Süddeutsche Zeitung

Premiere:Protokoll eines Selbstverlusts

Mit Emmanuel Darleys intensivem Monolog "Dienstags bei Kaufland" beweist das Landestheater Schwaben, dass ein gelungener Spielzeitauftakt ganz ohne Spektakel möglich ist

Von Sabine Leucht

Hier lässt es sich aushalten. Eine hübsche Kollektion von Retro-Sesseln und Sofas steht in der Studiobühne des Landestheaters Schwaben herum. Im warmen Licht von zwei Dutzend Oma-Lampen lehnen sich etwa gleich viele Zuschauer bequem zurück. Und dann kommt Roberta durch die Tür - in beigen Pumps und züchtigem Kostüm: Blumenmuster, die Knie bedeckt, die zitternden Hände vor ihrem Körper aneinandergeklammert. Denn wie jeden Dienstag muss Roberta mit ihrem Vater zu Kaufland. Und was für andere Erwachsene wie nichts Großes klingt, ist für sie ein Spießrutenlauf.

Emmanuel Darleys 2010 in Paris uraufgeführtes Stück "Dienstags bei Kaufland" ist schon die zweite Premiere in der neuen Memminger Corona-Reihe "Monologe ohne alles" - und ein schöner Beweis dafür, dass Spielzeitauftakte heuer auch ganz ohne Spektakel gelingen können. Denn es steckt so viel drin in diesem kurzen, puristischen Abend! Da ist einmal der ganz normale Schuld-Verantwortungs-Selbstverlust-Wust, der einen bei der Reise in die eigene Vergangenheit manchmal überkommt. Das Gefühl, von den Eltern nicht als das gesehen zu werden, was man geworden ist, potenziert sich aber noch für Roberta, deren Vater sie für immer nur als seinen Sohn Robert akzeptiert, in dessen Haut sie früher steckte.

Robertas Monolog sucht verzweifelt nach einen Weg, die Liebe zu diesem frisch verwitweten, halsstarrigen Mann mit der eigenen Selbstachtung zu vereinbaren. In Klaus Gronaus Übersetzung kommen manche Sätze palmetshoferhaft verdreht heraus oder gehen eines Bestandteils verlustig; andere tackern knapp unerträgliche Zustände fest. Und viele von ihnen beginnen mit "er": "Er bewegt sich nicht", "er mustert mich", "er bleibt schön beiseite". Oder mit "ich": "Ich stelle Fragen, die in der Luft hängenbleiben". Sie protokollieren Robertas Selbstverlust, in dessen Verlauf sie sich an Ablasstätigkeiten wie Bügeln und Bettenmachen für den Vater oder an Beschwörungsformeln festhält, die sie wie ein Mantra wiederholt: "Ich bin so wie jetzt ganz ich selber!" Roberta-Darsteller David Lau spricht sie wie einen Hilferuf zu einer kleinen Zuschauergruppe hin oder in sich hinein, das schütter werdende halblange Haar schräg gescheitelt, der Blick darunter flackernd, die Hände knetend. Aber nichts davon macht er zu viel. Einmal stellt er sich auf den Sessel im Zentrum der Bühne, zieht eine Stehlampe wie ein Mikro zu sich heran und breitet die Arme aus als gäbe es etwas zu verkünden. Einmal wiegt er sich versuchsweise in dem Paillettenkleid, das unter seinem Kostüm versteckt war.

Doch die Memminger Intendantin Kathrin Mädler, die Laus Solo inszeniert hat, setzt solche sprechenden Bilder für die queere Identitätssuche sparsam ein. Nie lässt sie die Darstellung von Weiblichkeit in die Travestie kippen oder den Schmerz der Figur ins Seifige. Diese Roberta rührt einen vor allem mit der Kraft, mit der sie nicht aufhört, Nähe anzubieten. Da kommt das bittere Ende fast en passant - wie der Punkt hinter einem Satz oder ein Postscriptum.

Dienstags bei Kaufland, Landestheater Schwaben, Memmingen, nächste Vorstellung, Sa., 26. September, 16 Uhr, weitere ab 4. Oktober, Infos unter www.landestheater-schwaben.de

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SZ vom 26.09.2020
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