Prominent besetztes Treffen:Geiz ist geil? Fair Trade!

Beim Zukunftskongress im Deutschen Museum schimpft Entwicklungsminister Müller über Kaffeekapseln und Schokolade, U2-Sänger Bono schickt eine Grußbotschaft und Start-ups zeigen ihre Ideen: zum Beispiel Drohnen, die parasitenfreie Mücken aussenden

Von Martina Scherf

Die Welt im Jahr 2030. Wie wird sie aussehen? Wird es immer noch so viel Hunger geben, so viele Krankheiten, Kriege, Raubbau an der Natur? "Wir haben längst Möglichkeiten, die Welt gerechter zu gestalten", sagt Gerd Müller, "wir müssen sie nur umsetzen". Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit (CSU) steht vor dem Eingang zum Deutschen Museum, mitten in einer bunten Landkarte, die Schüler auf den Boden gemalt haben: "Eine Welt - unsere Verantwortung" steht da. Schnell ein Fototermin, dann hinein ins Museum, wo sich an diesem Tag alles um die Zukunft dreht.

Zwei Tage findet in München der Zukunftskongress statt, zu dem Müller mehr als 400 Wissenschaftler und Start-up-Vertreter aus verschiedenen Ländern und Jugendliche aus ganz Deutschland geladen hat, damit sie ihre Visionen von der künftigen Welt austauschen. Die Anthropozän-Ausstellung, die noch bis Ende September im Deutschen Museum läuft und bisher 200 000 Besucher zählte, hat ihm imponiert: Dort wird deutlich, wie sehr der Mensch die Welt schon verändert hat, wie vor allem der reiche Norden auf Kosten des armen Südens lebt.

Prominent besetztes Treffen: Wie ist unser Planet zu retten? Darüber tauschten sich die Teilnehmer des Zukunftskongresses im Deutschen Museum aus.

Wie ist unser Planet zu retten? Darüber tauschten sich die Teilnehmer des Zukunftskongresses im Deutschen Museum aus.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Wenn wir so weiter wirtschaften, haben wir in 30 Jahren mehr Plastik in den Meeren als Fische", sagt Müller, der inzwischen sein Sakko ausgezogen hat, und der, das ist zu spüren, für sein Thema brennt. Jeder Konsument könne beitragen, die Ungerechtigkeiten auf der Welt zu reduzieren, fährt er fort, schon beim Frühstück: "Nehmen Sie Fair-Trade-Kaffee statt die unsäglichen Alu-Kapseln". Am Ende der Ausstellung kann jeder Besucher einen Wunsch auf einer Papierblume hinterlassen. "Bildung für alle. Gleichberechtigung von Mann und Frau. Toleranz gegenüber allen Religionen", hat Müller auf seine Blume geschrieben.

Im Vortragssaal holt er dann noch einmal aus: "Wenn die Menschen in Afrika eine Zukunft für sich sehen, werden sie sich nicht mehr auf den Weg nach Europa machen", sagt der Minister. Da ist er, der Schlüsselsatz: Entwicklungspolitik ist seit der Flüchtlingskrise nicht mehr die Almosen-Abteilung der Regierung. Sie hat plötzlich einen Stellenwert bekommen, den sie noch nie zuvor hatte. Müller kann sich richtig in Rage reden. Dass 200 Milliarden Dollar in Katar "in den Wüstensand gesetzt werden, um eine Fußballweltmeisterschaft in klimatisierten Stadien feiern zu können, sei ein "Wahnsinn". Was könne man mit 200 Milliarden Dollar alles bewirken.

Prominent besetztes Treffen: Wissenschaftler und Start-up-Vertreter aus aller Welt diskutierten über die Zukunft.

