Süddeutsche Zeitung

Prostitution in München:Das älteste, übelste Gewerbe

Lesezeit: 3 min

Fachleute und Aussteigerinnen debattieren, welches Leid die Sexindustrie über die Betroffenen bringt und sind sich in einem einig: Kein Mann sollte eine Frau kaufen dürfen.

Von Christian Rost

Welche Männer gehen ins Bordell? Jeder dritte, jeder zweite oder kauft sich fast jeder Mann zumindest einmal im Leben eine Frau für Sex? "Ich bin mir bei keinem Mann mehr sicher", sagt eine ehemalige Prostituierte am Samstag bei einer Fachtagung über die "Schäden durch Prostitution" in der Evangelischen Stadtakademie in München. Einer ihrer Freier ernährte sich vegan, weil er Tieren nichts antun wollte. "Aber zweimal in der Woche kaufte er sich Frauen für Sex, das machte ihm nichts aus", berichtet die Aussteigerin. Geht es nach dem Willen der Tagungsteilnehmer, soll künftig kein Mann mehr seinen Trieb durch Sexkauf befriedigen können. Eine konsequente Bestrafung der Freier fordert das mit Sozialarbeiterinnen, einem Frauenarzt, einer Psychologin und Aussteigerinnen besetzte Podium.

Zwei Tage haben die Experten auf Einladung des Kommunikationszentrums für Frauen zur Arbeits- und Lebenssituation e.V. und des Netzwerks Stop Sexkauf über die in Deutschland nach wie vor legale Prostitution und ihre Folgen gesprochen. Es herrscht bisweilen eine aufgeheizt-feministische Atmosphäre während der Diskussion vor, die eigentlich keine ist, weil sich alle im Grunde einig sind. Sie kämpfen dafür, dass Frauen nicht mehr leiden müssen. Das Zitat einer anderen Aussteigerin zeigt drastisch, wie sich viele Prostituierte fühlen: "Ständig von fremden Männern penetriert zu werden, während sie dir eklige Sachen ins Ohr flüstern und lachen, wenn sie dir wehtun - das ist keine Arbeit, das ist sexueller Missbrauch."

Dass Prostitution indes weiter wie ein beinahe normales Gewerbe behandelt wird, daran will auch die große Koalition in Berlin offenkundig nichts ändern. Eine deutliche Verschärfung der bisherigen Regelungen und somit ein besserer Schutz für Frauen wird auch das geplante neue Prostitutionsgesetz nach derzeitigem Stand nicht bringen, wie die Uneinigkeit zwischen Union und SPD bei diesem Thema zeigt. Die Regierungsparteien trauen sich nicht einmal, die Mindestaltersgrenze für Huren auf 21 Jahre festzusetzen.

Die Lobbyisten der Sexindustrie haben wieder mal ganze Arbeit geleistet, da ist man sich bei der Tagung sicher. "Die Frauen machen das ja freiwillig" oder "Prostitution verhindert Vergewaltigungen" - mit solchen pauschalen wie falschen Argumenten sollten Einschränkungen des Sexmarkts verhindert werden. Die rund 70 Teilnehmer der Fachtagung, darunter auch ein gutes Dutzend Männer, wissen es besser: Es gibt keinerlei Hinweise, dass Prostitution und die Zahl der Vergewaltigungen in einem Zusammenhang stehen. Und dass sich Frauen freiwillig prostituieren, womöglich auch noch gerne, widerlegt jede seriöse Statistik. Demnach ist das Hauptmotiv für Prostitution die ökonomische Notsituation der Frauen, sprich: Armut.

Sylvia Regelin, die lange beim Münchner Mädchenbildungsprojekt "Mira" engagiert war, kritisiert, dass schon jungen Menschen suggeriert wird: Prostitution ist normal. "Dabei ist es Gewalt gegen Frauen", sagt Regelin. Während in Schweden den Kindern schon in der Schule beigebracht werde, dass es nicht akzeptabel sei, Frauen zu kaufen, "gehört es im Hasenbergl zur Normalität, dass sie auf dem Schulweg von Jungen gefragt werden, was sie kosten", so die Referentin. Zu dieser Entwicklung trage nicht zuletzt die Pornofizierung der Jugend durch das Internet bei.

Anita Heiliger, Sozialwissenschaftlerin und engagierte Feministin, moderiert die Diskussionen und sieht auch in München das Problem, dass die Mitarbeiter in Beratungsstellen für Jugendliche zu wenig sensibilisiert sind, wenn es um die Gefahren durch Prostitution geht. "Da sind wir ganz am Anfang", sagt Heiliger. Eine Tagungsteilnehmerin kritisiert, die Fachberater hätten zwar bunte Aufklärungsbroschüren in ihren Schubladen, holten sie aber nicht heraus. Dabei bräuchten gerade Mädchen aus prekären Verhältnissen dringend Hilfestellung, um nicht ins Rotlichtmilieu mit falschen Versprechungen hineingezogen zu werden. Sogenannte Loverboys machen im Auftrag von Bordellbetrieben gezielt jungen Frauen schöne Augen, um sie an sich zu binden und sie letztlich im Puff abzuliefern, wo sie dann mit einer Mischung aus Drohen und Locken in einem Teufelskreis festgehalten werden.

Um Jugendliche vor den Gefahren zu warnen, haben Angelika Schreiber und Manuela Schillinger vom Giesinger Mädchentreff die Initiative ergriffen. Im offenen Gespräch mit 15 Mädchen wollten die Sozialarbeiterinnen wissen, was diese von Prostitution halten. Heraus kam eine klare Ablehnung. "Das ist wie Vergewaltigung, das macht die Psyche kaputt", sagte eine Schülerin. Die Mädchen fanden auch Werbung mit Frauenkörpern, die wie eine Ware angeboten werden, etwa in Zeitungsanzeigen von Bordellen, abstoßend. Im Mädchentreff wird weiter daran gearbeitet, dass die Mädchen ihren kritischen Blick behalten und ihr Selbstbewusstsein sich festigt. Das Ziel: Sexualität soll ihr Leben einmal bereichern und nicht zu physischen und psychischen Verletzungen führen.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2015
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