Was steckt nicht alles in diesem Gebäude: Die Geschichte einer Fürstin mit dem unbedingtem Willen ihre Welt künstlerisch zu gestalten - auch wenn sie doch nur einen Stammhalter gebären sollte; die Handwerkskunst hunderter geschickter Hände aus vieler Herren Länder; das gesamte barocke Lebensgefühl zwischen Lebenslust und Todesgewissheit; die Chuzpe zur hemmungslosen Täuschung. Und, irgendwo am Rande, auch die Enttäuschung eines gewissen Richard Wagner. Denn dem Sachsen mit dem gewaltigen Ego war das Haus trotz alledem nicht groß genug.
Das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth, gebaut 1744, galt wie zu jeder so auch zu Wagners Zeit als Wunderwerk. Deshalb kam der Komponist 1871 auf der Suche nach einer passenden Schale für sein revolutionäres musikalisches Opus überhaupt auf und nach Bayreuth. Sein eigenes Festspielhaus, für das ein Jahr später auf dem gar nicht so fernen Grünen Hügel der Grundstein gelegt worden ist, liegt in fußläufiger Entfernung.
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Doch zur Zeit der Markgräfin Wilhelmine war eben ihr Opernhaus das modernste weit und breit. Vier Jahre nur dauerten die Bauarbeiten, offizieller Anlass dafür waren die Hochzeitsfeierlichkeiten für Wilhelmines einziges Kind, ihre Tochter Elisabeth Friederike Sophie mit dem Herzog von Württemberg. Doch die Markgräfin - vielgeliebte Schwester des Preußenkönigs Friedrich des Großen - war selbst Komponistin und Kunstmäzenin, mit dem Opernhaus konnte sie zudem Intendantin werden.
Welche Meisterleistung in dem Gebäude steckt und warum es 2012 den Status einer Weltkulturerbe-Stätte von der Unesco erhielt, geht aus dem jüngst erschienenen Prachtband "Markgräfliches Opernhaus Bayreuth" hervor. Das großformatige Buch präsentiert die Erforschung, Instandsetzung und Restaurierung dieses einzigartigen Rokoko-Juwels. Von 2009 bis 2018 dauerte diese feinfühlige, historisch vielschichtige Sanierung.
Die Bayerische Schlösserverwaltung legt diese üppig bebilderte und mit allerlei Plänen illustrierten Baudokumentation mit nicht zu übersehendem Stolz über die Leistung aller Beteiligten vor. Die wissenschaftliche, konservatorische und baudenkmalpflegerische Leistung, die hinter der Erhaltung steckt, ist nicht zu überschätzen.
Das Markgräfliche Opernhaus zählt zu den wenigen in Europa erhaltenen Theaterbauten des 18. Jahrhunderts. Vergleichbare fielen über die Zeit nicht selten den Flammen zum Opfer - vornehmlich aus Holz errichtet, brannten sie wie Zunder. Und aus Holz besteht Bayreuths alte Oper sogar an Stellen, die dem Laien als Stein oder Marmor erscheinen mögen. Wer einmal eine der Führungen durch das außergewöhnliche "Logenhaus" mitgemacht hat, der weiß das.
Denn nicht nur beim Deckengemälde handelt es sich ein Trompe-l'œil, das dem Auge eine schier unendliche Höhe vorgaukelt. Auch die Wandvertäfelungen und die reichen Verzierungen zwischen den Rängen behaupten sehr viel mehr an Prunk und Gewicht als real vorhanden. Die illusionistischen Bemalungen von Carlo und Giuseppe Galli Bibiena restauriert zu haben, gehört zu einer der Spitzenleistungen, die hier zu verbuchen sind.
Dass die gestaffelten Kulissen des scheinbar unendlich tiefen Bühnenbildes wieder so täuschend echt wirken, ist nicht zuletzt einer der vielen maßvoll vollzogenen Rückbauten zu verdanken. Denn in der bewegten Geschichte des Hauses war irgendwann auch die Bühnenöffnung verkleinert worden.
Zudem wurde das Haus immer wieder verändert und nach den jeweiligen technischen Möglichkeiten konserviert - etwa mit chemischer Keule vom Holzwurm befreit - oder umgebaut: Elektrische Leitungen wurden verlegt, als alle Welt den Strom entdeckte, eine Heizung machte es im Winter bespielbar - und ruinierte dabei aus Sicht der Konservatoren doch grauenhafterweise das Raumklima.
Die Publikation gibt Einblicke an Stellen im Haus, die der Allgemeinheit sonst verborgen sind. Etwa in das überwältigende Dachwerk über dem Bühnenhaus mit seinem komplizierten Balkengeflecht. Sie macht zudem nachvollziehbar, wann welche Veränderungen am Haus vorgenommen worden sind und welche Überlegungen die Denkmalschützer heute dazu anstellen.
Vor allem aber soll der Kraftakt der Jahrhundertsanierung des Markgräflichen Opernhauses nicht in Vergessenheit geraten. Die Veröffentlichung soll auch anderen Unesco-Welterbestätten und solchen, die es werden sollen, als Vorbild und Inspiration dienen. Sie hält die bisher umfangreichste Restaurierung des Opernhauses wissenschaftlich fest und macht die neu gewonnenen Lösungsansätze nicht nur der Fachwelt zugänglich.
Das Schönste an alldem ist jedoch: Das Markgräfliche Opernhaus ist bis zum heutigen Tag durch die investierte Liebesmüh' als bespielbares Theater erhalten - und nicht nur als museale Kulisse seiner selbst. Dort finden regelmäßig, wenn auch nicht allzu oft Konzerte und manchmal sogar Opernaufführungen statt. Am 12. Mai wird zum Beispiel Monteverdis "Die Krönung der Poppea" gegeben. Wilhelmine wäre begeistert gewesen. Und ein eigenes Museum bekommt ihr Schatzkästchen obendrein, es soll in diesem April im Redoutenhaus eröffnet werden.
Markgräfliches Opernhaus Bayreuth. Erforschung, Instandsetzung und Restaurierung eines barocken Festtheaters von Weltrang 2009-2018, Baudokumentation der Bayerischen Schlösserverwaltung. Band 5, Hrsg.: Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen. 352 Seiten.