Praterinsel:Alles schläft, einsam wacht

Die Praterinsel hat einen neuen Betreiber. Ob die Kunst auf das einst bunt bevölkerte Gelände zurückkehren kann, bleibt fraglich.

Lisa Meyer

"Mut tut gut" prangt in großen weißen Lettern auf dem schwarzen Plakat an der Hausfassade. Darunter das Bild eines rauchenden Glatzkopfes mit Sonnenbrille und Lederjacke, nebst Hund und Motorad. Sonst ist wenig Ermutigendes zu sehen. In keinem der Fenster brennt Licht, aus einem Nebengebäude dringen gedämpfte Stimmen. Was in Münchens tiefstem Hinterland vermutet wird, beschreibt einen Ort im Zentrum der Stadt - 500 Meter entfernt vom Deutschen Museum und dem Bayerischen Landtag. Ein tristes Bild bietet sich den Besuchern der Praterinsel.

Praterinsel: Aktionskünstler Flatz hält die Stellung auf der Praterinsel. Auf der Stirn sind die Spuren seiner letzten Performance "schuldig - nicht schuldig" zu sehen.

Aktionskünstler Flatz hält die Stellung auf der Praterinsel. Auf der Stirn sind die Spuren seiner letzten Performance "schuldig - nicht schuldig" zu sehen.

(Foto: Foto: Lisa Meyer)

Wo früher Skulpturen vom kreativen Schaffen der Inselbewohner zeugten, ist nur ein menschenleerer Hof zu sehen. Wo einzig die wenigen parkenden Autos Indiz für Leben auf der Insel sind, legte früher DJ Hell seine Platten auf. "Auf der Praterinsel gab es eine richtig geile Kunstszene, sie war ein kultureller Umschlagplatz", sagt 57-jährige Aktionskünstler Wolfgang Flatz. Der kreative Glatzlopf vom Plakat ist auf der Insel der letzte seiner Art. Und er weigert sich zu gehen.

Bis vor fast vier Jahren war die Praterinsel Heimat für rund 20 Künstler - sie mussten 2006 ausziehen. Die Begründung des damaligen Besitzers Dieter Bock: Man wolle die Gebäude renovieren. Stattdessen wurde das Gelände verkauft, die Immobiliengesellschaft Patrizia übernahm das Areal und suchte lange nach einem geeigneten Mieter. Das Künstlerhaus steht seit dem Auszug der Künstler leer, zurückkehren konnten die Ateliers nie.

Ob das noch geschehen wird, ist ungewiss. Denn seit wenigen Tagen steht der neue Betreiber der Praterinsel fest: Die Event- und Marketingagentur Planworx vermarktet nun die Veranstaltungsräume. Wie sich diese Entscheidung auf die künftige Ausrichtung der Insel, auf die Gewichtung von kommerziellen und künstlerischen Angeboten auswirken wird, bleibt abzuwarten. Ende Februar will Planworx konkrete Pläne präsentieren.

Einst nutzten Franziskanermönche die Praterinsel zum landwirtschaftlichen Anbau, später produzierte Anton Riemerschmid, Inhaber der Königlich Bayerischen privilegierten Weingeist-, Spiritus-, Likör- und Essigfabrik, auf dem Gelände. Nachdem die Firma 1984 ihren Sitz verlagerte, erhielt unter dem neuen Eigentümer, Immobilienmogul und Kunstmäzen Dieter Bock, die Kunst Einzug auf der Praterinsel. Seit Bock mit seinem Plan, ein Hotel auf der Insel zu bauen, scheiterte, schreibt ein Stadtratsbeschluss vor, dass die Flächen auf der Praterinsel zwar kommerziell genutzt werden dürfen, ein Großteil aber für kulturelle Zwecke zur Verfügung stehen muss.

Auch die 1992 aufgenommene Arbeit des Aktionsforums Praterinsel GmbH lies damals hoffen: Ausstellungen von Keith Haring, David Byrne oder Daniel Spörri brachten internationales Kunstflair an die Isar. "Es hatte sich eine richtige Szene entwickelt", sagt Flatz heute. "Besonders der lange Donnerstag lockte jedesmal 300, 400 junge Leute an, internationale Top-DJs rissen sich darum, auch ohne Gage auftreten zu dürfen". Zunehmend musste die Kunst jedoch zugunsten einer Event-Kultur weichen. Die Ausstellungen wurden weniger, der künstlerische Betrieb kam ins Stocken, der Kommerz erhielt Einzug.

