Erzbischöfliches Ordinariat:Gabriele Rüttiger ist die Frau hinter Kardinal Marx

Erzbischöfliches Ordinariat: Der Mann hinter Gabriele Rüttiger: In ihrem Büro im Erzbischöflichen Ordinariat blickt ihr Kardinal Reinhard Marx über die Schulter.

Der Mann hinter Gabriele Rüttiger: In ihrem Büro im Erzbischöflichen Ordinariat blickt ihr Kardinal Reinhard Marx über die Schulter.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Gabriele Rüttiger ist eine hochrangige Repräsentantin der katholischen Kirche - obwohl sie keine Geistliche ist.
  • Als Ressortleiterin im Erzbischöflichen Ordinariat hat sie einen der höchsten Posten inne, den ihr Arbeitgeber zu bieten hat.
  • Rüttiger war früher selbst Nonne, verabschiedete sich allerdings vor Jahren schon vom Klosterleben.

Von Jakob Wetzel

Dass Gabriele Rüttiger für die katholische Kirche spricht, sieht man ihr nicht gleich an. Sie trägt weder Talar noch Soutane, nicht einmal einen weißen Stehkragen, an dem man Kleriker erkennt. Da ist nur ein kleines Kreuz am Revers ihres Sakkos, und auch das steckt sie nicht immer an.

Wenn Rüttiger in der Stadt unterwegs ist, wenn sie etwa den Erzbischof bei einem Empfang vertritt, dann kann es deswegen passieren, dass sie nicht ganz ernst genommen wird. Dass sie einen Sitzplatz am hinteren Ende des Saales erhält. Und dass sie erst erklären muss, dass sie zwar keine Geistliche und noch dazu eine Frau ist, aber trotzdem eine hochrangige Repräsentantin ihrer Kirche.

Tatsächlich hat sie einen der höchsten Posten inne, den ihr Arbeitgeber zu bieten hat: Sie ist Ressortleiterin im Erzbischöflichen Ordinariat, verantwortet den Bereich Grundsatzfragen und Strategie. Sie hat es weit gebracht in der katholischen Kirche - besonders für eine Frau. Über ihr stehen nur noch der Erzbischof und sein Stellvertreter, der Generalvikar. Freilich: Beide Posten sind geweihten Priestern vorbehalten, also Männern. Die berühmte Decke, an die Frauen im Berufsleben so häufig stoßen, ist in der katholischen Kirche nicht aus Glas, sondern aus jahrhundertealtem Stein. Aber eigentlich störe sie das gar nicht, sagt Rüttiger: "Ich wusste es ja vorher." Und sie schaue auch nicht so gerne auf das, was nicht möglich ist. Sie mache lieber das Beste aus dem, was geht. Und das sei viel.

Grundsatzfragen und Strategie, das umfasse eigentlich "alles, wo sich etwas verändert", sagt sie. Die 63-Jährige empfängt in ihrem Büro im noch immer etwas kahlen Ordinariat. Das Gebäude ist noch kein Jahr bezogen, die Wände sind weiß, manches wirkt noch unfertig. 30 Mitarbeiter stellen sich hier gemeinsam mit Rüttiger drängenden Fragen wie diesen: Wie funktioniert Seelsorge, wenn es immer weniger Pfarrer gibt? Wie können diese ihre Pfarreien noch verwalten? Was kann die Ökumene konkret bedeuten? Und was tun, wenn religiöse Orden keinen Nachwuchs finden und deshalb immer mehr Klöster leer stehen?

Die Klöster beschäftigen Rüttiger derzeit besonders. Die Kirche hat in den vergangenen Wochen immer wieder Gebäude übernommen, die für ihre Ordenskonvente zu groß geworden sind. Das frühere Kapuzinerkloster an der Tengstraße in Schwabing zum Beispiel soll jetzt zu einem kirchlichen "Zentrum für Flucht, Asyl und Migration" werden; im ehemaligen Kloster Beuerberg bei Wolfratshausen soll unter anderem ein Verwaltungsstützpunkt für Pfarreien entstehen. Für die Klosterprojekte braucht Rüttiger in ihrem Büro derzeit mehr Ablagen als für alle anderen Aufgaben zusammen.

Rüttiger fühlte sich im Orden nicht am richtigen Platz

Für das Erzbistum ist das keine leichte Aufgabe; denn Amtskirche und Orden sind zwar beide katholisch, sehr viel mehr aber haben sie im Alltag nicht miteinander zu tun. Die Ressortleiterin ist da ein Glücksfall für das Ordinariat: Sie weiß, wie Ordensschwestern denken und fühlen, denn sie war lange selber eine.