Wissenschaftler und Start-up-Vertreter aus aller Welt diskutierten über die Zukunft.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Minister scheut keinen Gegenwind. "Es kann doch nicht sein, dass ich mit Industriellen verhandeln muss, ob Kindersklavenarbeit in der Textilbranche zu dulden ist oder nicht", sagt er. Er will eine Zertifizierung für Textilien, die unter sozialen und ökologischen Mindeststandards produziert werden. "Wir tragen Verantwortung für die Menschen, die 80 Prozent unserer Rohstoffe bereit stellen".

Dann schickt Bono von U2, der unermüdliche Kämpfer für Gerechtigkeit, eine Videobotschaft. Die Welt 2030? Wir werden die Vereinigten Staaten von Afrika (USA) haben, scherzt er. Malaria, Aids und Tuberkulose seien ausgerottet, auch mit deutscher Hilfe. "Das ist das Deutschland, das wir lieben". Bono wollte, ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, nach München kommen, musste aber in Montreal die Welt retten. Merkel musste Europa in Bratislava retten, auch sie schickt eine Videobotschaft. Nach München hat sie Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) gesendet, ihre "Allzweckwaffe", wie Moderatorin Ursula Heller vom Bayerischen Rundfunk ihn jetzt begrüßt.

"Wir sind ständig mit der Zukunft beschäftigt", sagt Altmaier, er vertraue dabei auf die Innovationskraft von Technik und Wirtschaft. Seine Vision: Wenn er 2030 mit Gerd Müller am Münchner Viktualienmarkt sitze, "bei einem Latte Macchiato mit unseren Rollatoren", dann trügen einige der jungen Leute, die heute ihre Ideen präsentiert haben, Verantwortung - und hätten die Welt besser gemacht. Davon ist auch Museumsdirektor Wolfgang Heckl überzeugt: Sein Haus jedenfalls engagiere sich durch viele Bildungsinitiativen dafür, dass die Jugend den Raum hat, Ideen zu entwickeln.

Prominent besetztes Treffen: An der Diskussion nahmen auch Entwicklungsminister Gerd Müller (rechts) und Wolfgang Heckl, Chef des Deutschen Museums (links) teil.

An der Diskussion nahmen auch Entwicklungsminister Gerd Müller (rechts) und Wolfgang Heckl, Chef des Deutschen Museums (links) teil.

(Foto: Stephan Rumpf)

Viele Start-ups sind zum Kongress gekommen. Da gibt es gängige Ideen, wie erschwingliche Solarzellen für jedermann und ungewöhnliche wie Drohnen, die Parasitenfreie männliche Anopheles-Mücken über Malariagebieten aussenden und damit den Fortpflanzungszyklus der Fliegen beeinflussen und sie langfristig frei von der Tod bringenden Krankheit halten.

Unter den vielen Initiativen, die aus Afrika kommen, sticht das Start-up der Informatikerin Juliana Rotich aus Kenia hervor. "Sie könnten einst die Präsidentin der Vereinigten Staaten von Afrika werden", wünscht ihr Ursula Heller. Rotich will ganz Afrika mit freiem Internet versorgen. Sie hat die Open-Source-Software Ushahidi entwickelt, und damit der Zugang auch bei Stromausfall funktioniert, dazu einen Mobilfunk-Rooter samt starkem Akku. "Bildung ist der Schlüssel für Entwicklung", sagt sie, das hätten inzwischen auch die meisten afrikanischen Regierungen verinnerlicht. Sie blickt optimistisch in die Zukunft. Überall würden derzeit kleine Technologiezentren entstehen.

Zum Schluss kommen noch Schüler des Allgäu-Gymnasiums Kempten und überreichen den Politikern einen Geschenkkorb. Ein zerlegtes Handy ist darin, um zu zeigen, welche Teile unter schlimmen Bedingungen im Kongo produziert werden, und selbst gemachte Schokolade, mit Kakao aus fairem Anbau ohne Kinderarbeit. "Fünf Cent mehr für eine Tafel, und wir hätten das Problem gelöst", sagt Müller und ist schon wieder in seinem Element. Fair Trade statt "Geiz ist Geil". Es wäre so einfach.

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