Privater Nachhilfeunterricht:All-inclusive-Paket zum Abitur

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Uwe Bremhorst bereitet die Gruppen im Schullandheim in Waldkraiburg auf das Abitur vor. (Foto: Stephan Rumpf)

Private Nachhilfeinstitute profitieren vom Leistungsdruck im Gymnasium. Manche Eltern geben sogar mehr als 1000 Euro die Woche aus. Doch nur wenige Kinder brauchen die Unterstützung wirklich.

Von Melanie Staudinger

Das große Aha-Erlebnis bleibt dieses Mal aus. Obwohl sich Uwe C. Bremhorst alle Mühe gegeben hat, die abstrakten Stochastik-Aufgaben anschaulich zu machen, das System dahinter zu erklären. Wenn etwa das Wort "frühestens" vorkomme, müssten nur vergangene Ereignisse betrachtet werden. Für den Mathematiker liegt das auf der Hand: In "frühestens" ist "früh" enthalten und das erinnert an "früher", an Vergangenes eben. Die Schüler blicken skeptisch. Bremhorst geht einen Schritt zur Seite, zeigt auf eine Gleichung, die er im Seminarraum des Waldkraiburger Schullandheims an die Tafel geschrieben hat, als würde das etwas beweisen, und sagt mit aufgedrehter Stimme: "Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Aber: It works."

Hauptsache das Ergebnis stimmt. Um nichts anderes geht es in diesem Turbo-Vorbereitungskurs für die Abiturprüfungen, die am 6. Mai beginnen und bis Ende Mai dauern. Bremhorst erläutert den Jugendlichen, die um ihn herumsitzen, zwar kurz, warum es Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt ("dem französischen Adel im Absolutismus war langweilig"). Sonst aber empfiehlt er ihnen, sich lieber nicht zu viele eigene Gedanken zu machen. "Halten Sie sich an die Denkschablonen und erfinden Sie nicht alles neu", sagt der Mann, der den Schülern das Vorziehen des Exponenten in einer Logarithmus-Gleichung als "Riesenparty" verkaufen wollte. Nach eineinhalb Stunden hat er drei von vier Rechenmethoden durch, die im Abitur drankommen könnten.

Tausche Zuhause gegen Jugendherberge

Bremhorst sieht sich nicht als Lehrer, sondern als Coach und Motivator. 1992 gründete er in München sein Nachhilfe-Institut, UCB heißt es, benannt nach seinen Initialen, wobei das C für Carsten steht. Seit 1994 bereitet er Schüler aus zahlungskräftigen Familien auf das Abitur vor, zuerst nur in Waldkraiburg, mittlerweile auch in Nördlingen und Habischried. Knapp 400 Schüler nehmen die Abi-Vorbereitung in diesen Osterferien in Anspruch.

Das hat seinen Preis: Sie tauschen ihr meist vermutlich komfortableres Zuhause gegen Mehrbettzimmer in einer Jugendherberge. Zwei bis vier Schüler teilen sich einen Raum im 1959 erbauten Haus Sudetenland in der einstigen Vertriebenenstadt Waldkraiburg. Bremhorst verlangt für sein All-inclusive-Paket 1190 Euro pro Woche. Die Teilnehmer lernen von 8.15 Uhr bis 21.30 Uhr, Unterricht und Fragestunden wechseln sich ab. Dazwischen gibt es Mittag- und Abendessen: Die Suppe schöpfen die Jugendlichen selbst am Eingang zum Speisesaal aus großen Töpfen, die Hauptspeise wird in Alu- und Plastikschüsseln an den Tisch gebracht.

"Das Geschäft lief noch nie so gut wie jetzt", sagt Bremhorst. Kaum jemand dürfte derart von den ständigen Diskussionen um das Gymnasium profitieren wie private Nachhilfe-Institute. Mathe als verpflichtendes Abschlussfach versetzt viele Schüler in Panik. Dazu kommt die Angst, deutschlandweit nicht mehr konkurrenzfähig zu sein im Kampf um begehrte Studienplätze. Das Vertrauen in das herkömmliche Schulsystem schwindet. Wer es sich leisten kann, holt sich außerschulische Hilfe. Etwa 1,2 Milliarden Euro geben deutsche Eltern im Jahr für Nachhilfe aus. Statistisch gesehen hat jeder vierte Schüler in mindestens einem Fach Hilfe.

