Der Moment der ungeteilten Aufmerksamkeit gehört an diesem feierlichen Abend Lydia Daher. Die Lyrikerin und Musikerin entscheidet sich am Montag im Alten Rathaus dagegen, eines ihrer Gedichte vorzutragen. Statt der Kunst überlässt sie den Bühnenraum ihrer dringlicher scheinenden Ernüchterung über jüngst Erlebtes. Sie ist Tochter eines libanesischen Vaters, der eine „tiptop“ Vita in der neuen Heimat hingelegt hat, wie Daher sagt: Studium, Familie und Unternehmen gegründet, Reihenhaus gebaut und mit den Nachbarn ein Kölsch getrunken. Habe nur alles nichts geholfen gegen die massiven Anfeindungen, denen arabisch-stämmige Menschen in den letzten Monaten in Deutschland ausgesetzt seien. „Ich will hoffen“, sagt Lydia Daher. Auf ein gesellschaftliches Miteinander. Aber sie könne es nicht mehr.
So steht am Beginn der 25. Verleihung des Förderpreises Münchner Lichtblicke 2024 eine gesellschaftliche Anamnese, die, wie sich zeigen wird, viele der folgenden Ausgezeichneten teilen werden. Ihre Schlussfolgerung gleicht dagegen häufig dem Credo des einstigen US-Boxers Muhammad Ali: „Ich habe nie gegen jemanden gekämpft, sondern immer nur für etwas!“ Darauf beruft sich auch das Boxwerk München, das in der Kategorie „lobende Erwähnung“ reüssierte. Der Verein selbst fördert besonders Kinder und Jugendliche körperlich und mental. „Es sind viele, die neu im Land sind und Furchtbarstes erlebt haben“, sagt der Vorsitzende Nick Trachte.
Mit dem Förderpreis werden Initiativen, Projekte, Schulen und Einzelpersonen ausgezeichnet, „die sich Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entgegenstellen und in vorbildlicher Weise für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft einsetzen“. So formulieren es die Träger der Auszeichnung: die Landeshauptstadt, der Verein Lichterkette und der Migrationsbeirat. Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) spricht am Abend davon, in einer krisenhaften Welt „das Gute, das Solidarische zu sehen, das wir in dieser Stadt auch haben“.
Ausgezeichnet wird der Verein „Migration macht Gesellschaft“ für seine umfassende Unterstützung von Menschen mit Migrationsbiografien, seien es etwa persönliche Hilfestellungen oder asyl- und aufenthaltsrechtliche Beratung. Die Jury hebt lobend außerdem dessen digitale Projekte hervor, Podcasts, Videos und Kampagnen mit Schülerinnen und Schülern. „Wir machen hier die migrantische Perspektive sichtbar“, sagt stellvertretend Levent Askar vom Verein.
„Guten Morgen, guten Tag, guten Abend“ grüßt die Band „Vue Belle“ im Takt als ausgezeichnetes Projekt von der Bühne. Gegründet vom Künstler Paul Huf ändert sich hier, so ein Mitglied der Combo, die Zusammensetzung der Gruppe laufend. „Neue Leute kommen dazu und andere weg, weil sie abgeschoben werden.“ Menschen machen bei „Vue Belle“ ihre Fluchterfahrungen zu Texten und Musik und ihr Schicksal damit sichtbar.

Standing Ovations gibt es im vollbesetzten Rathaussaal, als Mathilda Legitimus-Schleicher, 64, für ihre vielfältige „transkulturelle Verständigung“ ausgezeichnet wird. Die Jury hebt besonders ihren Einsatz für Kinder aus migrierten Familien und Frauen hervor, die Opfer von häuslicher Gewalt und Menschenhandel wurden. Lobend erwähnt wird außerdem „AKA - Aktiv für interkulturellen Austausch“. Ein Verein, der seit 50 Jahren Neuzugezogene mit und ohne Migrationserfahrung betreut. Insgesamt werden 11 000 Euro an Preisgeldern vergeben.
Dimitrina Lang, Chefin des Migrationsbeirats, bringt das gewürdigte Engagement auf den Punkt: „Der Preis ist ein politisches Zeichen, dass Menschlichkeit keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine Entscheidung!“