Produkte für NostalgikerNächste Runde

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Die Zeit von C 64, Atari und Spielkonsolen wie dem Gameboy schien vorbei zu sein - doch nun haben Retrogamer die Klassiker wieder für sich entdeckt

Von Kristian Meyer

Pubertierende Jungs in Kapuzenpullis warten in der Schlange vor dem Gebäude neben einstmals pubertierenden, heute 45-jährigen Jungs, ebenfalls in Kapuzenpullis. Drinnen hinter den Flohmarktständen warten weitere Männer mittleren Alters, manche in Kostümen der Helden ihrer Kindheit - Super Mario etwa, Symbolfigur des Konsolen-Anbieters Nintendo. Oder Sonic, das Äquivalent aus dem Sega-Universum. Oder Vega, der Kämpfer mit der Maske aus dem Kampfsport-Retrogame Street Fighter. So ähnlich stellt man sie sich vor, die Retro-Flohmärkte. Spezielle Börsen also, veranstaltet von professionellen und semi-professionellen Händlern, bei denen alles rund um Gameboy, Nintendo, Amiga und Co. angeboten wird. So auch an diesem Samstag in der Hachinga Halle in Unterhaching.

Aber ist die Zusammensetzung der Besucher denn wirklich so schablonenhaft? Lauter Männer in Kapuzenpullis? Und vor allem: Was treibt Menschen an, Computerspiele oder Konsolen zu kaufen, deren technischer Standard heutzutage doch x-mal überholt ist? Was fasziniert die Szene bis heute an dem unglaublich simplen Spiel Tetris, in dem unterschiedliche geometrische Figuren möglichst geschickt platziert werden müssen, damit sie Reihen bilden? Wer spielt tatsächlich lieber auf einem winzigen Gameboy in Schwarz-Weiß-Grafik ein Spiel wie "Legend of Zelda", in dem der Protagonist eigentlich nur ein rundes, flauschiges Etwas von oben ist, noch dazu in 2D? Und das, obwohl es mittlerweile Spiele wie Red Dead Redemption gibt, ein Computer-Western, der täuschend echte 3-D-Optiken mit einer raffinierten Erzählstruktur verbindet, wie man sie mittlerweile vor allem von Serien auf Netflix kennt?

Christian Corre verantwortet den Retro-Flohmarkt in Unterhaching. Außerdem besitzt er einen Laden mit alten Spielen und Konsolen in der Rosenheimer Straße. Und seit neuestem betreibt er auch die Tausch-Webseite "Retroplace". Ursprünglich habe er schon "etwas Ordentliches" gelernt, wie er selbst sagt, nämlich Hotelkaufmann, dann aber nach einigen Jahren in der Gastronomie sein Hobby zum Beruf gemacht. Corre selbst entspricht schon mal nicht dem Klischee des pickligen Nerds, der einsam in seinem Keller zwischen Pizzakartons haust. Er lebt mit Frau und zwei Kindern im beschaulichen Hohenkammer, knapp 45 Kilometer außerhalb Münchens.

Nippondreams heißt der Laden von Christian Corre, in dem er alte Spiele und Konsolen verkauft. Derzeit im Trend liegen der Gameboy - und natürlich Tetris.
Nippondreams heißt der Laden von Christian Corre, in dem er alte Spiele und Konsolen verkauft. Derzeit im Trend liegen der Gameboy - und natürlich Tetris. (Foto: Robert Haas)

Und die Kunden, die in seinen Laden "Nippondreams" kommen? "Da ist einfach alles dabei", sagt der 42-Jährige, "von der 20-jährigen Studentin bis zum 50-jährigen Manager, der nach Feierabend im Anzug in den Laden kommt." Die verschiedensten Leute würden sich für "40 Jahre Videospielkultur" interessieren. So nennt Corre die Daddelei - Videospielkultur. Und was fasziniert Menschen nun an dieser eigentlich recht altbackenen Form des Computer- und Konsolenspielens?

