Portrait:Gestatten: Claus Biegert, Geschichtenerzähler

Journalist, Chronist, Spezialist für Indianer - das alles mag auf ihn zutreffen. Am liebsten sieht sich der Organisator eines Tollwood-Benefiz-Konzertes jedoch schlicht als Geschichtenerzähler.

Felix Berth

(SZ vom 14.06.2003) — Er ist kein Ankläger, dazu sind seine Lachfalten zu ausgeprägt. Er ist auch kein Untergangsprophet, dazu hat er zu wenig Lust am Geißeln und Büßen. Zwar erzählt Claus Biegert bittere Geschichten von Unterdrückung und Ausbeutung der amerikanischen Indianer.

Doch mit seiner tiefen, zart fränkisch klingenden Stimme und seinen unaufgeregten Sätzen drückt er keine Empörung aus, allenfalls ruft er sie bei Zuhörern und Lesern hervor. Einmal, sagt Biegert, habe er überlegt, sich Visitenkarten drucken zu lassen: "Claus Biegert, Geschichtenerzähler". Er hat es dann nicht getan, vielleicht kam ihm die Idee ein wenig zu eitel vor. (Die Geschichte erzählt er trotzdem gern.)

Spezialist für Indianer

Claus Biegert ist unter deutschen Journalisten der Spezialist für Indianer und andere indigene Völker, die sich in der industrialisierten Welt schlecht behaupten können. Seit fast dreißig Jahren schreibt der mitfühlende Chronist über Irokesen und Cree, über zu Unrecht inhaftierte Indianer und herausragende Indianerinnen.

Er hat vor gut zehn Jahren das "World Uranium Hearing" einberufen, bei dem mehrere hundert Ureinwohner aus allen Erdteilen — darunter zahlreiche Indianer — berichteten, wie die Atomindustrie in ihrer Heimat Menschen umbringt, weil dort strahlendes Material abgebaut, deponiert oder zur Explosion gebracht wird.

In diesen Tagen ist Biegert wieder einmal mit Organisieren beschäftigt: Am 12. Oktober wird im Münchner Rathaus der "Nuclear-Free Future Award" an Menschen verliehen, die sich für eine Welt ohne Nutzung der Kernenergie engagieren. Natürlich, sagt Biegert lächelnd, fehle der Initiative noch Geld, aber das schreckt ihn nicht.

Ein suchender Mensch

Seinen Freund Arlo Guthrie hat er jedenfalls als Unterstützer gewonnen: Der amerikanische Liedermacher tritt am 21. Juni bei Tollwood auf — und alle Einnahmen landen beim "Nuclear-Free Future Award." Begonnen hat Biegerts Karriere als "Indianer-Experte" in den siebziger Jahren. Mitte zwanzig war er damals, und man muss ihn sich wohl als suchenden Menschen vorstellen: Biegert hatte — nach einer Kindheit mit vielen Krankheiten und einer sehr behüteten Jugend bei Uffing am Staffelsee — ein Volontariat in der Abendzeitung hinter sich.

Doch die Schreibtischjobs in der Sendlinger Straße reizten ihn nicht. Er hörte von Konflikten der Indianer mit Polizisten in den USA, und weil er ahnte, dass die Agenturmeldungen vor allem die Sichtweise der US-Behörden wiedergaben, fuhr er hin, um eine Radiosendung zu produzieren. Er blieb fünf Wochen bei den Irokesen, befragte, beobachtete.

Er verstand vieles vom bedrückenden Alltag der amerikanischen Ureinwohner — doch noch wichtiger war das, was er spürte: Biegert fühlte sich bei den Irokesen zuhause wie in einer Familie. Eine Clanmutter, der er im Jahr 2000 bei ihrem Tod einen liebevollen Nachruf schrieb, adoptierte ihn: "You're one of my boys", sagte Dewasenta.

Natürlich fragt man sich, wie so etwas geschehen kann: Ein junger Journalist reist zu Menschen aus einem anderen Kulturkreis und empfindet sich plötzlich als zugehörig wie selten zuvor. Für Claus Biegert ist ein Teil der Antwort, dass er manches vom dörflichen Leben der Irokesen bereits aus dem Heimatdorf am Staffelsee kannte.

Zum Beispiel die Tatsache, dass geistig behinderte Menschen bei den Irokesen nicht weggesperrt werden, sondern dazugehören, so wie in Biegerts Familie der geistig behinderte Onkel. Vielleicht ist das Thema der "Zugehörigkeit" aber auch ein Lebensthema von Claus Biegert: In welche Gruppe gehört er eigentlich? Zu den Indianern? Ja, aber nicht ganz. Zu den Europäern? Ja, aber nicht unbedingt gerne. Zu den Völkerkundlern, die ihn zitieren und wertschätzen? Ja, aber als Nicht-Akademiker ist er auch da nicht wirklich zuhause.

