Problem der "Fehlbeleger":Am Anschlag

Mustersiedlungen, Wohnwagen, leer stehende Forsthäuser: Die Kommunen in der Region München gehen sehr unterschiedliche Wege, um für anerkannte Flüchtlinge Wohnraum zu schaffen

Von Carolin Fries

Sollte es Motivation sein oder war es eine Drohung? Bei Landräten und Bürgermeistern im Münchner Umland hat zuletzt ein Schreiben von Sozialministerin Emilia Müller Unmut erregt, in dem sie die Kommunen aufforderte, anerkannten Asylsuchenden rasch Wohnungen zu verschaffen. "Unsere gemeinsame Grundlinie muss sein: Anerkannte Flüchtlinge sind Gemeindebürger, leben vor Ort in der Gemeinschaft, wurden dort integriert und brauchen dort Wohnraum", forderte Müller. Uwe Brandl, Präsident des bayerischen Gemeindetags formuliert es anders: "Die Kommunen, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, sind jetzt die Blöden." Denn wenn etwas knapp ist in München und der Region, dann ist es Wohnraum.

Immer mehr Asylsuchende erhalten ein Bleiberecht und müssten damit theoretisch die Asylunterkünfte verlassen. Praktisch werden die Bleibeberechtigten überwiegend zu sogenannten Fehlbelegern in den Unterkünften. "Der Wohnungsmarkt ist wie leergefegt, bebaubare Flächen in den Kommunen sind kaum noch vorhanden und die Mieten nicht mehr bezahlbar", kritisiert Brandl. Von den bayernweit derzeit etwa 125 000 Flüchtlingen, die in Asylunterkünften untergebracht sind, müssten etwa 30 000 die Unterkunft verlassen. Bis Ende des Jahres würden es etwa 70 000 sein. So viele, wie Landshut Einwohner hat.

Die Regierung von Oberbayern zählt in ihren Gemeinschaftsunterkünften etwa 1900 offiziell Bleibeberechtigte. Hinzu kommen die anerkannten Flüchtlinge aus den dezentralen Unterkünften, die die Regierung nicht erfasst. In Starnberg sind das 371 Personen, in Ebersberg 352, in Freising 719, in Fürstenfeldbruck 906, in Wolfratshausen 606, in der Stadt München 1224, im Landkreis München etwa 1000. Zusammen mit den Fehlbelegern in den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen und Erding handelt es sich damit um mehr als 7000 Betroffene - ungefähr dreimal so viele wie noch vor einem Jahr. "Derzeit wird der vorübergehende Verbleib auch in Asylunterkünften geduldet", sagt Martin Nell, Sprecher der Regierung von Oberbayern. Erklärtes Ziel sei es aber, anerkannte Asylbewerber baldmöglichst in geeignete Wohnungen weiterzuvermitteln. Die Suche sei grundsätzlich Sache der Bleibeberechtigten.

Die Stadt München setzt auf Sozialwohnungen - sei es im Bestand oder mit dem neuen Projekt "Wohnen für Alle". Doch auf eine geförderte Wohnung warten viele Haushalte, Anfang des Jahres waren es 11 500, davon etwa 8200 in Dringlichkeitsstufe eins. Im Umland ist die Lage kaum besser. "Keiner weiß, wohin mit den Menschen", sagt Starnbergs Landrat Karl Roth (CSU). Man bemühe sich, aber versprechen könne man nichts. Der Verband Wohnen, in dem sich die Kommunen des Landkreises zusammengetan haben, sei derzeit mit zwei Gemeinden in Grundstücksverhandlungen; die Flächen sollen für den sozialen Wohnungsbau genutzt werden. "Das heißt aber, dass diese auch der heimischen Bevölkerung zur Verfügung stehen", betont Roth.

In gleicher Weise agiert der Landkreis Ebersberg. Hier baut ein neu gegründetes Kommunalunternehmen Wohnungen, außerdem die Wohnbaugesellschaft - ebenfalls für breitere Kreise der Bevölkerung, wie Landrat Robert Niedergesäß (CSU) betont. Er fordert langfristig noch mehr Unterstützung von Bund und Land, auch wenn rechtlich alleine die Kommunen für die Unterbringung zuständig sind. Aktuell sei aber vor allem eines wichtig: Dass die Fehlbeleger weiter in den Unterkünften bleiben dürfen.

Für Fürstenfeldbrucks Landrat Thomas Karmasin (CSU) ist die Gemeinschaftsunterkunft gar eine langfristige Lösung. Die Flächen in den Kommunen seien extrem knapp und teuer. "Viele Gemeinden wollen auch nicht so stark wachsen, weder für Menschen aus München noch aus Afrika", sagt er. An der Wachstumspolitik der Gemeinden würde auch eine Unterstützung des Staates kaum etwas ändern, schließlich hätten die Gemeinden die Planungshoheit. Er könne im Kreis Fürstenfeldbruck jedenfalls keine größeren Vorhaben erkennen. In Puchheim werden derzeit immerhin drei Wohnungen für anerkannte Asylbewerber und Obdachlose als Holzständerbauten am Ortsrand errichtet. Ursprünglich wollte Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) mehr bauen - bis die Nachbarn protestierten.

Anders ist die Situation in Karlsfeld (Landkreis Dachau). Hier entstand im vergangenen Jahr eine kleine Mustersiedlung für 186 Flüchtlinge: vier Gebäude in Holzständerbauweise, 31 Wohnungen mit jeweils drei Zimmern für zwei Personen, eigener Küche, Bad und Wohnraum. Nach der Massenunterbringung in Traglufthallen und Sporthallen setzte das Projekt neue Standards. Im März wurde eine weitere, fast baugleiche Anlage in der Nähe des Karlsfelder Sees eröffnet. Insgesamt leben in den beiden kleinen Siedlungen inzwischen mehr als 270 Flüchtlinge, die meisten von ihnen sind anerkannt.

Andernorts wird improvisiert. In Höhenkirchen-Siegertsbrunn im Landkreis München steht seit zwei Jahren eine Wohnwagensiedlung. Etwa 40 anerkannte Asylbewerber lebten in den zehn Wagen. Eine Notlösung, die zur Dauerlösung wurde, auch wenn im vergangenen Jahr kleine Hütten aus Holz, sogenannte "Feelhome-Häuser" als Ersatz gebaut wurden: Manch einer blieb lieber im Wohnwagen. In Harthausen in der Gemeinde Grasbrunn hat die Regierung von Oberbayern zwei Forsthäuser herrichten lassen, die dem Freistaat gehören und zuletzt lange leer standen. Sie dienen nun drei anerkannten Flüchtlingsfamilien mit insgesamt 15 Kindern als Zuhause.

"Jeder wurschtelt vor sich hin", sagt Brandl, "dabei geht es miteinander schneller." Der Gemeindetagspräsident schlägt eine Wohnungsgesellschaft von Freistaat und Kommunen vor. Außerdem seien beschleunigte Bauleitinstrumente erforderlich. Es werde ja nicht einfacher: "Der vereinfachte Familiennachzug für enge Verwandte anerkannter Asylbewerber lässt sich kaum abschätzen."

Mitarbeit: Peter Becker, Peter Bierl, Christina Hertl, Gudrun Passarge, Gregor Schiegl

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