Süddeutsche Zeitung

Premiere von "Fack ju Göhte III":Neues von Elyas M'Barek: Er kann auch Emotionen

Noch nie hat München eine Weltpremiere mit so vielen Besuchern erlebt: 2500 Gäste wollen den dritten und letzten Teil von "Fack ju Göhte" sehen.

Von Philipp Crone

Ganz am Ende hat Bora Dagtekin doch noch Zweifel. Der 38 Jahre alte Regisseur der "Fack ju Göhte"-Reihe steht auf der Bühne, die Premiere des dritten Teils ist gelaufen, er hat alle Darsteller und alle Mitwirkenden noch einmal vorgestellt und auf die Bühne geholt, und die Zuschauer im Kino 6 des Mathäser stehen langsam auf, um sich auf den Heimweg zu machen am Sonntagabend. Dagtekin raunt Produzentin Lena Schömann zu: "War's zu schnell? - Es war zu schnell."

Dagtekin, den Constantin-Chef Martin Moszkowicz vor dem Film zur Einleitung noch "übermenschlich" genannt hat, war wieder einmal zu schnell, er meint in diesem Fall: bei der Vorstellung seiner Crew. Aber das gilt nicht nur für diesen Abend. Der Regisseur, dieses Gag-Genie, hat mit Produzentin Schömann nicht nur innerhalb von nur sechs Monaten diesen Film gedreht und ins Kino gebracht, er hat auch wieder eine Geschichte entwickelt, die dem Zuschauer nicht eine Sekunde Pause lässt. Und wenn man sich bei den Filmen von Dagtekin und M'Barek noch immer fragt, wie eine Klamauk-Mischung zu einer Kult-Marke werden kann, dann gibt es an diesem Abend ein paar Antworten. Die erste heißt: Geschwindigkeit. Und wer hätte gedacht, dass Dagtekin zwischen Unerhörtheiten und prallen Pointen auch noch neue Emotionen in seine Geschichte reinpacken kann?

Zunächst ist da Uschi Glas

Geschwindigkeit ist auch vor dem Filmbeginn alles. Noch nie hat München eine Premiere mit so vielen Besuchern erlebt. 2500 geladene Gäste in mehreren Kinos, dazu Hunderte Fans entlang des roten Teppichs, der 50 Meter lang vom Hintereingang bis zur Fotowand führt und von kreischwilligen Teenagern gesäumt ist. Um 17 Uhr stehen die jungen Frauen, sie sind klar in der Mehrheit, bereit, was heißt: Auf Zehenspitzen für die nächsten eineinhalb Stunden, das Handy hochgehalten und immer schnell nach der lautesten Kreischquelle ausgerichtet. Terabyte-weise werden Daten von Selfie-Posen aufgezeichnet.

Zunächst ist da Uschi Glas, die als Vertreterin der Festnetz-Generation geschlagene 18 Sekunden für ein Selfie braucht, sie wird abgelöst von Katja Riemann, die mit acht Sekunden schon deutlich schneller ist und auch eine deutliche größere Bereitschaft mitbringt, mit auszurasten. Kommt ihr ein Kreisch entgegen, kreischt sie zurück, wirbelt ihre blonden Locken und ruft "Jaaaaah!", wenn sie nach einem Selfie gefragt wird.

Als ob sie etwas von dem geraucht hätte, was M'Barek als Lehrer Müller gleich im Film zu sich nimmt und nur noch durch eine Zäpfchen-Behandlung ernüchtert werden kann. Und wenn jemand ein aus dem Hintern wieder rausfliegendes Zäpfchen, das Schülerin Chantal (Jella Haase) ans Auge fliegt, so inszenieren kann, dass es brüllend komisch und nicht fremdschäm-scheußlich wirkt, dann der schüchterne Regisseur Dagtekin, der sich auf dem Teppich im Hintergrund hält.

Am Ende weint sie beim Abschied auf der Bühne

Was soll Dagtekin hier auch ausrichten gegen Leute wie Rapper Farid Bang, der erst einmal in 0,8 Sekunden ein Selfie wegzischt, um dann ins erste Mikrofon zu sagen: "Wie wir den dritten Teil feiern wollen? Da fällt mir eigentlich nur ein Dreier ein." Das ist platt, das ist Bang, dagtekinischer Humor wäre es, so einen Dialog in seinen Film einzubauen, dass selbst das nicht so leicht zu beeindruckende Münchner Premieren-Publikum lacht. Gizem Emre, im Film Zeynep und in diesem Teil eine völlig schief singende überzeugte Sängerin, steht neben Bang und ruft "Jelliiiii!" auf die Frage, mit wem die Freundschaft aus dem Filmcast am engsten ist. Sie meint Jella Haase. Am Ende weint sie beim Abschied auf der Bühne.

