Das große Aha-Erlebnis bleibt dieses Mal aus. Obwohl sich Uwe C. Bremhorst alle Mühe gegeben hat, die abstrakten Stochastik-Aufgaben anschaulich zu machen, das System dahinter zu erklären. Wenn etwa das Wort "frühestens" vorkomme, müssten nur vergangene Ereignisse betrachtet werden. Für den Mathematiker liegt das auf der Hand: In "frühestens" ist "früh" enthalten und das erinnert an "früher", an Vergangenes eben. Die Schüler blicken skeptisch. Bremhorst geht einen Schritt zur Seite, zeigt auf eine Gleichung, die er im Seminarraum des Waldkraiburger Schullandheims an die Tafel geschrieben hat, als würde das etwas beweisen, und sagt mit aufgedrehter Stimme: "Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Aber: It works."
Hauptsache das Ergebnis stimmt. Um nichts anderes geht es in diesem Turbo-Vorbereitungskurs für die Abiturprüfungen, die am 6. Mai beginnen und bis Ende Mai dauern. Bremhorst erläutert den Jugendlichen, die um ihn herumsitzen, zwar kurz, warum es Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt ("dem französischen Adel im Absolutismus war langweilig"). Sonst aber empfiehlt er ihnen, sich lieber nicht zu viele eigene Gedanken zu machen. "Halten Sie sich an die Denkschablonen und erfinden Sie nicht alles neu", sagt der Mann, der den Schülern das Vorziehen des Exponenten in einer Logarithmus-Gleichung als "Riesenparty" verkaufen wollte. Nach eineinhalb Stunden hat er drei von vier Rechenmethoden durch, die im Abitur drankommen könnten.
Tausche Zuhause gegen Jugendherberge
Bremhorst sieht sich nicht als Lehrer, sondern als Coach und Motivator. 1992 gründete er in München sein Nachhilfe-Institut, UCB heißt es, benannt nach seinen Initialen, wobei das C für Carsten steht. Seit 1994 bereitet er Schüler aus zahlungskräftigen Familien auf das Abitur vor, zuerst nur in Waldkraiburg, mittlerweile auch in Nördlingen und Habischried. Knapp 400 Schüler nehmen die Abi-Vorbereitung in diesen Osterferien in Anspruch.
Das hat seinen Preis: Sie tauschen ihr meist vermutlich komfortableres Zuhause gegen Mehrbettzimmer in einer Jugendherberge. Zwei bis vier Schüler teilen sich einen Raum im 1959 erbauten Haus Sudetenland in der einstigen Vertriebenenstadt Waldkraiburg. Bremhorst verlangt für sein All-inclusive-Paket 1190 Euro pro Woche. Die Teilnehmer lernen von 8.15 Uhr bis 21.30 Uhr, Unterricht und Fragestunden wechseln sich ab. Dazwischen gibt es Mittag- und Abendessen: Die Suppe schöpfen die Jugendlichen selbst am Eingang zum Speisesaal aus großen Töpfen, die Hauptspeise wird in Alu- und Plastikschüsseln an den Tisch gebracht.
"Das Geschäft lief noch nie so gut wie jetzt", sagt Bremhorst. Kaum jemand dürfte derart von den ständigen Diskussionen um das Gymnasium profitieren wie private Nachhilfe-Institute. Mathe als verpflichtendes Abschlussfach versetzt viele Schüler in Panik. Dazu kommt die Angst, deutschlandweit nicht mehr konkurrenzfähig zu sein im Kampf um begehrte Studienplätze. Das Vertrauen in das herkömmliche Schulsystem schwindet. Wer es sich leisten kann, holt sich außerschulische Hilfe. Etwa 1,2 Milliarden Euro geben deutsche Eltern im Jahr für Nachhilfe aus. Statistisch gesehen hat jeder vierte Schüler in mindestens einem Fach Hilfe.