Nur eine Minderheit bräuchte die Unterstützung tatsächlich, viele wollen ihren Schnitt nur veredeln oder ihre sehr guten Noten halten. Talia Örs aus Planegg etwa hat sich für den zweiwöchigen Kurs in Waldkraiburg, 65 Kilometer östlich von München, angemeldet. Die 18-Jährige steht zwischen 1,8 und 1,9. "Meine Hoffnung ist, mich noch auf 1,5 zu verbessern", sagt sie. Wäre sie daheim, würde sie bis zehn Uhr vormittags schlafen. Hier habe sie zu diesem Zeitpunkt schon zwei Unterrichtseinheiten hinter sich. Das Lernen in der Gruppe gebe ihr die nötige Sicherheit, nehme ihr die Angst vorm Abi - eine Angst, die sie bei ihren Noten nicht haben müsste.

Als schlechte Schüler würden sich auch Benjamin Schweighart, 20, aus Starnberg, und Benjamin Eisold, 19, aus München, nicht bezeichnen. Sie besuchen den Mathe-Unterricht. Die Grundlagen hätten sie drauf, die Übung aber fehle ihnen. "Hier lernen wir viel und haben Spaß dabei", sagen die beiden. Wie sie sind die meisten Schüler aus dem Großraum München (das liege an der Mundpropaganda, sagt Bremhorst) und versuchen, ihre Kenntnisse in Stochastik, Analysis und Geometrie zu festigen. In der Übungs- und Fragestunde brüten 70 Jungen und Mädchen aus privaten und öffentlichen Schulen über den Aufgaben, die in ihren UCB-Skripten stehen. Würden sie sich umdrehen, könnten sie durch die Fensterfront des hölzernen Seminarhauses mitbekommen, dass sie die letzten Sonnenstrahlen für die kommenden Tage verpassen. Aber sie sind beschäftigt.

Kleine Gruppen, guter Erfolg: Bei der Abiturvorbereitung wollen viele Schüler an ihrem Notenschnitt arbeiten. (Foto: Schülerzahlen)

Die Persönlichkeit muss stimmen

Sie berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Fußballspieler in Topform auflaufen oder wie viele Stimmenanteile politische Parteien unter bestimmten Wählerkonstellationen erhalten würden. Jeder löst seine Aufgaben allein, wer eine Frage hat, meldet sich. Dann eilt entweder Bremhorst herbei oder einer seiner Mitarbeiter. "Das können Studenten, Referendare oder ausgebildete Lehrer sein", sagt der Chef. Auf Zeugnisse, so erklärt er, legt er anders als der Staat keinen allzu großen Wert. Die Persönlichkeit müsse stimmen, die fachliche Kompetenz und vor allem die Fähigkeit, den Stoff richtig zu kommunizieren.

"Das ist das Hauptproblem des Schulsystems", sagt Bremhorst. Es sei zu starr, vermittle nur Wissen in Häppchen, beschäftige Pädagogen, die die Lust am Lehren schon vor Jahren verloren hätten. "Den Schülern fehlt die Motivation, die bekommen sie hier", sagt der Mathematiker. Dieser Tag steht unter dem Motto "Die Skripte, die wir Ihnen gaben, enthalten alles, was man wissen muss". In der Früh stellt Bremhorst in jedem Stockwerk einen Gettoblaster auf. "All I gave to you" schallt durch die Lautsprecher, die Tagesbotschaft von JB Venus passend zum Motto. Abends beim sogenannten Come Together, wenn die Schüler mit ihren freiwilligen Mathe-, Englisch-, Chemie- und Deutschkursen fertig sind, wird er ihnen noch eine Episode aus dem Leben des Sokrates erzählen: So wie der Ertrinkende unter Wasser Luft holen will, so sollen sie den Erfolg im Abitur haben wollen. "Wir bieten einen Rahmen, die Schüler überlegen selbst, was für sie wichtig ist, und belegen die Kurse, die ihnen helfen, ihre Noten zu verbessern", sagt Bremhorst.

Leistungsdruck und Party

Seine Strategie nennt er "Power - Pressure - Party": Gas geben beim Lernen, effizient Fachkenntnisse aneignen und sich trotzdem wohlfühlen. Die Motivationseinheiten, die vielen kleinen Pausen und der gemeinsame gesellige Abend am Ende der Woche sollen denjenigen, die es sich leisten können, dabei helfen. "Gesellschaftlich wäre es schon schön, wenn der Kurs günstiger wäre", sagt Bremhorst. Für 200 oder 300 Euro sei sein Angebot aber nicht zu haben. 18 Betreuer kommen auf 92 Schüler: "Ein solches Verhältnis finden Sie sonst nirgends." Qualität kostet.

Bremhorst verabschiedet sich an diesem Tag um halb vier aus Waldkraiburg und fährt nach Nördlingen, seinem Komfortstandort mit größeren Zimmern und Flachbildfernseher, Balkon und Sauna. Hier bezahlt jeder Schüler 1340 Euro in der Woche.

© SZ vom 22.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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