Süddeutsche Zeitung

Projekt:Das Multiding

Michael Lapper darf nach einigem Hin und Her vor dem Kopfbau der alten Flughafen-Besuchertribüne einen bespielbaren Kunst-Kiosk installieren. Er will damit auch auf das ungenutzte Denkmal aufmerksam machen

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

Man sieht es am Werksviertel: Charmant kann ein Neubauviertel werden, wenn die Planer das Alte, Gewachsene einbeziehen, ihm einen angemessenen Platz einräumen. Die Messestadt ist eine geradlinige Reißbrettstadt, ein paar Relikte aus der Zeit des Flughafens sind zwar geblieben - doch Tower und Wappenhalle sind in Firmen integriert und nicht öffentlich zugänglich, den Rest der Landebahn im Riemer Wäldchen kennen nur Insider. Bleiben noch die Leuchtbuchstaben "Abflug" im Park. Und: der Kopfbau samt alter Flughafenbesuchertribüne. Ungenutzt dümpelt beides vor sich hin.

Michael Lapper wohnt in der Messestadt. Er ist ein Künstler, der gerne den Finger in die Wunde legt, der aber auch konstruktiv denkt. Das hat er etwa bewiesen, als er 2013 den öden Willy-Brandt-Platz mit seinem Projekt "here we are" bespielte. Nun hat Lapper den Kopfbau ins Visier genommen als "Defizit, das auf eine Lösung wartet". Er plant auf dem Vorplatz als temporäre Aktion einen für alle offenen und bespielbaren Kiosk, der allerdings beinahe im Dschungel der Stadtverwaltung gestorben wäre, bevor er starten konnte - was wiederum symptomatisch ist für diese unendliche Geschichte. Doch anders als die Suche nach einem Kopfbau-Nutzer hat nun wenigstens Lappers viermonatiger Genehmigungs-Marathon "mit mindestens drei Ansprechpartnern pro Referat" ein gutes Ende gefunden. Er darf seinen Kiosk am Samstagnachmittag aufstellen: Die Lokalbaukommission, die zunächst ablehnte, hat nun, als Lapper Unterlagen nachreichte, von denen er denken musste, dass sie längst vorlägen, festgestellt, dass sie nicht zuständig ist. Es sei ein "sehr gutes, wünschenswertes Projekt", sagt Sprecher Thorsten Vogel jetzt.

"Einer für alles" heißt Lappers kleiner Café-Kiosk, den er bis Pfingsten zur Verfügung stellt für alle und alles: Die Jugendlichen der Messestadt, die immer noch auf einen selbstverwalteten, regensicheren Treffpunkt, einen simplen Unterstand, warten, können kommen, oder die neuen Bewohner aus dem noch nicht ganz fertigen vierten Bauabschnitt können sich bei selbstgemachtem Kuchen und Kaffee unterhalten mit denen, für die die Messestadt nun schon seit fast 20 Jahren Heimat ist. Man darf hier Musik machen oder vorlesen, spielen oder werken, die Wände bemalen oder bekleben, Filme drehen, Filme zeigen, Flohmärkte organisieren. "Es soll ein Multiding sein", fasst Lapper zusammen. Einige haben sich schon angemeldet. Lapper selbst will gesammelte Bauträger-Prospekte mit Sprechblasen versehen und zu einem ImmoComic machen, voraussichtlich werde das "Realsatire". Ein "interessanter und entspannter Treffpunkt" soll das Kiosk-Café werden. Sein Vorbild waren Kioske in Städten wie Barcelona oder Lissabon, wo einfach immer was los ist. Kulturreferat, Bezirksausschuss und Bürgerforum der Messestadt, Träger der dortigen Kultur-Etage, unterstützen die Idee.

Der Künstler hätte ja auch gerne temporär den Kopfbau selbst bespielt oder wenigstens eine Ausstellung mit den Ergebnissen des Kiosk-Projekts dort präsentiert. Das aber war unmöglich, denn zum einen will das Kommunalreferat dafür eine hohe Miete, laut Lapper 1700 Euro für zwei Wochen, zum anderen ist der Kopfbau derzeit gar nicht zugänglich, denn der lange Leerstand des denkmalgeschützten Baus hat zu Schimmelbildung geführt. Er musste saniert werden, derzeit finden noch zur Kontrolle Luftmessungen statt.

Diese Ecke der Messestadt hat Lapper für sein Projekt gewählt, weil dort schon lange eine Anlaufstelle fehlt, ein kulturelles oder gastronomisches Ziel für Spaziergänge oder Radlausflüge - den einst in Aussicht gestellten Biergarten hat der Riemer Park bis heute nicht. Mancher denkt wehmütig zurück an die Bundesgartenschau im Jahr 2005, für die der Kopfbau zur angesagten Lounge umgebaut worden war. Doch leider war diese Nutzung nur sommertauglich, denn das Haus hat keine Heizung. Den Wirt, der sie finanziert und den Bau möglichst auch noch kulturell aktiviert, sucht die Stadt seitdem vergebens.

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Quelle:
SZ vom 05.04.2018
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