflich, Liebe nicht

In München arbeiten 2500 Frauen als Prostituierte - doch über das Geschäft mit dem Sex wird wenig gesprochen. In den letzten Jahren hat sich einiges in dem Gewerbe verändert.

Beate Wild

Grazil und mit aufrechter Haltung sitzt Rosa (Name von der Redaktion geändert) da, ihr Blick ist offen und direkt, sie strahlt Selbstsicherheit und Ruhe aus. Es ist ein Nachmittag im Januar, Rosa ist nicht im Dienst. Gekleidet ist sie ganz in Schwarz: hautenge Lederhose, Pulli mit tiefem Dekolleté, Stiefel mit hohen Absätzen. Ihre dunklen, langen Haare hat Rosa zu einem strengen Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Um ihren Hals baumelt eine Kette aus lauter kleinen Handschellen.

Prostitution in München: Eine Prostituierte in einem Bordell: Täglich gehen in München etwa 4500 Männer zu Huren.

Eine Prostituierte in einem Bordell: Täglich gehen in München etwa 4500 Männer zu Huren.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Dieses kleine Detail ist der einzige Hinweis auf das, womit Rosa ihr Geld verdient. Die Frau, die ihr genaues Alter nicht verraten will und schätzungsweise Anfang 40 ist, arbeitet als Domina in München. Bereits seit 20 Jahren ist sie in diesem Geschäft. Fragt man, wie es ihr geht, antwortet sie: "Man schlägt sich so durch" - und lacht dabei.

Wie sie dazu gekommen ist, einer solchen Profession nachzugehen? "Ich habe mich für mehr als nur einfachen Sex interessiert, man rutscht da rein", sagt sie mit tiefer, erotischer Stimme. Rosa war jung und wollte herumexperimentieren. Sie besuchte SM-Stammtische und kam so in Kontakt mit der Szene. Irgendwann ist sie dann einmal von einem Mann gefragt worden, ob sie sich nicht für Geld mit ihm "beschäftigen" würde.

"Der Beruf macht mir richtig Spaß", sagt Rosa, "das kann nicht jeder von sich sagen." Hauptsächlich arbeitet sie in Studios in München, hin und wieder hat sie auch Gastengagements in Hamburg oder anderen deutschen Städten.

Wenn ein Mann sich überlegt, zu einer Domina zu gehen, wird er erst einmal im Internet die einschlägigen Webseiten durchforsten. Er muss sich vorher genau überlegen was er eigentlich erwartet, denn Domina ist nicht gleich Domina. Viele der Damen sind auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert.

Da gibt es etwa den klassischen Bereich, bei dem der Kunde an ein Andreas-Kreuz gebunden und mit einer Peitsche behandelt wird, die Bondage- und Fessel-Spiele, die Bereiche "Fußerotik" oder "Käfig", die TV-Transformate (TV bedeutet Transvestitismus; bei dieser Spielart zieht sich der Mann Frauenklamotten an und schminkt sich) oder auch den klinischen Bereich, der als wohl riskanteste Variante gilt.

Hat sich der Mann entschieden, was er denn nun gerne für eine Behandlung hätte, nimmt er mit der Dame seiner Wahl Kontakt über das Internet auf und vereinbart mit dieser einen Termin.

Die Dominas in München arbeiten in sogenannten Studios. Diese Etablissements befinden sich allesamt außerhalb des Sperrbezirks - er umfasst die gesamte Innenstadt und die Wohngebiete. Einige Etablissements sind am Frankfurter Ring. "Die Männer, die zu mir kommen, sind meistens in einer festen Beziehung", erzählt Rosa. Ledige Herren würden eher zu "normalen" Prostituierten gehen. Dagegen hat der klassische Domina-Kunde zu Hause eine Frau sitzen, die von seinen Neigungen in der Regel jedoch keinen blassen Schimmer hat.

Im Video: Werbestrategen im horizontalen Gewerbe. Süddeutsche Zeitung TV über das Wirtschaftswunder einer Branche, die immer noch mit ihrem schlechten Ruf kämpft.

Dominas haben nie Sex mit den Kunden

"Der Prototyp eines Kunden? Das ist Herr Müller/Schmidt/Maier, zum Beispiel Buchhalter bei Siemens", lacht Rosa. Sie meint damit, dass die Männer, die zur ihr kommen, oft konservativ und bürgerlich aussehen und meist wie "Otto-Normalbürger" wirken, denen man ihre Neigungen keineswegs ansieht.

