Dürfen ehrenrührige Artikel in Pressearchiven auch nach 20 Jahren noch öffentlich zugänglich sei? Ein früherer Münchner Journalist wollte den Spiegel mit einer Unterlassungsklage zwingen, Berichte über ihn nicht länger online zugänglich zu machen. Das Nachrichtenmagazin hatte den Mann in den Neunzigerjahren mit der Überschrift "Der gekaufte Journalist" als "Prototyp dieses von der Industrie so geschätzten Schleichwerbers" dargestellt. Der Betroffene klagte nun vor dem Landgericht München I, dass diese Artikel fortlaufend sein "Recht auf Vergessenwerden" verletzen. Die Pressekammer hat die Klage jedoch abgewiesen: Diese Berichterstattung sei immer noch zulässig - das Gericht sehe keinen Anlass, die Geschichtsschreibung über den Kläger zu löschen.
Der Spiegel hatte allgemein eine Allianz von Firmen, Verbänden, Parteien und Behörden mit "Jubeljournalisten" angeprangert, die das gutgläubige Publikum zum Opfer von Inszenierung mache. Als typischen Vertreter dieser "Schleichwerber" stellte das Magazin namentlich den Münchner Pharma-Journalisten dar, der sich "seit Jahren eine goldene Nase mit getarnter Reklame" verdiene. Unter anderem für die Bunte oder Blätter aus dem Springer Verlag habe er in seinen Texten Präparaten und Produkten verblüffende Heilkräfte angedichtet - etwa unter der Schlagzeile "Super-Pille putzt Adern". Der Spiegel behauptete: "Das Jahreshonorar bemaß sich nach Umsatz, es lag leicht bei einigen hunderttausend Mark."
Der Münchner, er lebt inzwischen als Künstler in Österreich, klagte: Dem Spiegel hätten keinerlei Beweise vorgelegen. Er nannte die Veröffentlichungen "reine Spekulationen und Behauptungen ,ins Blaue' hinein". Durch die "reißerische und unwahre Darstellung" begegne er bis heute als Künstler massiven Ressentiments und erleide finanzielle Einbußen. Der Spiegel wehrte sich: "Wahre Tatsachenbehauptungen müssen hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind." Es gebe keine generelle Pflicht, die Berichterstattung rückwirkend zu anonymisieren. Außerdem hätte der Kläger bei Google schon durchgesetzt, dass allein durch den Namen des Betroffenen diese Artikel im Internet nicht mehr gefunden würden.
Die 9. Zivilkammer hält die Berichterstattung zwar für "den Leumund eines Journalisten vernichtend". Doch der Kläger sei nicht einmal zur Verhandlung erschienen um zu erklären, ob es nun "Verträge mit den Unternehmen gab und ob er von diesen die berichteten Geldbeträge, die keinesfalls unerheblich sind, bekommen hat". Die Berichterstattung rücke den Kläger in die Nähe eines standeswidrigen Handelns, sei jedoch damals zulässig gewesen. "Der Berichterstattung lagen auch ausreichende Anhaltspunkte für die getroffenen Behauptungen zugrunde", stellt das Gericht fest.
Den Vergleich zu den Mördern des Schauspielers Walter Sedlmayr, die bei Onlinearchiven aus Rehabilitationsinteresse vorübergehend die Löschung ihrer Namen durchsetzen konnten, ließ die Kammer nicht zu: Diese würden ihre Strafen verbüßen - für das "mutmaßlich verwerfliche" Handeln des Klägers sei kein Ausgleich erfolgt. Das Geschichtsgedächtnis der Archive sei, sagt das Gericht, "von ganz erheblichem Wert". Das Urteil (Az.: 9 O 5912/15) ist noch nicht rechtskräftig.