Wie hätte ein Vogel von Antoine de Saint-Exupéry wohl ausgesehen, wenn der kleine Prinz ihn gebeten hätte: „Zeichne mir einen Kolibri?“ Hätte dieser alt und kränklich gewirkt auf seinem Bild, so wie das gewünschte Schaf in Saint-Exupérys weltberühmtem Buch? Hätte er ihn am Ende ebenso in einer Box verschwinden lassen, weil ihm keine schöne Zeichnung gelingen wollte? Wir wissen es nicht und werden es nie erfahren. Vielleicht wäre der französische Autor und Pilot (1900-1944), lebte er noch, auch nicht zu gewinnen gewesen für die von Walter Kuhn initiierte Aktion zu 25 Jahren Stiftung Kolibri – einer Institution, die Geflüchteten und Migranten das Einleben in ihre neue Heimat erleichtert.

Kuhn und seine Kollegen baten 130 Menschen des öffentlichen Lebens – Schriftsteller, Musiker, Politiker, Sportler, Frauen wie Männer – um ein Vogel-Bild. Die Angefragten stehen alle in Beziehung zu der gemeinnützigen Stiftung, manche haben über die Jahre bereits bei einer der vielen Benefizveranstaltungen mitgewirkt. Etwa der Münchner Krimiautor Friedrich Ani mit einer Lesung aus seinem Roman „Die Ermordung des Glücks“. Oder der afghanische Grafiker Niaz Naseri, der 2016 nach Deutschland kam und durch das Kolibri-Kunst-Kabinett Hilfe beim Aufbau seiner Künstlerkarriere erhielt.
Freilich wollten oder konnten nicht alle Angefragten mitmachen. Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, antwortete wohlwollend, beteiligte sich aber lieber mit einer Geldspende, als zum Stift zu greifen. Der Beitrag solle der Refugio Kunstwerkstatt zugutekommen, schreibt der Kardinal in einem Brief. Die Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke hingegen gab sich viel Mühe, ein reich ausgeschmücktes, buntes Federvieh mit auffallend langem Schnabel zu Papier zu bringen. Es ähnelt dem Symbol der Stiftung auf fantasievolle Weise und deutet ihren Zweck und den der vier Gründungsvereine an: Menschen zu unterstützen, ihnen Flügel zu verleihen auf dem Weg in ein neues, gesichertes Leben.
Oberbürgermeister Dieter Reiter skizzierte ein Vögelchen mit großen runden Augen, langen Beinen und flaumigem Gefieder, das ein wenig an die Haartracht des Stadtoberhaupts erinnert. Es müsse ja auch gar kein Kolibri sein, stand explizit im Anschreiben, das er von Walter Kuhn erhielt. „Der Vogel könnte auch einem Spatz oder einem Storch ähnlich sein; die Hauptsache wäre, dass Sie Ihr Werk mit einer netten Widmung und natürlich Ihrer prominenten Signatur versehen würden.“

Viel höflicher Konjunktiv also, den am Ende mehr als 30 Personen aktiv umsetzten: die für gute Zwecke stets aufgeschlossene Schauspielerin Uschi Glas mit zwei Piepmätzen unter kindlich-naiv lachender, gelber Sonne; der Sänger Konstantin Wecker mit einer traurig blickenden, der Welt abgewandten Vogelfigur; Andrea Lissoni, künstlerischer Geschäftsführer im Haus der Kunst, sehr reduziert mit zwei schwungvollen Bögen, die sich nach einer Weile im Auge des Betrachters zu kraftvollen Schwingen entwickeln können. Noch reduzierter ist die Ausführung von Jazzbar-Betreiber Tom Vogler: ein Punkt in der rechten oberen Hälfte eines großen Quadrats, dazu ein Satz, der erklärt, hier sei ein glücklicher Blau-Punkt-Kolibri im Abflug, vor Schneelandschaft. Jemand, der Vogler heißt, darf im Vagen bleiben bei dieser Tierart.

Ob Punkt, Bogen oder ausgearbeitete Zeichnung, jedes der gespendeten Kunstwerke soll einen Beitrag leisten für die Arbeit der Stiftung. „Wir tun dies auch im Bewusstsein, nicht nur humanitär zu unterstützen“, schreiben Kuhn und seine Mitstreiterin Renate Bürner-Kotzam im Vorwort des Katalogs, in dem sie alle gespendeten Kunstwerke zeigen. Und auf Nachfrage betont Kuhn, wie sehr er Menschen aus anderen Ländern als Bereicherung und „als einen bereits jetzt unverzichtbaren Teil unserer Gesellschaft“ ansehe.
Kuhn setzte vor Jahren 3000 Mohnblumen auf den Königsplatz
Walter Kuhn lehrte 35 Jahre, bis zu seiner Pensionierung, als Geograf an der TU München und der Ludwig-Maximilians-Universität. Seit vielen Jahren engagiert er sich für humanitäre Projekte und organisiert Kunstaktionen wie das Projekt „Urbane Transhumanz“ – eine Herde lebensgroßer Schafskulpturen auf dem Olympiaberg, die später zugunsten von Kolibri verkauft wurden. Große Aufmerksamkeit bekam 2018 sein Mohnblumenprojekt „Never again“, das an das Ende und an die Grausamkeiten des Ersten Weltkriegs erinnerte. Bilder der 3000 rot leuchtenden Blumen und seine Botschaft „Nie wieder Krieg“ schafften es damals auch in internationale Zeitungen.
Nun ist seine Botschaft zu 25 Jahren Kolibri: Leute, schaut hin und engagiert euch. Entstanden ist die Stiftung 1999, vor allem, um vier Vereine zu unterstützen: Refugio München, die Initiativ-Gruppe Interkulturelle Begegnung und Bildung, den Verband binationaler Familien und Partnerschaften sowie den Verein Freundschaft zwischen Ausländern und Deutschen.
Booklet und Bilder sollen das finanzielle Polster der Stiftung stärken. Für 15 Euro (zuzüglich zwei Euro für den Versand) fliegen die gezeichneten Kolibris per Post nach Hause. (Bestellungen unter Kontakt@kolibri-kunst-kabinett.de) Und die Originale werden versteigert. Bis 9. Oktober, 24 Uhr, können unter der oben angegebenen E-Mail-Adresse Gebote abgegeben werden. Weitere Information auf der Stiftungswebseite www.kolibri-stiftung.de. Einer der Teilnehmer habe bereits 500 Euro für sein eigenes Bild geboten, erzählt Kuhn. Wohl um die Gebote anzuheizen. Vielleicht würde Saint-Exupéry, könnte er die Bilder der vielen unterschiedlichen Vögel sehen, über den kleinen Prinzen ausrichten lassen: „Genau so habe ich es gewollt.“