Prostitution in München: Carmen Jörg, Leiterin von "Mimikry", der Beratungsstelle für anschaffende Frauen in München.

Carmen Jörg, Leiterin von "Mimikry", der Beratungsstelle für anschaffende Frauen in München.

(Foto: Foto: Beate Wild)

In München gibt es etwa 2500 angemeldete Prostituierte. Wie viele davon als Domina arbeiten, darüber gibt es keine exakten Zahlen. "Für den Staat ist das alles das Gleiche", sagt Rosa. Dabei ist der elementare Unterschied zwischen Hure und klassischer Domina, dass Letztere mit ihrem Kunden niemals Geschlechtsverkehr hat.

Das Geschäft mit dem Sex ist in München streng geregelt. Wer hier als Prostituierte arbeiten will, muss eine selbständige Tätigkeit anmelden, erhält eine Steuernummer und muss eine Einkommensteuererklärung abgeben. Die Polizei kontrolliert auf dem Straßenstrich und in den Bordellen regelmäßig die Papiere der Damen. Wer illegal arbeitet, bekommt großen Ärger.

"Die Prostitution in München ist ein regelmäßig von der Polizei kontrolliertes Geschäft", sagt Carmen Jörg. Die 43-jährige Sozialpädagogin leitet Mimikry, die Beratungsstelle für anschaffende Frauen in München. Dieses Jahr feiert Mimikry sein 20-jähriges Jubiläum. Die Einrichtung wurde damals vom Evangelischen Hilfswerk gegründet, um eine Anlaufstelle für die Damen des horizontalen Gewerbes zu schaffen.

Über Preise wird ungern gesprochen

In München, sagt Jörg, gibt es keine offene Drogenszene, weshalb es auch keine auffällige Beschaffungsprostitution gibt. Die Substitution mit Ersatzstoffen ist bei Drogensüchtigen in der bayerischen Landeshauptstadt so gut, dass es nicht zwingend notwendig ist, sich wegen Drogen zu prostituieren. Auch Aids sei bei den Münchner Huren kein Thema. "Die Frauen schützen sich gut, ich persönlich kenne keine einzige HIV-positive Prostituierte."

Das liegt unter anderem daran, dass der Paragraph 6 der Bayerischen Hygieneverordnung Kondomzwang vorsieht. Diese Verordnung hängt in jedem Münchner Bordell offen aus. Die Huren können im Zweifelsfall ihre Freier darauf hinweisen. Zudem gibt es Zivilfahnder, die die Damen in Sachen Kondompflicht immer wieder auf die Probe stellen. Sie geben sich als Freier aus und testen die Grenzen der Damen. Würde sich eine gesetzeswidrig verhalten, hätte dies ordnungsrechtliche Konsequenzen.

Über Preise sprechen die anschaffenden Damen im Übrigen gar nicht gerne. "Es herrscht auch in diesem Geschäft ein deutliches Nord-Süd-Gefälle, die Preise in München sind höher als beispielsweise in Hamburg", sagt Jörg. Es fange bei etwa 50 Euro an. In der Regel kostet eine ganze Stunde bei einer "normalen" Hure 100 bis 150 Euro. Eine Domina verlangt dagegen mindestens 200 bis 300 Euro. Das liegt daran, dass die spezielle Ausstattung, welche Dominas zur Ausübung ihres Jobs brauchen, sehr teuer ist. Es gibt sogar Firmen, die sich auf die Herstellung von Domina-Ausrüstungen spezialisiert haben - und das kostet eben. "Perversenzuschlag", nennt Rosa diese hohe Preise.

Jörg und ihre Mitarbeiterinnen beraten auch Frauen, die in die Prostitution einsteigen wollen. Genauso wie Damen, die aussteigen wollen. Aber auch bei rechtlichen und steuerlichen Problemen können sich Münchner Prostituierte an Mimikry wenden. In der Stadt sind Streetworker unterwegs, die die Huren an ihrem Arbeitsplatz aufsuchen.

Jörg, die Mimikry seit fünf Jahren leitet, kennt sich bestens aus in der Szene. Die Sozialpädagogin nimmt kein Blatt vor den Mund, redet offen über die Probleme der Frauen, die verschiedenen Sexpraktiken und über die verschiedenen Typen von Freiern.