Die eine Antwort gebe es natürlich nicht, sagt Corre. Die Jüngeren seien oft angefixt von den Eltern, bei denen sie die Spiele gesehen haben. Ein "hippes Retro-Gefühl" komme bei denen auf. Bei den Älteren wiederum sei natürlich oft ein Stück Nostalgie dabei. Wer sich einfach mal eine alte Konsole kaufe oder auch eine der vielen Neuauflagen, der sei noch kein wirklicher "Retrogamer". "Aber es gibt Menschen, die kaufen sich extra einen Röhrenfernseher", so der Spiele-Experte. Die würden einerseits das echte Retro-Spielgefühl vermitteln, andererseits hätten sie - im Gegensatz zu manchem Flachbildschirm - keine Schwierigkeiten mit dem "Input Lag", also einer minimalen Verzögerung im Millisekunden-Bereich, bis das Signal aus der Konsole auf dem Bildschirm auftaucht: "Solche Dinge sind aber nur dem harten Kern bewusst."

Deutschlandweit würden sich 10 000 bis 15 000 Menschen auf dem Retromarkt tummeln, schätzt Corre, ein Anhaltspunkt seien Facebook-Gruppen. Bei den letzten Retrobörsen in der Umgebung von München seien je rund 500 Leute gekommen. Aktuell sei vor allem der Gameboy mit seinen Spielen gefragt, schließlich wurde der vor 30 Jahren erstmals in Japan auf den Markt gebracht. "Meine Beobachtung ist, dass Retro-Trends eine Wellenform haben. Immer etwa 25 Jahre später haben Konsolen und Spiele einen Hype, der dann langsam wieder abflaut." Manche Entwicklungen sind dann aber auch dem Verkäufer Corre selbst etwas unheimlich.

Das Videospiel "Megaman X3" etwa, 1995 in Japan für die Konsole Super Nintendo erschienen, habe mal 30 Mark gekostet. "Vor zwei Jahren wurde das Spiel auf Ebay originalverpackt für 2430 Euro verkauft", so Corre. Auch heute noch werden Preise um 600 Euro aufgerufen. Solche Ausschläge seien aber natürlich die Ausnahme. Auf den Retrobörsen wie der in der Hachinga Halle könnten Fans immer noch Schnäppchen auftun. Überhaupt geht es offenbar eher um die gemeinsame Freude an dem ungewöhnlichen Hobby.

Im Münchner Umland gab es 2017 die erste Retro-Börse, andere Regionen haben solche Märkte schon seit zehn Jahren. Dabei ist die Szene mit weiteren Projekten durchaus verankert in der Landeshauptstadt. Das Magazin "Retrogamer" gilt als führend in Sachen alte Videospiele, die Redaktion der deutschen Ausgabe sitzt in Haar bei München. "In unserem Heft ist für jeden Retro-Fan etwas dabei, egal, ob man von den alten 8-Bit-Konsolen, den frühen Homecomputern oder auch aus der MS-DOS-Zeit kommt", so die Macher. Ebenfalls von hier: die Videospiel-Entwickler-Firma FDG Entertainment. Ihr größter Hit Monster Boy and the Cursed Kingdom, entstand in Zusammenarbeit mit dem japanischen Konzern Sega. Es ist das international bestverkaufte Spiel für die aktuelle Nintendo-Konsole Switch. Im Januar 2019, einen Monat nach Veröffentlichung, gingen allein 50 000 Exemplare über die Ladentische. Und das mit einem expliziten Retro-Look, der an japanische Spiele aus den Neunzigerjahren erinnert.

Der neueste Trend nämlich, der den Retro-Hype belegt, sind Spiele, die auf "alt" gemacht sind und Remakes alter Konsolen, die den Originalen zwar optisch ähneln, aber mit neuen Prozessoren und neuester Technik ausgestattet sind. Produkte für Nostalgiker eben. Auf der NES Classic Mini etwa kann man - in deutlich besserer Auflösung als bei der Original-Konsole von Nintendo - 30 vorinstallierte Games spielen. Auch solche Produkte dürften auf dem Retroflohmarkt angeboten werden. Echte Fans werden sich trotzdem wohl eher für originalverpackte Spiele aus ihrer Kindheit begeistern.

Retrobörse für klassische Videospiele am 11. Mai, 11 bis 16 Uhr in der Hachinga Halle, Unterhaching.

© SZ vom 10.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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