Wer andere Menschen führen will, der muss sich selbst kennen. Das sagte schon Ignatius von Loyola vor fast 500 Jahren. Eine Plattitüde, könnte man heute, im Zeitalter der Coachings, meinen. Aber was heißt das überhaupt: sich selbst kennen? Bei all den Versuchungen und Herausforderungen, im Job, in der Beziehung, in der Freizeit? Michael Bordt beschäftigt sich mit dieser Frage fast sein Leben lang. Als Philosoph, als Jesuit, als Hochschullehrer und als Wirtschaftsberater. Er hat Bücher darüber geschrieben und trainiert Topmanager, die genau das wissen wollen: Wie bleibe ich mir selbst treu? Am Anfang aller Theorie, sagt der Pater, steht dabei eine einfache Praxis - und die beginnt mit Demut.
Michael Bordt, lichter Philosophenhaarkranz, runde Brille, lächelt. Seit fünf Jahren hält er nun schon Vorträge, Workshops und Retreats für Topmanager und solche, die es mal werden wollen. Entstanden ist die Idee während der Finanzkrise. "Da kamen plötzlich viele Vorstände auf uns zu und wollten ein Ethikseminar", erzählt der Professor, damals Präsident der Münchner Hochschule für Philosophie, die den Jesuiten gehört. "Aber das war häufig eher als Feigenblatt gedacht. Sie wollten über Werte reden, kannten aber keine, außer die von Wertpapieren".
Die Hochschule brauchte dringend neue Finanzquellen, und so gründete Bordt das Institut für Philosophie und Leadership. Große Konzerne und Banken wie BMW, Porsche oder Unicredit gehören zu seinen Kunden, aber auch Söhne und Töchter von Familienunternehmern, die in ihre Rolle erst noch hineinwachsen müssen. Die Nachfrage ist groß. Die Einnahmen aus den Seminaren kommen der Hochschule zugute.
Wer zu Pater Michael Bordt ins Seminar kommt, muss darauf gefasst sein, sich im Schneidersitz am Boden wiederzufinden. Schweigen, sitzen und atmen, das sind die Grundlagen der Meditation - und der Schlüssel zur Selbsterkenntnis, sagt der Ordensmann. Die Turbulenzen des Alltags ausblenden, um zu sich selbst zu finden.
"Jeder von uns steht heute vor vielen Herausforderungen gleichzeitig, das gilt besonders für Führungskräfte", stellt Bordt fest. "Sie erleben eine Fragmentierung der Rollen: als Unternehmer, Vorgesetzter, gesellschaftliches Vorbild, als Mann oder Frau, als Familienmensch. Da ist es wichtig, den roten Faden zu finden. Ohne einen solchen geht es nicht im Leben". Davon handelt auch sein jüngstes Buch "Die Kunst sich selbst zu verstehen" (Elisabeth Sandmann Verlag)
. Je früher man sich den Lebensfragen stellt, desto besser. Deshalb gibt der 55-Jährige auch Kurse für den Nachwuchs. "Kinder von Unternehmern müssen sich ja erst einmal über ihre Ziele klar werden: Erfüllen sie nur die Erwartungen der Eltern oder wollen sie wirklich selbst Verantwortung tragen? Wofür stehen sie, was fasziniert sie an den Aufgaben, die auf sie warten?" Während einer Woche in Schloss Elmau stellen sie sich diese Fragen. Dazwischen heißt es immer wieder: sich in Demut üben, sitzen und atmen.
Auch Michael Bordt hat sich einst dieser inneren Prüfung unterzogen, als er mit 28 Jahren beschloss, in den Jesuitenorden einzutreten. Nicht eine Woche, sondern zwei Jahre lang. "Das Novizentum ist eine extrem intensive Zeit", sagt er. Sie beginnt mit 30 Tagen Schweigen, dabei täglich acht Stunden meditieren, bis alle Knochen schmerzen. Wie beim Zen-Buddhismus.
"Anfangs ist da Freude, man wird ruhig und entspannt. Aber dann kommt die Phase, in der man mit all seinen dunklen Seiten konfrontiert wird: Trauer, Wut, Schmerz. Und das Schlimmste ist: Man kann nichts äußern, man muss es aushalten". Das ist der Königsweg zur Selbstfindung, sagt er: Sich seinen Sehnsüchten und Ängsten stellen. Ein Leben lang. "Das ist in einem Orden wie in einer Ehe: Wenn man grundsätzlich zusammen bleiben will, dann muss man sich immer wieder prüfen", sagt er.
Erst "Die Kunst, sich selbst auszuhalten", so der Titel eines seiner Bücher, macht am Ende frei und führt zu einem selbstbestimmten Leben. Diese Erkenntnis versucht der Jesuit seinen Seminarteilnehmern zu vermitteln. Auch wenn er sie nicht anleitet, tagelang im Schneidersitz zu verharren - Yoga, Atemtechnik und Selbstwahrnehmung gehören durchaus dazu.
