Süddeutsche Zeitung

Programme gegen psychische Erkrankungen:Bloß kein Stress

Eine Stunde mehr Schlaf, betriebseigene Fitness-Studios, Rundum-Service für zu Hause: Münchner Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter vor psychisch bedingten Krankheiten bewahren. Die Stadtverwaltung hat eine Vorreiterrolle.

Von Katja Riedel

Der Münchner Oberbürgermeister gibt derzeit wohl ein denkbar schlechtes Vorbild ab. Mutet er sich doch als Wahlkämpfer und OB viel zu, wie er zuletzt selbst beklagte: "Ich bin ein Spitzenkandidat, der eine 60-Stunden-Woche hat und der am Wochenende mit einem Parteiauto durch die Landschaft gondeln darf."

Während der Rathauschef also Stress aufbaut, arbeitet die Stadtverwaltung schon seit einem Jahrzehnt daran, die seelischen und körperlichen Belastungen der 32 000 Mitarbeiter am Arbeitsplatz in Grenzen zu halten. Mehrfach wurde die Landeshauptstadt für entsprechende Projekte ausgezeichnet, in dieser Woche richtet sie den Kongress "Kein Stress mit dem Stress - Chefsache?" aus. Dabei sollen sich vor allem Vertreter des öffentlichen Diensts aus ganz Deutschland Gedanken machen, wie Mitarbeiter mit weniger arbeitsbedingten psychischen Belastungen zufriedener ihren Arbeitsalltag bewältigen können. Projekte aus der Privatwirtschaft sollen dort ebenso vorgestellt werden wie vorbildhafte Beispiele aus der Verwaltung.

Dabei ist der Münchner Stadtverwaltung das Thema Stressabbau näher als so manch anderer Kommune, glaubt der Personalchef der Stadt, Thomas Böhle. Wie alle großen und kleinen Unternehmen spürt auch die Verwaltung, dass immer mehr Mitarbeiter aufgrund psychischer Probleme krankgeschrieben sind - ob aufgrund steigender Belastungen oder sensiblerer Diagnosen ist unklar. Deshalb lässt die Stadt die Daten derjenigen, die über die AOK versichert sind, gesondert auswerten.

Der bundesweite Trend steigender Krankheitstage, die auf psychische Belastungen zurückzuführen sind, spiegele sich auch bei den städtischen Mitarbeitern, sagt Böhle. Um Stress abzubauen, setze die Stadtverwaltung auf zweierlei: "Wir betreiben seit 2003 Verhältnis- und Verhaltensprävention", sagt er. So lehrt die Stadt den einzelnen Mitarbeiter und auch Führungskräfte mit Schulungen und Handreichungen, achtsamer zu sein und eine Balance aus Arbeit und sinnvoll verbrachter Freizeit zu finden.

Zudem hat die Verwaltung Instrumente geschaffen, die Arbeitsabläufe verbessern sollen, um Mitarbeiter zu entlasten. In sogenannten Gesundheitszirkeln analysiert eine ausgewählte Gruppe einer Abteilung, welche Faktoren den Alltag erschweren - "und wir versuchen, daraus Lehren zu ziehen", sagt Böhle. Heraus kommt dann manches, was gar nicht nach Gesundheitsprävention klingt, aber trotzdem hilft: In Sozialbürgerhäusern etwa dürfen nun mehr Mitarbeiter Unterschriften leisten, damit Vorgänge schneller über die Bühne gehen und diejenigen, die mit den Klienten im Gespräch sind, nicht hilflos warten müssen und unter Druck geraten.

Wer viel telefonieren muss, tut sich mit einem Headset leichter. Und die Stadtreinigung versucht gerade, in einem Testlauf herauszufinden, ob die Stadt genauso sauber bleiben kann, wenn die erste Schicht der Arbeiter statt um vier erst um fünf Uhr ausrückt und eine Stunde länger schlafen kann. "Auch bei uns ist sicher nicht alles rosig", sagt Böhle, "aber wir bemühen uns, Gefährdungen zu erkennen."

Die Erkenntnis, dass Arbeitgeber auf die Verfassung ihrer Mitarbeiter mehr Aufmerksamkeit verwenden müssen, ist auch bei den großen Konzernen längst angekommen. Für Aufsehen sorgte die Initiative von Telekom-Chef René Obermann. Der erteilte seinen Mitarbeitern ein Smartphone- und Mail-Verbot nach Feierabend. Auch VW vereinbarte, abends die Dienst-Smartphones abzuschalten. So weit gehen die meisten Münchner Unternehmen nicht. Viele legen neben sportlichen Entspannungsmöglichkeiten oder Ruhezonen vor allem darauf Wert, dass Mitarbeiter zufriedener sind, wenn sie Familie und Beruf gut vereinbaren können.

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SZ vom 21.01.2013/wib
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