Premiere "Via Intolleranza II":Schlingensief macht den Gutmenschen schlecht

Schluss mit der blinden Hilfswut, lasst Afrika in Ruhe: Christoph Schlingensief inszeniert seine "Remdoogo - Via Intolleranza II" in München - und zelebriert mit der Opern-Premiere sein eigenes Scheitern.

Tobias Dorfer

Das Scheitern des Christoph Schlingensief beginnt in einem Hotelzimmer in Afrika. Seine Partnerin ist ausgegangen, er liegt auf seinem Bett und leidet am Lärm, an schlechten Gerüchen und an einer Klimaanlage, die sich nicht ausschalten lässt. Der Krebs zehrt an den Kräften - dennoch ist der Regie-Rebell getrieben.

Christoph Schlingensief, Remdoogo - Via Intolleranza II, Opernfestspiele, München

Große Gefühle: Regisseur Christoph Schlingensief eröffnete die Münchner Opernfestspiele 2010 mit seinem Afrika-Projekt "Remdoogo - Via Intolleranza II".

(Foto: Bayerische Staatsoper)

Man kann es als Mission bezeichnen, als Selbstfindungstrip oder einfach als künstlerische Leidenschaft: Burkina Faso, eines der ärmsten Länder der Welt, soll mit einem Kulturprojekt beglückt werden. Und tatsächlich wird inzwischen an einem Operndorf in der Hauptstadt Ouagadougou gebaut. Alles wird gut. Oder doch nicht?

Inzwischen ist Christoph Schlingensief zur bitteren Erkenntnis gelangt, dass die Europäer, die Afrika als Ziel ihrer humanitären Wohltaten auserkoren haben, mit ihrem Gutmenschentum gescheitert sind. Dass die blinde Hilfswut der Weißen letztlich nur inhumaner Akt der Gewalt ist - und ein Zeichen eigener Hilflosigkeit und Intoleranz. "Warum wollen wir ständig dem afrikanischen Kontinent helfen, obwohl wir uns selber nicht helfen können?"

Diese Gedanken hat Schlingensief zu einem Bühnenstück verarbeitet, das auch eine Abrechnung mit der eigenen Biographie ist. Nach Gastspielen in Hamburg und Wien gastiert Remdoogo - Via Intolleranza II nun bei den Münchner Opernfestspielen.

Sein Gerüst hat Schlingensiefs Werk von dem Bühnenstück Intolleranza 1960 erhalten - doch mehr als ein Paar Bruchstücke sind von Luigi Nonos flammendem Appell gegen Intoleranz nicht geblieben. Schlingensief und seine Akteure, die er zum Teil aus Burkina Faso mitgebracht hat, interpretieren Nono einfach neu. Das Resultat ist eine Mischung aus Afrika-Folklore, Radikalmahnung, Spendenaufruf und einem nahezu manischen Versuch der Krankheitsbewältigung.

Keine Chance gegen das Chaos

Die Darsteller irren ziellos über die Bühne, die vollgestellt ist mit Tischen, Stühlen, Lampen. Sie simulieren einen Probentumult, in dem der Bühnenleiter nicht den Hauch einer Chance hat, das Chaos zu bändigen. Die Zuschauer werden bombardiert mit Eindrücken. Ständig werden Vorhänge auf- und zugezogen. Musik verschiedener Stilrichtungen wechselt sich ab mit meist in französischer Sprache vorgetragenen Monologen - und immer wieder zeigt Schlingensief Videosequenzen: mal aus dem italienischen Stummfilm L'Inferno, mal Videoaufnahmen aus Afrika.

Via Intolleranza II ist eine wilde Collage, die mit Gesang, Monolog und Tanz beeindruckt und diese Elemente nutzt, um das Afrikabild der Europäer ad absurdum zu führen. In einer Szene demonstriert ein selbstbewusster weißer Tänzer mit französischem Akzent einem Schwarzen seine Fähigkeiten. Einem Kleinkind gleich trippelt er im Kreis herum, ein gleichsam albernes und tragisches Schauspiel. Dann fordert er den Farbigen auf, tänzerisch den Begriff "Hunger" zu interpretieren - und dieser öffnet die Augen weit, zieht den Bauch ein, verzerrt das Gesicht und breitet die Arme aus. Einer der bewegendsten Momente des Abends.

Schlingensief überspitzt und schießt so giftige Pfeile in die Richtung der europäischen Gutmenschen. Etwa wenn er an die "Hottentotten-Venus" erinnert, eine dralle Afrikanerin, die aufgrund ihrer Exotik im Europa des frühen 19. Jahrhunderts zur Zirkusattraktion wurde - und zur Projektionsfläche für die Sexphantasien weißer Männer. Oder wenn er einen kleinen afrikanischen Jungen auf der Bühne sagen lässt, er sei gar nicht zwölf Jahre alt, sondern in Wirklichkeit 32. Und er suche eine Frau. Interessierte Damen dürften sich gerne nach der Vorstellung melden.

Schlingensief inszeniert Schlingensief

Doch so sehr sich Schlingensief mit seinen afrikanischen Darstellern auch verbündet - immer schwingt seine persönliche Geschichte mit. Zuletzt hat er bei Mea Culpa seine Krebserkrankung verarbeitet. Und Via Intolleranza II ist bei aller Gutmenschen-Kritik auch eine Schlingensief-Show.

Da wird der Regisseur mit dem Schriftsteller Henning Mankell in Kamerun gezeigt. Da ist von seiner Chemotherapie die Rede und von dem Lungenflügel, den er verloren hat. Hinter dem Regie-Rebellen wirft der Videobeamer den von seiner Krankheit gezeichneten Schlingensief auf seinem Weg durch Afrika auf den weißen Vorhang.

Vielleicht muss das so sein. Der Krebs, die Reise durch den schwarzen Kontinent, das Operndorfprojekt Remdoogo - all das hängt miteinander zusammen. Und doch ist es dieses Radikale und Unerbittliche, was Schlingensief-Inszenierungen kennzeichnet, das die Zuschauer überfordert. 90 Minuten gibt es für Schlingensief nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse. Raus aus Afrika! Schluss mit dem missionarischen Eifer! Lasst die Menschen dort in Ruhe!

Am Schluss verfängt sich Schlingensief doch in Grauzonen. Er hält einen Bastelbogen in die Höhe, der 50 Euro kostet und ein Postkartenbuch, das für 15 Euro verkauft wird. Damit wird das Operndorf-Projekt unterstützt. Mit 20 Bastelbögen lässt sich in Ouagadougou ein weiteres Baumodul errichten, der in Burkina Faso geborene Architekt Francis Keré hat die Bauleitung. Christoph Schlingensief hat zwar den gescheiterten Gutmenschen beerdigt - und dennoch ist es gut, Afrika zu helfen. Solange der Europäer keine Fragen stellt, keine Bedingungen formuliert oder vor Ort helfen will, ist sein Geld gerne gesehen.

Nach der Aufführung sitzt der Regisseur freundlich lächelnd vor dem Opern-Pavillion und signiert Postkartenbücher. Für einen Gescheiterten sieht er zufrieden aus.

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