Forensischer Psychiater:"Pädophile offenbaren sich nur sehr selten"

Forensischer Psychiater: Michael Osterheider, 59, arbeitet seit 2004 als Professor für Forensische Psychiatrie an der Universität Regensburg.

Michael Osterheider, 59, arbeitet seit 2004 als Professor für Forensische Psychiatrie an der Universität Regensburg.

(Foto: oh)
  • Michael Osterheider, 59, arbeitet seit 2004 als Professor für Forensische Psychiatrie an der Universität Regensburg.
  • Der gebürtige Düsseldorfer koordiniert das Forschungsprojekt "Mikado" zum Missbrauch von Kindern.

Interview von Bernd Kastner

Im Tagesheim einer Münchner Grundschule hat sich ein Erzieher als pädophil offenbart, bislang sind keine Übergriffe durch ihn bekannt. Die Stadt hat sich sofort von ihm getrennt, dennoch sind Eltern verunsichert und besorgt. Ein Gespräch mit Michael Osterheider, Professor für Forensische Psychiatrie an der Universität Regensburg und Sprecher des Präventionsnetzwerks "Kein Täter werden", über den Umgang mit pädophil veranlagten Menschen und ihre Stigmatisierung.

SZ: Wie oft kommt es vor, dass sich jemand als pädophil offenbart?

Michael Osterheider: Das ist sehr selten. Ich selbst habe das bisher noch überhaupt nicht erlebt.

Wenn ein pädophiler Mann in der Kinderbetreuung arbeitet, ist es aus Ihrer Sicht dann wünschenswert, wenn sich sein Arbeitgeber von ihm trennt?

Wir sehen es kritisch, wenn jemand, mit einer solchen Neigung in diesem Umfeld tätig ist. Die Gefahr, dass Phantasien aufkommen und es auch zu entsprechenden Taten kommt, ist relativ hoch. Falls ein Mann mit vorpubertären Kindern arbeitet und erst im Beruf seine Neigung bemerkt, wenn so jemand sehr kritisch damit umgeht und sagt, "ich will nicht, dass ein Kind zum Opfer wird", dann unterstützen wir das sehr. So ein Verhalten wäre das Ideal.

Soweit bekannt, könnte es sich in dem Münchner Fall um solch eine vorbildliche Reaktion des Mannes handeln.

Das ist eine klassische Offenbarung. Er signalisiert, dass von ihm eine potenzielle Gefahr ausgeht. Das nächste wäre, dass er sich in Behandlung begibt. Man könnte dann sogar so weit gehen, kritisch zu diskutieren, ob so jemand, der noch keine Übergriffe begangen hat, nach therapeutischer Begleitung weiter in einem Umfeld mit Kindern arbeiten könnte.

Würden Sie das tatsächlich befürworten?

Unsere Erfahrungen zeigen, dass das wohl nicht gut geht. Es gibt Kollegen, die pädophil Veranlagte mit trockenen Alkoholikern vergleichen, und auch unter ihnen gibt es Rückfälle. Die Versuchung ist zu groß, selbst bei laufender Therapie. Ich rate davon ab, einen pädophilen Mann dieser Situation auszusetzen.

Verstehen Sie, dass Eltern erschrecken, wenn sie erfahren, dass in ihrer Kita ein Pädophiler gearbeitet hat?

Das ist nachvollziehbar, eine andere Reaktion zu erwarten, wäre naiv. So würde es jedem von uns gehen, solch eine Information führt zu Verärgerung und Sorge.

Nicht jeder Pädophile begeht eine Straftat

Wie muss eine Einrichtung darauf reagieren?

Wichtig ist, klar zu informieren: Was passiert ist, warum der Mann nicht mehr dort arbeitet, dass keine Übergriffe bekannt sind und alles in der Macht stehende getan wird, Gefahr von Kindern abzuwehren. Wichtig ist auch, die Eltern über das Störungsbild der Pädophilie aufzuklären. Wie häufig Pädophile eine Straftat begehen, oder anderes formuliert, wie selten das ist. Aufklärung ist dringend notwendig.

Laut der Stadt München werden etwa 20 Prozent der pädophil veranlagten Männer straffällig. Ist diese Zahl korrekt?

Es gibt unterschiedliche Studien. Man kann sagen, dass etwa jeder fünfte Pädophile strafbare Delikte begeht. Das reicht von der Nutzung kinderpornografischer Darstellungen bis hin zu sexuellen Übergriffen.

Ist jeder Übergriff auf ein Kind die Tat eines Pädophilen?

Wir gehen davon aus, dass von allen Sexualstraftaten an Kindern etwa 20 bis 30 Prozent von Pädophilen begangen werden. Das heißt, die große Mehrheit dieser Täter ist nicht pädophil.

Sie plädieren dafür, die Eltern über die Anwesenheit eines Pädophilen in einer Kinderbetreuungseinrichtung zu informieren. Der betroffene Mann braucht sich in dieser Gegend dann aber nicht mehr blicken lassen, oder?

Ja, das ist ein Dilemma. Wir haben in einer fast abgeschlossenen Studie für das Bundesfamilienministerium die Stigmatisierung dieser Männer untersucht. Ein Großteil der Bevölkerung hat keine Toleranz gegenüber Pädophilen. Unsere repräsentativen Befragungen haben ergeben, dass ein Großteil der Menschen sagt, selbst wenn keine Straftaten begangen wurden: Die müssen weggesperrt werden, die dürfen nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, die sollten am besten tot sein. Die Stigmatisierung pädophiler Männer ist extrem hoch.

Wie lässt sich die reduzieren?

Informationen über diese Männer sind schwer in die Öffentlichkeit zu bringen, dafür braucht man sehr kompetente Leute. Wir eröffnen im Netzwerk "Kein Täter werden" demnächst das elfte Projekt bundesweit, unser Ziel ist, eine Anlaufstelle in jedem Bundesland zu haben. Pädophil Veranlagte können durch eine Therapie ihre Neigung in den Griff bekommen. Wer zu uns kommt, tut das freiwillig und ist hoch motiviert. Unsere Klienten in Regensburg fahren teilweise 100 oder 150 Kilometer, um an einer Therapiesitzung teilzunehmen. Von ihnen geht nicht diese Gefahr aus, wie Eltern befürchten. Und wenn sich jemand selbst offenbart, muss man das unbedingt honorieren.

Sexuelle Störung

Pädophilie gilt als Störung der Sexualpräferenz und beschreibt die sexuelle Ausrichtung auf vorpubertäre Kinder. Zuverlässige Daten über die Zahl pädophiler Menschen gibt es nicht. Fachleute schätzen, dass etwa ein Prozent der Männer pädophil orientiert ist, der Anteil der Frauen scheint verschwindend gering. Weder ist Pädophilie heilbar noch ist bislang bekannt, welche Ursachen ihr zugrunde liegen. Ein realistisches Therapieziel ist, einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Neigung zu erreichen, dass Pädophile keine Übergriffe auf Kinder begehen und auch keine Kinderpornografie konsumieren. Zum Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden", das 2005 an der Berliner Charité startete, gehören zahlreiche Behandlungszentren. Informationen unter www.kein-taeter-werden.de. beka

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