Hinter Emre steht M'Barek zum Foto bereit, die Haare an den Seiten kurz, den Zegna-Anzug an den Seiten eng, der Blick cool. Wenn M'Barek bei der ersten Fack-ju-Premiere noch rumgealbert hat, bei der zweiten genervt vom Tinitus-auslösenden Gekreische war, ist er nun fast schon zu einem US-Filmstar gereift, der sich überhaupt nichts mehr anmerken lässt. Lässig lächelnd, die Linke in der Hosentasche. "Geste!" brüllen die Fotografen, "Nein", sagt M'Barek, ehe er in eines der Mikrofone sagt: "Wie das mit den Fans ist? Die begreifen das mittlerweile, sind sehr höflich."

Was sie begreifen: Dass M'Barek zu lange angekreischt wurde, als dass ihn das noch erreichen würde. Der Schauspieler steht zwei Sekunden später schon am nächsten Mikrofon, während Farid Bang in Podolski-Deutsch neben ihm Kurzsätze abfeuert ("Hab viel auf der Uhr") und Florian David Fitz Premierenkarten in einen Strauß aus gereckten Armen hält und die Hand ungebrochen wieder rauszieht. Alles schnell, alles gleichzeitig, fast alles schön. Bis auf die Zurschaustellung durchdrehender Teenager.

Pro7 überträgt den Abend live und dazu gehört auch, dass der Moderator immer mal wieder ankündigt, noch Karten zu haben, für die Fans, die am lautesten schreien. Und dass sich dann im Kinosaal, wo das Teppichtreiben gezeigt wird, manche beschämt abwenden, zeigt, wie unnötig die Aktion ist.

20 junge Mädchen, die verzweifelt wie ausgehungerte Tiere nach einer Karte schreien und reißen, als sei es die erste Mahlzeit der Woche? Da tut der Moderator überrascht. "Die Hand ist noch dran." Alle wollen eben Elyas. Deshalb ist jeder Göhte-Film ein Hit. Aber eben auch, weil die Fans hinter der Absperrung die gleiche Sprache sprechen wie die Figuren, die Dagtekin erschaffen hat. "Da is Fernsehen" oder "Is mega geworden" könnten Filmsätze sein, sind aber Kommentare der Fans im Mathäser. M'Barek hat Noise-cancelling-Kopfhörer auf, könnte man meinen. In aller Ruhe läuft er die Reihe der Mikrofone ab. "Es war super schön, aber es reicht jetzt auch irgendwie", sagt der 35-jährige Hauptdarsteller am übernächsten Mikrofon.

Die Göhte-Reise des frühen M'Barek ist nun langsam vorbei, das merkt man an diesem Abend. Er war lange genug der prollsprachige Super-Body, der sich in jedem Film einmal auszieht, um die Träume der Teenies zu befeuern, und der mit Bierdose und dicken Sprüchen beeindruckt. Das muss auch Dagtekin erkannt haben, der den Lehrer Zeki diesmal an mehreren Stellen anders inszeniert.

Einmal spricht Zeki Müller bei einem Anti-Mobbing-Seminar vor den Schülern, erzählt von seiner Vorgeschichte, dass auch er gemobbt wurde, und obwohl in der Geschichte Seife, sein Hintern und ein auf die Schulter tätowierter Penis vorkommen, gibt es in Kino 6 nach der Szene einige, die sich die Augen reiben. Ansonsten kriegen sie natürlich die erwarteten Sprüche wie "Was Musisches machen? Ich bin Christ!", Unerhörtes wie "Ihr Suizid-Fotzen!", Outtakes mit Darstellern, die sich vor Lachen nicht halten können, und zwischendrin ein paar Sätze über Mobbing oder die Chancen auf eine gute Zukunft der Schüler und was es dafür braucht.

Nämlich Leute wie Zeki Müller, die an einen glauben, oder zumindest so tun. Momente, die doch tatsächlich zwischen zwei Lachern ein wenig nachdenklich machen. M'Barek kann auch Emotionen, das ist neu. Und Dagtekin kann mehr als Brülllach-Salven, das ist neu. Aber beides nicht überraschend. Am Ende ist der Applaus in die Abspannmusik hinein fast tosend, und beim Rausgehen erzählt man sich die besten Gags schon einmal nach, um sie á la "Heul leise" vielleicht in den allgemeinen Sprachgebrauch zu bekommen. Aber manche wirken auch ein bisschen mitgenommen. M'Barek hatte Recht, als er vor der Premiere sagte: "Der Schluss ist berührend, man geht bewegt aus dem Kino."

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Quelle:
SZ vom 24. Oktober 2017/jana
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