"Das letzte kulturelle Feigenblatt"

2006 schließlich kündigte Eigentümer Bock allen Künstlern. Dass die geplante Renovierung nur ein vorgeschobener Grund war, um das Gebäude ohne lästige Mieter leichter weiterverkaufen zu können, glaubt heute nicht mehr nur Flatz. Das Versprechen, die Künstler könnten nach den Baumaßnahmen zurückkehren, konnte nie eingehalten werden. In der Zwischenzeit wurden die Gebäude verkauft. Im Auftrag des neuen Eigentümers, einem Zusammenschluss einer dänischen und der holländischen Pensionskasse, übernahm die Augsburger Immobilienverwaltungsgesellschaft Patrizia 2007 das Zepter über die Praterinsel.

Praterinsel: Die Praterinsel ist neben der Museumsinsel eine der beiden bebauten Isarinseln Münchens.

Die Praterinsel ist neben der Museumsinsel eine der beiden bebauten Isarinseln Münchens.

(Foto: Foto: Google maps)

Heute ist Flatz als Künstler auf einsamem Posten in seinem Atelier. "Mir wurde auch von der Patrizia zweimal fristlos gekündigt", sagt der drahtige Österreicher. Zuletzt sorgte Flatz mit seiner Performance "schuldig - nicht schuldig" für Aufsehen, auf der Stirn sind noch Spuren seiner Aktion zu sehen. Nachdem sich der Künstler schlicht geweigert hatte, sein selbst ausgebautes Atelier zu verlassen, wird er mittlerweile als "Hausbesetzer" auf der Praterinsel geduldet.

Zu viel Arbeit hat der Künstler in die ehemalige Garage gesteckt, in der er jetzt residiert, als dass er sein künstlerisches Hauptquartier einfach aufgeben würde. "Ich war immer die Frontfigur und habe wesentlich zu dem kulturellen Image beigetragen, das die Insel einmal hatte", sagt Flatz, seit 20 Jahren auf dem Gelände ansässig. "Heute bin ich das letzte kulturelle Feigenblatt."

Events wie die mit "Karibikfeeling mitten in München" werbende "Nektar Beach" zeigen, welche Entwicklung die Praterinsel nach dem Eigentümerwechsel zur Patrizia weiter genommen hat. Das baufällige Künstlerhaus steht indessen weiter leer, von Renovierungen ist nichts zu sehen. Die Künstler befürchten, dass ihre ehemalige Wirkungsstätte den Eigentümern als reines Spekulationsobjekt dient.

Man habe jemanden gesucht, der dieses Gebäude langfristig mieten könne, erklärt Andreas Menke, Pressesprecher der Patrizia. Mit der Eventagentur Planworx scheint nun ein solcher Mieter gefunden zu sein. Allerdings, so räumt Menke ein, sei nicht gezielt nach einem Mieter für das Atelierhaus gesucht worden, der die Künstlerzszene wiederbeleben will. "Wenn es ein tragfähiges Konzept gibt, dann steht auch einer künstlerischen Nutzung nichts im Wege. Bislang wurden in dieser Hinsicht aber keine Ideen an uns herangetragen", so Menke.

Seitens der Stadt versuche man sich "weitestgehend" an den Stadtratsbeschluss von 1993 zu halten, der vorsehe, dass die Praterinsel überwiegend für kulturelle Zwecke genutzt werden müsse, sagt Michael Hardi, Sprecher der Lokalbaukommission. Man fordere allerdings schon seit längerer Zeit ein Gesamtkonzept von der Patrizia. Unterdessen gilt die Vereinbarung, die Ende letzen Jahres gemeinsam getroffen wurde: Bis Ende 2011 dürfen die Ausstellungsflächen für Veranstaltungen genutzt werden.

Doch auch ein von der Patrizia vorgelegtes Konzept, das den Ansprüchen der Stadt genügt, bedingt eine Rückkehr der Künstlerszene nicht zwangsläufig. "Ein Großteil der Fläche muss kulturell genutzt werden," so Hardi. "Aber was der eine unter Kultur versteht, versteht der andere womöglich schon nicht mehr als Kultur." Welchen Kulturbegriff der neue Betreiber der Praterinsel, die Agentur Planworx, vertreten wird, bleibt spannend. Geplant sind Events, wie Kulturereignisse und Veranstaltungen für die Öffentlichkeit. Eine Rückkehr zu Hochzeiten der Kantine und eine Wiederbelebung des "kulturellen Umschlagplatzes" bleibt unwahrscheinlich.

Flatz allerding kann auf eine weitere Duldung hoffen. Er wird die Stellung halten und als lebendes Zeugnis einer ehemals blühenden Kunstszene im Zentrum Münchens dienen. "Mut tut gut" propagiert das Plakat an seiner Türe. Die neuen Nachbarn werden es hoffentlich beherzigen.

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