Süddeutsche Zeitung

Premiere:So lässig ist das Fack-ju-Göhte-Musical

Umjubelte Premiere in München: Man sollte die Filme zwar wohl gesehen haben, um wirklich alles zu verstehen. Aber das "Mjusicäl" ist dem Kino zum Teil sogar überlegen.

Kritik von Michael Zirnstein

Es war richtig teuer, alles so billig aussehen zu lassen. Fünf Millionen Euro hat sich der Hamburger Musical-Riese Stage Entertainment den Umbau eines alten Kartoffellagers in eine graffitibeschmierte Turnhalle kosten lassen. In Schulen werden Sportsäle nicht selten für Theateraufführungen genutzt, aber in diesem neuen Theater Werk 7 fühlt sich die Welturaufführung von "Fack Ju Göhte - Se Mjusicäl" tatsächlich an wie ein Handball-Endspiel. Das startet mit einem nervösen Abtasten zwischen Aktiven und Zuschauern, die bald jedoch jeden Klamauk bejubeln wie ein Siegtor. Am Ende reißt es sie auf der dreiseitigen Tribüne von den 700 Sitzschalen und sie toben - ja einige liegen sich gar in den Armen-, als habe man den Aufstieg des Außenseiters miterlebt.

München soll endlich in der Oberliga des deutschen Singspiels mitmischen. Dazu gehört - außer den Star-Gastspielen am Deutschen Theater und den rührenden Eigenproduktionen am Gärtnerplatztheater - eine eigene Bühne für sogenannte Longrunner. Die Anwesenheit der Familien Reiter (Oberbürgermeister der Landeshauptstadt) und Drews (Schlagerkönig von Mallorca) bei der Premiere verdeutlicht den Rang des Projektes. Es musste also ein Stück her, das so populär ist, dass es nicht nur die Münchner ein paar Wochen lang ins Werksviertel lockt, sondern auf lange Sicht Musical-Fans aus dem ganzen Land für einen Kultur-Urlaub in die Stadt holt.

Die bei Jung wie Alt beliebte Rekord-Filmreihe "Fack Ju Göhte" ist genau der Stoff dafür. Wobei, da hat man schon einmal die Chance, mit viel Geld ein deutsches Erfolgsmusical vollständig neu aufzubauen, und dann spielt man wieder einfach einen Film nach (siehe auch "Kein Pardon" oder "Der Schuh des Manitou"). Nur kein Risiko eingehen. Künstlerisch aber liegt darin durchaus ein Risiko, den Großteil der Sponti-Sprüche aus der Schulkomödie ("Achte auf deine Ausdrucksweise, du Wichser!") zu übernehmen, den Hauptstrang der Handlung aus dem ersten Teil (Ex-Knacki Zeki Müller wird zur Tarnung Lehrer am Problem-Gymnasium, um unter der Turnhalle vergrabene Beute auszubuddeln) sowie die zur Karikatur festgegelten Charaktere ("Chantal, heul leise").

Die Figuren wirken auf der Bühne genauso clownesk, wie ein paar kreative Alte eben asoziale Herumtreiber ("das heißt Jugendliche aus bildungsfernen Schichten") 2013 inszeniert haben. Das geht schon in Ordnung, schließlich haben Jugendliche das Gangster-Gehabe von Danger und das Lack-Finger-Fächeln von Chantal ("Voll Süß, ey") flugs in Echt adaptiert - wie täuschend ähnlich auf der Bühne Lukas Sandmann und Rebekka Corcodell. Natürlich ist es da ein unmögliches Unterfangen für Max Hemmersdorfer, sich als Zeki Müller freizuspielen. Er gibt also einen tüchtigen Elyas M'Barek ab, dem man vielleicht nicht die Härte abnimmt, sich eine Zigarette in der Hand auszudrücken, der aber dennoch lässig genug ist, etwas zu tun, was er nie gelernt hat: singen und rappen.

