Süddeutsche Zeitung

Projekt in Schulen:Wie Paten Flüchtlingskindern beim Lernen helfen

Lesezeit: 3 min

Von Melanie Staudinger

Für Günther Lamperstorfer ist es nur ein kleiner Griff in den Geldbeutel, doch für das kleine Mädchen aus der dritten Klasse wird sich das ganze Leben verändern. Sie ist, so berichtet ihre Lehrerin Ramona Haider, mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen. Das Mädchen gehe gerne in die Schule. Dem Unterricht in der Übergangsklasse könne sie aber nur bedingt folgen. Denn sie sieht schlecht. Für eine Brille müssten die Eltern aber 95 Euro bezahlen, ein Betrag, den die Familie aus eigener Kraft derzeit nicht aufbringen kann. Seit zwei Wochen schon versucht Haider vergeblich, einen passenden Spendentopf zu finden - nun bezahlt Lamperstorfer die Brille. "Bei solchen Kleinigkeiten können Sie mich direkt anrufen", sagt der Stifter und Vorstandsvorsitzende der Stiftung "Kick ins Leben".

Solche Kleinigkeiten sind es, die den Münchner Schulen zunehmend Probleme bereiten. Lamperstorfer ist eigentlich auf Einladung des Münchner Lehrerverbands (MLLV) in die Grund- und Mittelschule an der Weilerstraße gekommen. Denn er ist einer der ersten Paten bei einem neuen stadtweiten Projekt, das der Lehrerverband mit dem Bildungsnetzwerk München (BiNet) auf die Beine gestellt hat. Stiftungen, Unternehmen oder auch Privatpersonen können für eine Übergangsklasse eine Patenschaft übernehmen. Sie können Geld spenden, Unterrichtsmaterialien zu Verfügung stellen oder sich ehrenamtlich engagieren. Etwa 110 Übergangsklassen gibt es momentan in der Stadt, sie dienen der Integration von ausländischen Kindern ins deutsche Bildungssystem. 13 Paten sind bisher gefunden.

"Deutsch lernt man nicht im Klassenzimmer, Deutsch lernt man in der Stadt", sagt Harun Lehrer, Konrektor der Mittelschule an der Ichostraße in Giesing. Mit seinen Schülern würde er gerne in den Supermarkt gehen, ihnen Museen oder den Tierpark zeigen und die Sehenswürdigkeiten, die München zu bieten hat. Solche Ausflüge scheitern aber bereits an Kleinigkeiten. Es fehlt an einer Begleitperson, die hilft, dass keiner der etwa 20 Schüler verloren geht. Und es fehlt an dem nötigen Geld für die Fahrkarte, den Eintritt, die Verpflegung. "Meine Schüler waren noch nie im Kino und kennen kein Schwimmbad von innen", sagt Lehrer.

Seine Jugendlichen stellen keinen Einzelfall dar, die chronische Unterfinanzierung trifft jede Übergangsklasse. Dabei stehen die Pädagogen vor ganz besonderen Herausforderungen. Sie beschulen alle Kinder und Jugendlichen, die erst seit kurzem in Deutschland sind und keine oder nur geringe Deutschkenntnisse haben. Kinder, die noch nie eine Schule besucht haben, sitzen neben welchen, die in ihrem Heimatland mehrere Fremdsprachen gelernt haben. Manche Jugendliche können weder lesen noch schreiben, andere spielen dafür perfekt Klavier. Viele von ihnen haben Schlimmes erlebt und sind traumatisiert.

Trotzdem gehen sie in der großen Mehrheit gerne zur Schule. Mit ihren Lehrern haben sie ihre Klassenzimmer nett und gemütlich eingerichtet. Das ist kein Vergleich zu den zugigen, oft lauten Gemeinschaftsunterkünften. "Die Kinder sind häufig krank oder schlafen vor Müdigkeit im Unterricht ein", sagt Lehrerin Haider. Ein Bett zum Ausruhen? Dafür gibt es kein Geld von Stadt und Staat. Ebenso wenig bekommen die Familien eine ausreichende Unterstützung bei den Lehrmaterialien, wie Anna Deutschendorf berichtet.

Das Geld ist knapp - auch für Unterrichtsmaterialien

Die Lehrerin unterrichtet eine neunte Übergangsklasse an der Mittelschule an der Ichostraße. Ein Schulbuch hat sie nicht zur Verfügung, es gebe nur eines im Angebot und das sei nicht zu gebrauchen. Die Schüler mussten privat ein Arbeitsbuch kaufen und parallel dazu Kopiergeld bezahlen. Es handelt sich um zwölf Euro, manche der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge stottern den Betrag nun in Kleinraten ein halbes Jahr lang ab.

Diese Finanzierungslücke will der Lehrerverband mit seinem Projekt schließen und dafür sucht er mit dem Bildungsnetzwerk und dem Sozialen Netzwerk München (SoNet) weitere Paten. "Wir wollen die Kinder individuell fördern, ihnen eine schöne Schulzeit und ein Stück Heimat bieten", erklärt Jochen Fuchs, Leiter der Weilerschule und Leiter der Berufswissenschaften im MLLV.

Für die Aufgabe bräuchten Lehrer Unterstützung, das Projekt solle die Patenakquise bündeln, so dass nicht jeder Pädagoge bei Bedarf wieder alleine auf die Suche nach Geldgebern gehen müsse. Klassen und Stifter sollen unbürokratisch zueinanderfinden. Zwischen 1000 und 2000 Euro pro Klasse und Schuljahr seien oft schon ausreichend, erklärt Frank Enzmann von SoNet. Damit könnten die Lehrer Fahrkarten, Bücher oder auch das Mittagessen der Ganztagsschüler unbürokratisch bezahlen.

Weitere Informationen bei Gerlinde Wouter unter E-Mail gerlinde.wouters@foebe-muenchen.de.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2016
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