Preisverleihung:Philanthrop in Damenstrümpfen

Preisverleihung: Kleiner Gruß an Angela Merkel: Renate Köster-Hildebrandt und Claus von Wagner bei der Verleihung des Dieter-Hildebrandt-Preises.

Kleiner Gruß an Angela Merkel: Renate Köster-Hildebrandt und Claus von Wagner bei der Verleihung des Dieter-Hildebrandt-Preises.

(Foto: Robert Haas)

Kabarettist Claus von Wagner hat mit 38 Jahren bereits 24 Preise gewonnen. Am Dienstag ist er mit dem Dieter-Hildebrandt-Preis ausgezeichnet worden - auch wenn er schon mal als Delfin-Ersatz für therapeutisches Schwimmen mit Kindern anmoderiert wird

Von Thomas Becker

Auch eine Stunde nach dem Ende des offiziellen Teils ist Claus von Wagner immer noch verdammt weit weg vom Buffet. Immerhin hat ihm jemand schon mal ein Bier in die Hand gedrückt, so dass er sich nicht komplett als Party-Breaker fühlen muss. Aber er kommt halt vor lauter Gratulanten und Schulterklopfern einfach nicht raus aus dem Festsaal des Alten Rathauses. In dessen Foyer tobt derweil auch ohne den Preisträger ein großes Fest mit 400 Gästen, angetrieben von der Gute-Laune-Combo Pitu Pati. Alle, die irgendwas mit Kleinkunst zu tun haben, sind da, von Ani bis Zimmerschied. Wehmut über den verstorbenen Namensgeber des Preises? Keine Spur. Die Stimmung ist eher so: großartig, dass es ihn gab, und großartig, dass es Typen gibt wie diesen Claus von Wagner.

Dieter Hildebrandt starb im November 2013. Die nach ihm benannte Auszeichnung ersetzt den städtischen Kabarettpreis, ist mit 10 000 Euro dotiert und wird jährlich vergeben. Eine Idee, an deren Umsetzung OB Dieter Reiter und ein gewisser Till Hofmann nicht ganz unbeteiligt gewesen sind. Die beiden Pegida-Bekämpfer begrüßen sich längst mit Sportler-Handshake, und während sich der eine wieder in die hinterste Ecke des Saals verkrümelt, entert der andere das Rednerpult: "Im Grunde hätte man diesen ersten Dieter-Hildebrandt-Preis Dieter Hildebrandt selbst verleihen müssen."

Kein Zufall, dass in diesem Moment die Abendsonne noch einen Tick gleißender durch die gotischen Fenster herein blinzelt. Hildebrandts Frau Renate weiß, wo sich ihr Gatte rumtreibt: auf Wolke sieben, mit vielen lieben Kollegen, "und sie alle klatschen für Claus von Wagner". Dass der von Hildebrandt einst selbst als Nachfolger ins Spiel Gebrachte den Premieren-Preis erhält, freue sie - "und den Dieter sicher auch".

Zeit für die Laudatio. Ein Job für Max Uthoff, mit dem Wagner seit zwei Jahren im ZDF die preisgekrönte "Anstalt" leitet. Und wie das so ist, wenn Kabarettisten Lobreden auf andere Kabarettisten halten, kommt was heraus? Genau: Kabarett. Schon in der Anrede rutscht Uthoff in die Aktualität, zu Margot Honecker, hebt an zu einer so charmanten wie hinterfotzigen Eloge, an die sich Wagner noch lange erinnern wird. Der Arbeitskollege bescheinigt ihm "Witz, Klugheit und ein fast weibliches Einfühlungsvermögen", petzt die Schote von der Veranstalterin, die den knallharten politischen Aufklärer einst als "total süß" ankündigte und beschwichtigt: "Sollten Delfine mal knapp werden: Claus von Wagner ist genau der Richtige für das therapeutische Schwimmen mit Kindern." Wagner ist für Uthoff ein "Vollkontakt-Philanthrop", einer, den das Interesse am Menschen mit dem Namensgeber der Auszeichnung eine. Weitere Parallelen: sprachliche Genauigkeit, Hingabe, aufgeklärter Humanismus und der Versuch, zu verstehen. Nur Hildebrandts Forderung, "Ihr müsst mehr spielen!", will Uthoff nicht unbedingt nachkommen, denn: "Herr von Wagner fühlt sich schockierend wohl in Damenstrümpfen." Ab mit Applaus, lange Umarmung, dann ist der Preisträger selbst dran.

Und beschwert sich erst einmal: "Georg Schramm hat nach einer Laudatio von Dieter Hildebrandt mal gesagt: ,Das sollte man nicht machen: Dass ein Laudator besser ist als ein Laudatierter'." Künstlerpech. Aber vielleicht ergibt sich ja mal die Gelegenheit zur Revanche. So aber schimpft Wagner los, nennt die Auszeichnung "eine glatte Unverschämtheit" - wegen der Erwartungshaltung. 28. Preisträger wäre okay gewesen, elfter unter Umständen auch noch, aber der erste zu sein, sei des Guten zu viel. Hildebrandt habe mal über Nachwuchsleute wie ihn gesagt: ,Die sind schon gut. Die haben mal was zu erzählen, wenn sie 40 sind.' Wagner ist 38 und hat schon 24 Preise gewonnen, 13 mehr als Bruno Jonas - hat Renate Köster-Hildebrandt recherchiert.

Doch mit dem Preis, auf den er sicher sehr stolz ist, hält sich Wagner nicht lange auf, nutzt lieber die Gelegenheit für eine wie immer mit Verve vorgetragene Betrachtung der politischen Lage, von Erdogan ("Danke für Ihren Mut, eine Satire-Veranstaltung zu besuchen, die noch nicht vom türkischen Staatspräsidenten freigegeben wurde.") bis zur Flüchtlingskrise ("Die Politik ist mit Flip-Flops in die Alpen gewandert und beschwert sich jetzt, dass der Rettungshubschrauber so teuer ist.").

Der offizielle Teil endet mit donnernden Applaus, einem in Rekordzeit geplünderten Buffet und einer Begegnung kurz vorm Ausgang: Da steht die Gerti, 50 Jahre lang die gute Seele der Lach- und Schießgesellschaft. Niemand kennt mehr Geschichten über den Laden in Schwabing, über Sammy Drechsel und auch über den Dieter. Ein halbes Jahr vor seinem Tod ging sie in Ruhestand. "Das Fest hier", sagt sie, "das hätte ihm auch gefallen."

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