Das ist das Schöne an diesem Mjusicäl: Man merkt ihm nicht an, wie viel Anstrengung Regisseur Christoph Drewitz und das Team hineingesteckt haben, das hat Schüler-AG-Lässigkeit. Freilich ist das Ulk aus dem Baukasten, aber Schmarrn mit Charme. Auch die Lied-Verantwortlichen Nicolas Rebscher, Simon Triebel (Juli, "Die Perfekte Welle") und Kevin Schröder sind nicht in die Pathos-Falle getappt. Sie haben Rap, Bhangra, Baile-Funk, Club-Sounds und mehr Krawall und Remmidemmi packend für die Live-Band nachgebastelt. Richtig singen dürfen hier nur die Softies - mehr als ironisches Musical-Zitat.

Aber wenn die hinreißende Johanna Spantzel als Blümchen-Lehrerin und Yoga-Jüngerin Lisi Schnabelstedt tirilierend den Macho Zeki anflirtet und später (von Lama-Sexualhormonen angestachelt) auf Kletterseilen schaukelnd in einem Bollywood-Rausch divenhaft jauchzend dem Wahnsinn verfallen ist ("Touch my Body, Taj Mahal"), dann spürt man schon ergriffen, was erst das Musical-Genre möglich macht.

Power wie nach fünf Dosen Energy-Drink

Optische Wunder hat der schwedische Choreograf Benke Rydmann vollbracht, der München bereits mit "Nutcracker" und "Swanlake" (jeweils "reloaded") staunen ließ. Obwohl bei den Mimen keine großen Tänzer auszumachen sind, lässt er sie mal reizend, mal aufreizend, mal überreizt vorturnen. Die Sportstunde im Schwimmbad sieht aus wie ein ADHS-Kindergeburtstag im Hüpfburgenparadies, ist aber ein Gruppenbewegungskunstwerk auf Weichbodenmatten und Trampolins - mit einem Doppel-Bauchplatscher in gespielter Zeitlupe, besser als jeder Filmeffekt: "W - A - Doppel-S - ER / Wasser, Yeah!".

Da macht sich das fast noch jugendliche Alter der Schauspieler bezahlt: Power wie nach fünf Dosen Energy-Drink. Alles läuft ruckzuck ab wie im Film, den man gesehen haben sollte, um die Handlung ganz zu verstehen. Ist ja auch alles drin, selbst das Waisen-Leid der kleinen Lehrerinnen-Schwester Laura (Sandra Leitner), das hier im Gegensatz zum Comic-Relief als Serious-Grief, also als Kummernummer, zu den ganzen "Ficken, Titten, Blasen"-Brachial-Gags dient, die ja schon die Filme zum Erfolg gemacht haben.

Alles ist wieder da: Der Snackautomat, in den der Streber Jerome (superwitzig: Robin Cadet) eingesperrt wird, wie auch die Paintball-Knarre, mit der der Nicht-Lehrer Müller seine Amokklasse 10b züchtigt. Viele Details, großes Wiedersehens-Hallo. Sogar das Gefühl der Rührung kann die Bühnen-Version erzeugen - über die Liebelei von Zeki und Lisi (Chantal: "Fast hätte ich Lehrersex gesehen, zum Kotzen!"), über das Aufbegehren der Schüler, etwas aus ihrem hoffnungslosen Dasein zu machen. Der Höhepunkt ist fein eingefädelt: die Klassen-Aufführung von "Romeo und Julia" ("Rambo & Yoda"). Bei diesem "Fliegendes Klassenzimmer"-artigen Spiel im Spiel wie auf Alko-Pops lässt die Bühnenfassung den Film alt aussehen. Dazu tragen vor allem die als Requisiten eingesetzten Turn-Utensilen (ein Pausch-Pferd als S-Bahn!) und die Sporthalle bei, in der die Darsteller viele Ausflüge ins Publikum unternehmen: Hemmersdorfer pinkelt in ein Waschbecken und hält sich dabei an einer Zuschauerin fest - nicht Elyas, aber ein Erlebnis.

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SZ vom 23.01.2018/sim/infu
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