Alternative Lebensform

Damals, 1973, zog ihn die Welt der Indianer wohl auch an, weil sie einen Gegenentwurf darstellte — eine alternative Lebensform, nach der in den Siebzigern viele Europäer suchten. Der indianische Philosoph John Sotsisowa Mohawk prophezeite Biegert in einem Interview, dass "grün" eine politische Farbe würde, was Biegert im Jahr 1973 — einige Jahre vor Entstehung der grünen Bewegung — nicht recht verstand.

Einsichtig erschien ihm aber Mohawks Prognose, dass der "Krieg der Zukunft" ablaufen würde zwischen den "Zerstörern der Natur" und den "Verteidigern der Natur".

Als Biegert, nach Deutschland zurückgekehrt, die Interviews abtippte, schaltete sich sein politischer Verstand ein: Biegert begriff, dass indianische Gemeinschaften eigene Regeln formulieren, nach denen sie behutsam mit ihren Ressourcen umgehen — und dass den Industriegesellschaften solche Regeln weitgehend fehlen.

Als Biegert die ersten Texte über seine Reise schrieb, stellte Werner Meyer, der AZ-Chefreporter fest: "Der Biegert hat sein Thema gefunden." Meyer behielt Recht.

Der Blick vom Zaun

Im Mittelalter hießen Hexen an manchen Orten "Hagazussa". Das Wort meint einen Menschen, "der auf dem Zaun sitzt" — auf einem Zaun, der die alltägliche Welt trennt von einer zweiten Welt, in der nicht alles den Kriterien von Vernunft und Logik genügt.

Vielleicht könnte man auch Claus Biegert eine solche Position auf dem Zaun zuschreiben: Er blickt auf zwei Welten, die westliche, vernunftgesteuerte, und die indianische. Und will sich nicht festlegen, zu welcher Welt er gehört.

Natürlich hat auch er einmal Peyote probiert, die indianische Droge, mit der das Verlassen der "normalen" Welt besonders leicht fällt. Die Zeremonie begann bei Sonnenuntergang in einem Zelt. Um Mitternacht ging Biegert einmal kurz nach draußen — und hatte den Eindruck, den schon viele vor ihm hatten: "Ich dachte: Der Baum da drüben ist mein Bruder." Ein Aha-Effekt: "Das also meinen die Indianer, wenn sie vom Einssein mit der Natur sprechen."

Überhaupt, die indianischen Rituale. Biegert kann lange davon erzählen, wie sinnvoll manche Bräuche für ein Leben im Gleichgewicht sind. So hätten sich tausende amerikanischer GIs, die in Vietnam Menschen töteten, nach der Heimkehr umgebracht, weil sie die Erfahrungen nicht in ihr Leben integrieren konnten. "Die Indianer, die als Soldaten in Vietnam waren, hatten es da besser", sagt Biegert: "Sie haben ein Ritual, das man vollzieht, wenn man einen Menschen getötet hat."

Der Einzelne müsse sein Schicksal nicht allein tragen, sondern erfahre Unterstützung im Kult, in der Gemeinschaft. Biegert zieht an dieser Stelle einen Kulturvergleich: "Was ist bei uns von den Ritualen unserer Vorfahren übrig? Man bekommt zur Firmung eine Uhr."

Sollten aufgeklärte, rationale Westeuropäer also von den Ritualen der Indianer lernen? Biegert ist da recht vorsichtig: "Ich kann mir natürlich eine indianische Schwitzhütte bauen. Aber das bleibt immer ein Zitat, das manchmal peinlich wirken kann." Schließlich ist er nicht an den Felsenwänden der Yemez Mountains aufgewachsen, sondern am Staffelsee.

Und er ist als Bub nicht im Zelt eines Schamanen gesessen, sondern im Religionsunterricht. Das wirkt nach: Biegert hadert heute zwar mit der Kirche — doch ausgetreten ist er nicht. "Alle paar Wochen denke ich daran, aber getan habe ich es noch nicht", sagt der 55-Jährige.

Was auch zeigt, wie stark die eigene Kultur einen Menschen prägt — und wie chancenlos der Wunsch ist, auf naive Weise an Bräuche fremder Kulturen glauben zu können: Bestenfalls erhält jemand ein paar Hinweise für ein Leben, das weniger entwurzelt ist als das vieler Europäer. Aber auch dafür lohnt die Suche. Und wenn sich dann ein paar gute Geschichten erzählen lassen, ist Claus Biegert zufrieden.

Bei dem Benefizkonzert für den "Nuclear-Free Future Award" am Samstag, 21. Juni, 19.30 Uhr, im Musikzelt des Tollwood-Festivals treten neben Arlo Guthrie auf: Peter Gordon (sax), Hans Theesink (Sänger und Gitarrist), John Sheahan und Barney McKenna (Gründungsmitglieder der Dubliners).

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: