Prozess am Landgericht:Mord oder Selbstmord

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Der Angeklagte sitzt am Donnerstag hinter einer Plexiglasscheibe vor Gericht, die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, seine Frau erschossen zu haben. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Srecko S. soll seine Frau regelrecht hingerichtet haben, weil die sich von ihm trennen wollte. Der Angeklagte bestreitet das und behauptet: Diana S. habe sich selbst erschossen.

Von Susi Wimmer

Über vier Jahre lang lebte Srecko S. mit der Geschichte, dass seine Ehefrau - und die Mutter seiner fünf Kinder - im Jahr 2015 in der gemeinsamen Wohnung in Haar Selbstmord begangen habe. Bis zum Dezember 2019: Da stand die Polizei vor seiner Tür und nahm ihn fest - wegen Mordes. Staatsanwältin Johanna Heidrich wirft dem 61-Jährigen vor, die 20 Jahre jüngere Ehefrau mit einem aufgesetzten Schuss in den Kopf regelrecht hingerichtet zu haben, weil sie ihn verlassen wollte. Ein Schmauchspurengutachten von der Hand des Ehemannes soll eine entscheidende Rolle bei dem Indizien-Prozess vor der zweiten Strafkammer am Landgericht München I spielen.

"Mein Mandant streitet den Tatvorwurf vollumfänglich ab. Er hat seine Frau nicht getötet", erklärt Anwalt Adam Ahmed. In einem Eröffnungs-Statement wirft er der Staatsanwaltschaft vor, ein Kapitalverbrechen zu konstruieren, wo keines sei. "Es war ein Suizid", sagt Ahmed, der Srecko S. zusammen mit Benedikt Stehle verteidigt. Bei der Tat seien keine Zeugen anwesend gewesen. Die Mordanklage stütze sich lediglich auf gutachterliche Aussagen, das seien keine zweifelsfreien Belege.

Die Staatsanwaltschaft sieht Heimtücke und niedrige Beweggründe als erwiesen an

Staatsanwältin Heidrich hält dagegen, dass der Verdacht gegen S. von Anfang an bestanden habe, man aber unter anderem etliche Gutachten in Auftrag geben musste, um den Verdacht zu erhärten.

Diana S. kam nach der Scheidung der Eltern mit ihrer Mutter 1991 von Israel nach Deutschland. "Sie war sehr lebendig, eine Draufgängerin und Macherin, ein bisschen auch Drama-Queen", erzählt ihr Bruder vor Gericht. 2002 heiratete sie den viel älteren Srecko S. "Er war eher depressiv", sagt der Bruder, "ich hab ihn nie lächeln sehen." Zudem sei S. leicht in Wut geraten, selbst bei trivialen Gesprächsthemen. "Er steigerte sich rein, schlug auf den Tisch."

Einmal sei seine Schwester mit den Kindern bei ihm untergeschlüpft, weil S. in einem Wutanfall die Wohnung verwüstet habe. "Aber ich habe gewusst, sie geht in drei Tagen wieder zu ihm zurück." Seine Schwester habe in einem emotionalen Zwiespalt gelebt: Auf der einen Seite habe sie das Gefühl des Zusammengehörens gebraucht, "aber sie hatte nicht genug Luft zum Atmen". Sie habe nicht arbeiten dürfen, nicht studieren, "sie musste aufpassen, was sie tut und was sie sagt". Er sei froh gewesen, als sie im Juni 2015 mit der ältesten Tochter aus der Wohnung auszog und in Augsburg neu anfangen wollte.

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Diana S. nahm sich eine Rechtsanwältin und reichte laut Staatsanwaltschaft beim Familiengericht einen Antrag auf Aufenthaltsbestimmung für ihre vier jüngeren Kinder ein, die damals elf, acht, sechs und vier Jahre alt waren. Am 26. August 2015 sollte ein Anhörungstermin vor Gericht stattfinden, am 30. Juli erhielt S. die Ladung. Staatsanwältin Heidrich geht davon aus, dass Srecko S. sich mit der Trennung nicht abfinden wollte und beabsichtigte, seine Frau zu töten, so sie nicht zu ihm zurückkehren wollte. In der Nacht auf den 4. August fuhr er nach Augsburg, überredete Diana S. zu einem Familienausflug. Noch in der Nacht sei das Paar nach Haar gefahren. Bei Musik und Wein soll es zu einvernehmlichem Sex gekommen sein.

Was dann passierte, legt die Anklageschrift so dar: S. kontrollierte das Handy seiner Frau und fand darin Kontakte zu anderen Männern. Daraufhin holte er aus dem Schlafzimmer eine halbautomatische Pistole und zwang seine halbnackte Frau, vor ihm zu knien. In dieser "entwürdigenden Position" schoss er ihr eine Kugel in die linke Schläfe. Nach der Tat legte er der Toten eine Patrone in die rechte Hand und die Waffe auf den Boden, um einen Suizid vorzutäuschen. Durch den Schuss und seine anschließenden Hilferufe erwachten zwei Kinder. Ein Mädchen wählte den Notruf, das andere lief zur Nachbarin. In der Zwischenzeit soll sich S. die Hände gewaschen haben, "um Schmauchspuren zu beseitigen", so die Anklage. Staatsanwältin Heidrich sieht die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe als erfüllt an. Sie erklärte zudem, dass Diana S. Rechtshänderin gewesen sei. Die Wunde in ihrem Kopf war jedoch an der linken Seite - die Rechtshänderin hätte somit im Falle eines Suizids mit der linken Hand geschossen.

Im Gerichtssaal wird dann eine Zeichnung gezeigt, die die älteste Tochter von der Auffindesituation der toten Mutter gemalt hatte. Dazu ein großes Fragezeichen. Das Mädchen äußert die Frage, warum die Waffe unten bei den Beinen liege. Es werden Nachrichten der Tochter verlesen, in denen sie schreibt, sie habe Angst vor ihrem Vater. "Ich will nicht wissen, ob er das war, was er noch tun könnte."

Die Verteidigung hält an der Theorie eines Suizids fest. Ahmed sagt der SZ, Diana S. habe mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen. Auch das kommt bei der Befragung des Bruders durch den Vorsitzenden Richter Norbert Riedmann zur Sprache: Bei einer Party in Haar sei Diana S. einmal versehentlich vom Balkon des fünften Stockes gefallen. "Ich habe sie gefragt, ob sie sich umbringen wollte, sie sagte: nein." Bislang sind für den Prozess insgesamt sechs Verhandlungstag angesetzt.

© SZ vom 12.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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