Premiere:Keine Frage des Geschlechts

Idomeneo

Vom Schicksal getrieben: Die junge und gefragte Mezzosopranistin Emily D’Angelo bei einer Probe als Idamente. Diesmal wird der Sohn des Idomeneo als Hosenrolle interpretiert und von einer Frau gesungen.

(Foto: Wilfried Hösl)

Mozarts Jugendwerk "Idomeneo" ist die zweite Festspielpremiere. Besonders spannend: Die Mezzosopranistin Emily D'Angelo singt den Idamente.

Von Klaus Kalchschmid

Heute gilt "Idomeneo" als letzte Jugendoper und zugleich erste reife Oper Wolfgang Amadé Mozarts; trotz aller Wertschätzung für "La finta giardiniera" des 19-Jährigen, die 1775 im Münchner Salvatortheater uraufgeführt wurde. Am 9. Januar 1781 fand dann im damaligen Residenztheater, dem heutigen Cuvilliés-Theater, erneut zu Karneval die Uraufführung von "Idomeneo" statt. In bislang nicht dagewesener Kühnheit verschmolz der 25-Jährige französischen und italienischen Stil. Die "Tragédie en musique" zeigte sich im Bestreben, einzelne musikalische "Nummern" zu größeren Einheiten zusammenzufassen. Vor allem gegen Ende, wenn in einem ganz von der Orchesterbegleitung aus komponierten Szene das Drama seinen Höhepunkt erreicht: Idomeneo will, wie er als einziger Überlebender eines Seesturms geschworen hatte, den ersten Menschen, den er am Ufer trifft, opfern. Doch es ist sein eigener Sohn! Italienisch geprägt sind dabei viele Arien, die teilweise noch das Flair der barocken Opera seria atmen, aber auch schon von Mozarts tiefer Empfindsamkeit geprägt sind. Vor allem die Duette des jungen Paars Idamante und Ilia berühren.

Erst 1845 gab es eine Neuinszenierung unter dem Titel "Idomeneus". Es war eine deutsche Bearbeitung des Münchner Baritons, Komponisten und Hofregisseurs Leopold Lenz, die 1859 und 1883 neueinstudiert wurde. Ein halbes Jahrhundert später dirigierte Hans Knappertsbusch am 15. Mai 1931 zur 150-Jahr-Feier der Uraufführung im Cuvilliés-Theater die vor allem im dritten Akt rigide eingreifende und nicht nur in den Rezitativen erhebliche gekürzte deutsche Bearbeitung des Komponisten Ermanno Wolf-Ferrari. Die sehr freie Fassung von Richard Strauss wurde zeitgleich in Wien gegeben. 1954 gab es die Funkfassung eines weiteren Komponisten, Winfried Zillig, während im Vorfeld von Mozarts 200. Geburtstag am 17. November 1955 eine Version des Dirigenten Robert Heger auf Deutsch im Prinzregententheater gespielt wurde.

Erst 20 Jahre später, zu den Opernfestspielen 1975, gab es unter Wolfgang Sawallisch erstmals seit 1781 wieder eine Aufführung auf Italienisch und ohne schwerwiegende Eingriffe in Text und Musik. Doch es fehlten beide Arien des Oberpriesters Arbace und noch immer wurde Idamante von einem Tenor gesungen statt in Alt-Lage, war der Uraufführungssänger doch ein junger Kastrat gewesen. Mozart hatte allerdings selbst den Idamante für eine Wiener Liebhaber-Aufführung im Jahr 1886 für Tenor bearbeitet und einige Passagen neukomponiert. Wenig später wurde diese Aufführung aus dem Cuvilliés-Theater ins Nationaltheater übernommen.

Wieder 20 Jahre später gab es 1996 die Premiere einer gestrafften "Münchner Fassung in zwei Teilen" mit vielen Umstellungen, inszeniert in einem klaustrophobischen Raum von Andreas Homoki. Wieder sang ein Tenor, Rainer Trost, wie 2008 mit Pavol Breslik zur Wiedereröffnung des renovierten Cuvilliés-Theaters. Nun wurde, weitgehend ungekürzt die Wiener Fassung gespielt.

Spannend war auch die italienische Version von "Opera incognita" 2010 in der Damenschwimmhalle des Müller'schen Volksbads, die zumeist im Wasser spielte, während am Gärtnerplatztheater 2004 die deutsche Fassung von Kurt Honolka in fernöstlich angehauchtem Ambiente auf dem Programm stand. Beide Male war Idamante mit einem weiblichen Mezzo besetzt, wie jetzt erstmals in einer Produktion der Bayerischen Staatsoper. Dabei wäre ein junger Countertenor der Uraufführung mit einem Kastraten vielleicht noch näher gekommen.

Doch mit der Kanadierin Emily d'Angelo fand sich eine charismatische junge Sängerin, die Erfahrung hat mit Mozarts Hosenrollen, war sie doch 2019 Annio in Mozarts später "La Clemenza di Tito" an der Met und ein Jahr später Cherubino im "Figaro" an der Berliner Lindenoper. Hanna-Elisabeth Müller, einst ein rein lyrischer Sopran und gerade Cordelia in "Lear", ist auf dem Weg ins "lirico spinto"-Fach und singt folgerichtig die dramatische Koloratur-Partie der Elettra, während Olga Kulchynska die Ilia gibt. Matthew Polenzani, bei den Opernfestspielen auch als Liedsänger zu erleben, ist Idomeneo, Martin Mitterrutzner Arbace.

Die Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper - traditionell die zweite Festspiel-Premiere im Prinzregententheater - bringt so viel Musik zu "Idomeneo" wie einschließlich der Uraufführung in München noch nie erklungen ist: Die wohl seinerzeit gestrichenen Arien Elettras ("D'oreste d'Aiace") und Idomeneos ("Torna la pace") sowie neben den beiden Arbace-Arien die für Wien nachkomponierte (Tenor-)Arie "Non Temer", nun transponiert für einen Mezzo und statt von einem Violinsolo mit Hammerklavier begleitet.

Nachdem Intendant Nikolaus Bachler 2017 Arbeiten der Künstlerin Phyllidia Barlow bei der Biennale in Venedig sah, war für ihn klar, dass sie mit ihren riesigen Skulpturen, die den Kontrast von Innen/Außen und den öffentlichen Ort thematisieren, genau die Richtige für "Idomeneo" wäre. So gibt es nun bewegliche Wellenbrecher, Felsen und eine Art Aussichtsplattform aus Metall, umgesetzt mit Unterstützung von Anna Schöttl, die auch die Bühne für den Callas-Abend von Marina Abramović realisiert hat.

Erstmals seit 1781 sind Tänzer wieder integraler Bestandteil eines Münchner "Idomeneo", der ja etliche Ballett-Nummern enthält. Wie schon für Verdis "Les Vêpres siciliennes" vor drei Jahren am Nationaltheater choreografiert der ehemalige Tänzer des Staatsballetts, Dustin Klein, auch jetzt für eine Inszenierung von Antú Romero Nunes.

Idomeneo, Mo./Do./Sa. u. Mo., 19./22./24. und 26. Juli, 18 Uhr, Prinzregententheater

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