Was passiert, wenn Alphatiere die Selbstwahrnehmung ausblenden, lässt sich gerade im Kino nachvollziehen. Der Film "The Big Short" über den Beginn der Finanzkrise in den USA zeigt so amüsant, wahrheitsnah und schauerlich zugleich Männer, die den roten Faden im Leben nur noch in den Millionen auf dem eigenen Konto sehen und dabei die Welt an den Abgrund steuern. Und auch wenn der Kasino-Kapitalismus hierzulande ein wenig gemäßigter läuft, scheinen doch viele Topmanager bis heute über jeden Selbstzweifel erhaben. Die Ackermanns oder Fitschens, die die Deutsche Bank in Verruf brachten, die Winterkorns (VW) oder Blatters (FIFA), die sich persönlich nichts vorwerfen lassen. Aber es gibt auch andere, sagt Pater Bordt. Führungskräfte, die in der globalen Krise erstmals das Bedürfnis spürten: Wir müssen etwas ändern, an uns, an unserem Umgang miteinander, sonst frisst uns das System auf. "Topmanager stehen unter einem gewaltigen Druck", stellt Bordt immer wieder fest.
Diesem Druck hält man letztlich nicht mit erzwungener Moral, sondern nur mit einer integren Persönlichkeit stand, davon ist Bordt überzeugt. "Da hilft es, sich zu fragen: Was hinterlasse ich am Ende meines Lebens? Was wäre mein schlimmster Schicksalsschlag - der Sturz des Aktienkurses oder der Tod meines Kindes?" Statt sich diesen Lebensfragen zu stellen, flüchteten sich die meisten Menschen "in Arbeit, shoppen, Bücher schreiben, whatever".
Den eigenen Weg zu finden, das fiel auch Michael Bordt damals nicht leicht. Wirtschaftsprüfer werden, wie sein Vater, das kam nicht in Frage. Das Ministrieren gab er mit 14 auf, die Kirche lieferte ihm nicht genügend Antworten auf seine Fragen. Der Zivildienst in einer Behinderteneinrichtung führte ihn an seine Grenzen. Er war auf Sinnsuche wie viele junge Leute damals.
Und dann hatte er während des Gottesdienstes in einer Freikirche plötzlich ein Erweckungserlebnis. "Da wusste ich: Gott gibt es und seine Liebe trägt mich." Die Enge dieser Kirche war es nicht, was er brauchte, aber die Hinwendung zur Spiritualität. Er fuhr nach Taizé und erlebte in der ökumenischen Gemeinschaft zum ersten Mal Exerzitien.
Er studierte dann Theologie und Philosophie, und die Verbindung von Spiritualität und weltoffener Bildung brachte ihn schließlich zu den Jesuiten. In Oxford wurde er promoviert, mit einer Arbeit zu Platons Lysis, dem sokratischen Gespräch über die Liebe.
Der Professor sitzt entspannt in seinem neuen Büro in der Kaulbachstraße. Sein Leaderhip-Institut belegt eine ganze Etage in einem sanierten Haus, das die Hochschule von der katholischen Kirche gemietet hat. Über seine Gesprächsecke hat der Chef ein Nachtbild von Venedig gehängt. "Die Nacht ist die Zeit der Ruhe, des Mit-sich-Allein-Seins", sagt er, "eine wichtige Zeit". Der gebürtige Hamburger trägt gerne bayerische Janker zur schwarzen Jeans. Von seinem gemütlichen Lehnsessel hat er einen schönen Blick in den Garten. Den will er im Frühling unbedingt pflegen. Eine harmonische Umgebung bedeutet ihm viel, sie hilft, öfter mal innezuhalten.
"Nun kann man einem Manager nicht sagen: Entschleunigen Sie mal!", gibt er zu. Wohl aber, sich immer wieder zu fragen: Ist es wirklich das, was ich gerade will? Bin ich bei mir, oder lasse ich mich treiben?". Mindfulness nennt der amerikanische Arzt und Buddhist Jon Kabat-Zinn diese Lebenshaltung, Bordt sieht das genauso: "Wir nennen es mindful Mindfulness". Nicht einfach einen Kurs machen und dann zurück in den Alltagstrott, sondern die kleinen Meditationen mit ins Leben nehmen.
Der Pater selbst nimmt sich diese Zeit. Steht morgens zwischen fünf und sechs auf, meditiert, praktiziert Yoga. Jesuiten leben nicht im Kloster, haben keine Ordenstracht, allerdings gilt auch für sie der Zölibat. Bordt wohnt mit fünf anderen Jesuiten im Pfarrhaus von St. Sylvester in Schwabing. Die WG-Genossen sind viel beschäftigt, doch einmal in der Woche treffen sie sich zum gemeinsamen Abendessen. "Wir kochen abwechselnd, oder bestellen auch mal Pizza", sagt der Pater. Dann wird auch über Politik diskutiert. Oder ausländische Fernsehsender geguckt, BBC oder auch Al Jazeera - ein wichtiges Kontrastprogramm zu den "Wohlfühlmedien ARD und ZDF ", findet Bordt. "Wir haben viel Kontakt zu Jesuiten in aller Welt, da ändert sich der Blick auf Europa, das sich oft für den Maßstab aller Dinge hält", sagt er.
Wenn er selbst unterwegs ist, in einer Großstadt, dann studiert er vorher das Opernprogramm. Er liebt Händel, wegen der Klarheit und Bandbreite der Gefühle in dessen Musik. Dirigent wollte er einst werden. Es kam anders. Heute schwingt er keinen Taktstock, er zwingt seine Kursteilnehmer mit sanften Worten und einem Lächeln in die Knie. Damit sie auf ihr Innerstes hören.