Porträt:Zerbrechlich glühend Herz

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Vera Botterbusch hat als Autorin, Filmemacherin und Fotografin hohe Ansprüche an sich selbst. Ihre aktuellen Werke, Text- und Bildcollagen, sind ein Plädoyer für das Erinnern und die Empathie

Von Irini Bafas

Es gibt Dinge, die versteht Vera Botterbusch nicht. Zum Beispiel, warum es noch Rassismus gibt. Warum die Ehre für manche wie ein Statussymbol ist. Warum Gehorsam stärker sein kann als Empathie. Fragen wie diese beschäftigen die 76-Jährige manchmal tagelang, nächtelang, monatelang. Wenn sie darüber spricht, wird sie wütend und ballt die Hände zu Fäusten. "Ich kapiere das einfach nicht", ruft sie immer wieder. Erschöpft lässt sie sich in den Sessel in ihrer Wohnung fallen, stützt die Ellenbogen auf die Knie, faltet die Hände zusammen und sagt leise: "Wir müssen uns mehr mit Gefühlen und Empfindlichkeiten befassen."

Vera Botterbusch ist Autorin, Regisseurin, Filmemacherin und Fotografin. Mehr als 50 Filme hat sie produziert, die meisten für das Bayerische Fernsehen. Dazu kommen unzählige Publikationen, Hörbilder, Ausstellungen. Sie beschäftigt sich mit französischer und deutscher Literatur, Musik, Kunst, poetischen Reisen und Landschaftsporträts. Für ihre Arbeiten war sie in Polen, Frankreich, Griechenland, Afrika. Oft geht es um Schriftsteller, zum Beispiel Theodor Fontane und Jean Giono. Ihre Filme tragen Titel wie "Glücklich will ich sein oder Die Kunst zu leben" und "Den Kopf zwischen den Schultern trägt jeder für sich", ein Zitat aus Alfred Döblins "Reise in Polen". Botterbusch hat ihre Werke sorgfältig betitelt und scheint sich bis ins Detail an jede Geschichte zu erinnern. Richtig zufrieden ist sie trotzdem nie. "Bei allem, was ich gemacht habe, finde ich mit Abstand etwas, das ich hätte besser machen können", sagt sie.

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(Foto: Catherina Hess)

"Wir müssen uns mehr mit Gefühlen und Empfindlichkeiten befassen", sagt Vera Botterbusch. Die 76-Jährige schreibt, dreht und fotografiert.

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(Foto: Vera Botterbusch/oh)

Feuer: Als Fotografin sucht Vera Botterbusch das Elementare in der Natur.

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(Foto: Vera Botterbusch /oh)

Mit der Kamera geht Vera Botterbusch so nahe an die Objekte heran, wie es nur möglich ist.

An den Wänden in ihrem Wohnzimmer hängen die Bilder dicht nebeneinander, auf jeder freien Fläche stehen kleine Figuren und Skulpturen. Einen Teil davon hat sie selbst gemalt oder getöpfert, vieles aber sind Geschenke von Freunden und Künstlern, mit denen sie zusammengearbeitet hat. Jedes Stück hat eine Geschichte. Seit mehr als 40 Jahren lebt sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Klaus Konjetzky, in Nymphenburg. Die beiden haben zwei Töchter - die eine ist Choreografin, die andere Pianistin.

Wer Vera Botterbuschs Werk begreifen will, muss bereit sein, sich emotional berühren zu lassen. "Nur wenn ich selbst berührt bin, kann ich andere berühren", sagt sie. Der Mensch bestehe nicht aus Funktion und Wissen, sondern sei über die Psyche gesteuert. Diesen Teil will Botterbusch herausarbeiten. Was sie damit meint, zeigte jüngst ihre Text- und Bildcollage in der Blackbox des Gasteigs. "Souviens-toi" lautete der Titel. Erinnere dich.

Es ging um Rudolf, einen deutschen Kommandanten im Zweiten Weltkrieg. Im Vernichtungslager Auschwitz tötet er Juden und geht dabei so gründlich vor, als handele es sich um Fensterputzen. "All diese Dinge, die als urdeutsch gelten, also Gründlichkeit, Gehorsam, Pflichtbewusstsein, vernebeln den Menschen", sagt Botterbusch. Sie selbst hat die ersten drei Jahre ihres Lebens in der Nähe von Oświęcim - Auschwitz - in Polen gelebt. Dass sie das so stark prägen würde, habe sie erst im Alter verstanden, sagt sie. Über ein halbes Jahr lang suchte sie Texte, Musik, eigene Fotos und Filmausschnitte aus und fügte sie zu einer Collage zusammen. Die Geschichte des Kommandanten Rudolf stammt aus Auszügen des biografischen Romans "Der Tod ist mein Beruf" des französischen Schriftstellers Robert Merle. Botterbusch hat sie mit Texten von Patrick Modiano, Paul Celan und Dokumenten aus dem Münchner Stadtarchiv kombiniert und kontrastiert. Ihre Tochter Laura Konjetzky begleitete den Abend am Klavier, spielte Stücke des Komponisten Erwin Schulhoff, der 1942 in einem Lager an Tuberkulose zugrunde ging.

Botterbusch wollte an die sechs Millionen Juden erinnern, die in deutschen Vernichtungslagern starben. Und daran, wie gefährlich "Entmenschlichung" ist, wie sie es nennt. Zum Schluss sagt Rudolf, in der Collage gesprochen vom Schauspieler Siemen Rühaak, er würde seine Gräueltaten wiederholen, sobald er den Befehl dazu erhalte. "Wie kann ein Regelwerk denn stärker sein, als das Gefühl, dass man dem anderen nichts antun darf? Das ist furchtbar", fragt sich Vera Botterbusch.

Nach der Premiere in der Blackbox sagt die Künstlerin, sie habe den Aufwand dieses Projekts unterschätzt. Es gab Nächte, in denen habe sie nur zweieinhalb Stunden geschlafen. Warum sich die 76-Jährige das antut? "Wir leben in einer Zeit, in der all dieses schreckliche Gedankengut zurückgekommen ist", sagt sie. Botterbusch will nicht nur berühren, sie will auch warnen.

Seit 26 Jahren hat Botterbusch ein zweites Zuhause im Bayerischen Wald, einen Ort, um herunterzukommen und zu fotografieren. Einmal hat ihr Mann ihr von einem alten Fass erzählt, auf dem das Eis gefroren war. "Dann bin ich zwei Stunden mit der Kamera auf dem Fass spazieren gegangen", erzählt sie. Mit "spazieren gehen" meint sie das Fotografieren. "Es war wie eine Weltreise." Seitdem beschäftigt sie sich in ihren Fotos mit den vier Elementen: Feuer, Wasser, Erde und Luft. Dabei geht sie mit der Linse so nahe an die Objekte, wie es nur möglich ist. Sie zeigt Details, die das Auge nicht erfassen kann. Wenn sie fotografiere, sagt sie, befreie sie sich von sich selbst. Sie friert Momente ein, die es nur einmal gibt und stellt sie aus, zum Beispiel in München, Passau, Regensburg. Eine Schau war in Nigeria - sie zeigte Bilder, die 1999 beim Dreh zu ihrem Film "Eine Kindheit in Nigeria" entstanden sind. Vera Botterbusch schreibt, dreht und fotografiert, um andere zu bewegen. "Menschsein ist, dass man letztlich da ist." Sie lächelt. Das zu erkennen, sagt sie, sei das Wichtigste im Leben.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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