So erzählt sie, dass viele der Damen nebenberuflich anschaffen. Ihnen reicht in einer teuren Stadt wie München das Geld nicht, sie brauchen einen Zusatzverdienst. "Oft haben wir alleinerziehende Mütter, die nicht über die Runden kommen", sagt Jörg. Manche wollen schnelles Geld verdienen und arbeiten nur kurz in diesem Geschäft. Hin und wieder gibt es auch Studentinnen, die sich so ihr Studium finanzieren. Die meisten der Münchner Huren sind zwischen 25 und 40 Jahre alt, aber es gibt auch Frauen, die bis 65 Jahre arbeiten.

Frauen, die nach Jahren aussteigen wollen, wissen oft nicht, wo sie arbeiten sollen. Sie haben keinen richtigen Beruf gelernt, können sich in ein bürgerliches Leben nur schwer eingliedern. Ihnen bleibt meist nichts anderes, als Hartz-IV-Leistungen zu beziehen. Außerdem ist nach dem Ausstieg Einsamkeit ein großes Problem. Viele der Frauen hatten nur Freunde in der Szene. Hören sie mit der Prostitution auf, stehen sie ziemlich alleine da. Auch in solchen Fällen ist Mimikry eine Anlaufstelle.

Einfach nur draufhauen ist verpönt

Ans Aussteigen hat Rosa noch nie gedacht. "Ich werde das mit 80 noch machen", sagt sie verschmitzt. Schließlich sei ihr Beruf für sie eine Berufung. Außerdem liebe sie die Münchner Kunden. "Ich habe auch in anderen Städten gearbeitet, aber die Münchner sind mir einfach die liebsten. Die sind entspannt." Im Übrigen kommen nicht nur Männer zu ihr. 20 Prozent ihrer Kunden sind Frauen, erzählt Rosa. Und hin und wieder tauchen auch Pärchen auf.

In den vergangen 20 Jahren, seit sie diesen Job macht, hat sich einiges verändert. "Einfach nur draufhauen ist heute immer mehr verpönt", sagt Rosa. "Es geht viel mehr um die Inszenierung, um das Drumherum." Überhaupt kämen die Männer in den letzten Jahren mehr zum Reden vorbei. Diese Beobachtung teilt auch Jörg: "Die Männer wollen bei den Huren ihre Probleme abladen, ähnlich wie ein Gast dem Barkeeper seinen Kummer erzählt."

Und wie sieht es mit dem Privatleben einer Domina aus? Rosa lacht dunkel und sagt: "Man muss schon einen Mann finden, der Verständnis dafür hat." Aber privat, da müsse es nicht ständig die Domina-Nummer sein. "Privat habe ich durchaus gerne mal Blümchensex."

Viele der Damen führen ein Doppelleben. "Sie haben regelrecht Angst vor Entdeckung", erzählt Jörg. Gerade die alleinerziehenden Mütter hätten große Ängste. Bei Mimikry lernen die Frauen damit umzugehen. Und ab und zu hat Jörg auch mit Freiern zu tun. "Es gibt immer wieder Männer, die sich in eine Hure verlieben und diese retten wollen." Die Beratungsstelle setzt sich dann mit den Frauen in Verbindung, versucht zu vermitteln. Doch oftmals kommt dann heraus, dass die Prostituierten gar kein Interesse an einer "Rettung" haben. Es sind oft die Männer, die sich in irgendetwas verrennen. Sex ist eben käuflich, Liebe nicht.

Pro Tag gehen hochgerechnet 4500 Münchner Männer zu Prostituierten. Übers Jahr gesehen schwankt diese Zahl natürlich. In der Vorweihnachtszeit hat die Branche Hochkonjunktur und auch die Wiesn-Zeit ist umsatzstark. Wobei laut Jörg viele Münchner Prostituierte während des Oktoberfests lieber Urlaub machen und die Stadt verlassen. "Da gibt es oft nur Kunden die total betrunken sind und Ärger machen", erzählt die Sozialpädagogin. Dafür kommen während der Wiesn Damen aus anderen Städten zum Arbeiten nach München. Vor allem die Hamburgerinnen ließen sich dieses Geschäft nicht entgehen.

Die Wirtschaftskrise haben die Münchner Huren auch gespürt, der Umsatz war 2009 geringer als in den Jahren zuvor. Viele Männer müssen das Geld zusammenhalten, und da wird eben beim Vergnügen als Erstes gespart. Das älteste Gewerbe der Welt wird jedoch immer gefragt sein, ein kompletter Zusammenbruch ist nicht zu befürchten - gerade in München nicht.

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