Proberäume in München:180 Euro - für den Mittwoch

Container-Dorf für Musiker in Allach

In einem Container-Dorf in München-Allach können Musiker Proberäume anmieten - 15 Quadratmeter für 180 Euro.

(Foto: Florian Peljak)

Wände aus Pappe, Räume ohne Heizung oder Toiletten: Wer Popmusik machen will, muss leiden. Doch nirgends ist es so schwierig, einen akzeptablen Proberaum zu finden, wie in München.

Von Felix Reek

Der ältere Herr mit italienischem Akzent sagt, er hätte da "etwas ganz Besonderes" für mich. Ich glaube ihm sofort: Der Eingang liegt zwischen einer Russendisco und einem Striptease-Schuppen in der Münchner Kultfabrik. Wir betreten das Gebäude. Über ein wackliges Gitter geht es zwei Stockwerke hoch, dann durch dunkle Gänge und einen langen vollkommen leeren Saal. An dessen Ende: eine Stahltür. Dahinter öffnet sich ein großzügiger, vielleicht 50 Quadratmeter großer Raum. "Das ist der Proberaum", sagt der ältere Herr, "kostet 180 Euro." Begeisterung. Das ist sie also endlich, die große weite Welt. In München macht man nicht im Waschkeller Musik, sondern in Hallen! München, meine neue Heimat. Dann fügt der Vermieter hinzu: "für den Mittwoch".

So schnell landete ich vor elf Jahren in der Realität. Mein Vermieter holte das Maximum aus seinem Objekt: sieben Tage in der Woche, sieben Mieter. Die Halle in der Kultfabrik wurde mein erster Proberaum in der bayerischen Hauptstadt. Wenn wir abends ankamen, beobachteten meine Band und ich, wie Stripperinnen sich auf schwindelerregenden Absätzen grazil aus Limousinen wanden. Wenn wir gingen, sahen wir junge Russen die Treppe vor der Disco hinunterfallen.

Ich würde jetzt gern sagen: Es wurde besser. Als Musiker hat man immer Hoffnung. Hoffnung auf einen Plattenvertrag, auf das nächste Konzert oder zumindest auf einen anständigen Proberaum. Das ist es, was einen antreibt. Erfüllt wird davon oft wenig. Was in Ordnung ist. Wer Musik wirklich mit Leidenschaft betreibt, hat zunächst keine kommerziellen Interessen. Es ist ein innerer Drang. Doch diesem möchte man sich zumindest in einer menschenwürdigen Umgebung hingeben.

Angefangen hat alles im Waschkeller

Über die Jahre habe ich in unzähligen Proberäumen gestanden. Zuerst mit 16 im Waschkeller der Tante des Gitarristen meiner ersten Band. Dann in der Universitätsstadt Marburg in einem feuchten Verschlag direkt vor einem Privathaus. Die Vermieterin: eine Dame in den mittleren Jahren, zumeist in Lederhosen und Rüschenbluse, die wir wenig einfühlsam "die Rock-Bitch" nannten. Wir waren jung, undankbar und wussten es nicht besser.

Der nächste Proberaum kam ohne Waschmaschine und Groupie im Ruhestand aus. Leider auch ohne Tür. Er lag 30 Kilometer entfernt in einem alten Kasernengebäude in Gießen. In Münster stand ich in einem Keller, dessen Vorraum fünf Zentimeter unter Wasser stand. Die Liste ließe sich fortsetzen. Münster, Marburg, Gießen, sie alle vereint: Es waren Räume in schlechtem Zustand, überteuert, mit langen Wartelisten und sanitären Anlagen, für die sich jeder Bahnhof schämen würde. München kann das toppen: Hier gibt es all das - zum dreifachen Preis.

Internet, aber keine Heizung

Proberaum Scurious München Allach Kulturprojekt

So sehen die Proberäume in Allach von innen aus.

(Foto: Petra Markovic)

Mein aktueller Proberaum liegt unweit des Frankfurter Rings, 18 Quadratmeter, 330 Euro. Die Wände sind mit Pappe verkleidet, für jedes Loch, das man versehentlich in die Wand stößt, werden 20 Euro fällig. Es gibt Internet, aber keine Heizung. Wer sich das leisten will, teilt den Raum mit anderen Bands. Das macht die Miete billiger, sorgt aber auch dafür, dass man weniger Platz hat. Aber es ist immer noch besser als der Übungsraum in der Nähe des Ostbahnhofs, in dem ich mal bei einer Band vorspielte. Auf die Frage, wo denn die Toilette sei, antworteten die Kollegen: "Gibt es nicht." Und was man denn tun würde, wenn es wirklich dringend sei? "Einhalten."

Ich würde das alles gerne für einzelne Negativbeispiele halten. Aber wer in München Popmusik machen will, und dazu zähle ich alle Spielarten zwischen Hiphop und Heavy Metal, der muss eine gewisse Leidensfähigkeit mitbringen. Er muss sich mit horrenden Quadratmeterpreisen abfinden und damit, dass er die Band nebenan fast genauso laut hört wie die eigene. Weil die Wand aus Pappe ist. Oder dass er im Sommer verglüht, weil er in einem der Container des größten Proberaumkomplexes der Stadt übt, in Allach.

Proberäume sind in München jetzt Chefsache

Dass dies der Entwicklung einer Subkultur in München nicht gerade förderlich ist, sollte jedem klar sein. Hinzu kommt, dass es in München an Klubs mangelt, in denen kleine Bands auftreten können. Auf Facebook gibt es eine Gruppe mit dem bezeichnenden Titel "Where's The Scene? - Munich". Damit sich das ändert, hat Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die Proberaumproblematik zur Chefsache erklärt.

Als großes Vorbild gilt Schweden. Seit dem Erfolg von ABBA in den Siebzigerjahren fördert der Staat systematisch Musiker - mit Instrumenten, Tourbussen, Studioaufnahmen oder Proberäumen. Das gilt für Popacts wie Roxette aber auch für The Hives, die als scheppernde Garagenrockband begannen. Der Erfolg gibt den Schweden recht. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist Schweden nach den USA und Großbritannien der drittgrößte Exporteur von Popmusik.

Davon sind Deutschland - und München - weit entfernt. Die bayerische Hauptstadt gilt in Sachen Kreativität als Hobby-Musiker-Metropole. In der Chefsache von OB Reiter ist wenig passiert. Neue Proberäume sind bisher nur "im Gespräch", etwa auf städtischen Grundstücken und im Atelierhaus am Domagkpark, ebenso in öffentlichen Neubauten. Bis dem Gespräch Taten folgen, ignorieren die rund 500 Münchner Bands weiterhin in ihren Räumen die Hitze, die Kälte, die fehlenden Toiletten. Und versuchen keine weiteren Löcher in den Karton zu stoßen, den sie Proberaum nennen.

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