Gabriele Rüttiger ist lange einen vorgezeichneten Weg gegangen. Ihre Mutter habe ein Gelübde abgelegt, dass ihr noch ungeborenes Kind einen geistlichen Weg einschlagen werde, erzählt sie. Entsprechend sei sie in ihrer Jugend in Würzburg erzogen worden. Mit 20 Jahren ging sie zur Congregatio Jesu, wurde Maria-Ward-Schwester und arbeitete als Religionslehrerin. Es dauerte lange, bis sie merkte, dass sie ihr Leben lieber anders führen wollte.

Der Anfang vom Ende sei der Tod einer Freundin gewesen, erzählt Rüttiger. 13 Jahre lang war sie damals bereits Ordensschwester. Nun begann sie, über ihr Leben nachzudenken. "Es war ein langer Weg", sagt sie. Zehn Jahre später verließ sie den Orden, "im Guten". In den folgenden Jahren ging sie an die Universität Eichstätt, baute die Schulseelsorge in der Erzdiözese München und Freising auf. 2012 schließlich übernahm sie das neu geschaffene Ressort für Grundsatzfragen.

Das Ordensleben prägt sie noch immer

Bereuen würde sie ihre Zeit im Orden nicht, sagt sie heute. "Ich verdanke ihr ja sehr viel." Sie habe sich entwickeln und Verantwortung übernehmen können. Es sei zwar auf Dauer nicht ihr Weg gewesen, aber der Orden habe sie zu der Frau gemacht, die sie heute sei. Nicht zuletzt wegen ihrer Vergangenheit könne sie heute gut moderieren, sagt sie. Sie könne eine Brückenbauerin sein zwischen Ordinariat und Orden. Das lateinische Wort für "Brückenbauer" ist "Pontifex". Aber Latein mochte Rüttiger nie besonders.

"Ich merke auch, dass mich das Ordensleben noch immer prägt", sagt sie. Darin etwa, dass ihr Gott ein starker Rückhalt sei. Dass die Arbeit, dass die Sache im Zweifel Vorrang haben müsse vor den eigenen Bedürfnissen. Und Mary Ward, die Gründerin der Congregatio Jesu, die sei auch heute noch ein Vorbild für sie: Die Frau, die während der Katholikenverfolgung im 17. Jahrhundert in England lebte und die bis nach Rom reiste, um ihren Orden vom Papst genehmigen zu lassen, "zu einer Zeit, als die katholische Kirche noch eine wirkliche Männerkirche war", die habe ihr schon immer sehr imponiert.

Heute, bedeutet das auch, ist die katholische Kirche keine wirkliche Männerkirche mehr. Von außen sichtbar sind zwar hauptsächlich der Papst in Rom, der Pfarrer nebenan und der Kardinal in seinem Palais. Im Inneren aber habe sich die Kirche längst für Frauen geöffnet, sagt Rüttiger. Nur nehme man das kaum wahr. Da gebe es durchaus Nachholbedarf.

Tatsächlich arbeiten im Erzbischöflichen Ordinariat in München laut einer vor Kurzem abgeschlossenen Gleichstellungsanalyse fast doppelt so viele Frauen wie Männer: Auf 858 weibliche Kollegen kommen demnach nur 432 männliche. Verrechnet man Teilzeit- und Vollzeitstellen, bleibt noch immer ein deutlicher Frauenüberschuss. Zwar ist die mittlere Verwaltungsebene, also die von Abteilungsleitern und Hauptabteilungsleitern, noch immer stark männlich geprägt - auf 13 Frauen kommen hier 51 Männer -, aber auf der Ebene von Rüttiger, derjenigen der Ressortleiter, herrscht derzeit zumindest Geschlechterparität: Im Ordinariat gibt es sieben Ressorts und eine Finanzkammer, und an deren Spitzen stehen vier Frauen und vier Männer.

In ihrer Kirche fühlt sich Rüttiger angekommen. Nicht nur von deren politischen Haltung her: Die 63-Jährige wünscht sich eine selbstbewusste, aber menschennahe Kirche. Mit der Haltung ihres Chefs Reinhard Marx in der Flüchtlingsdebatte fühlt sie sich derzeit ausgesprochen wohl. Sondern auch als Frau fühlt sie sich ernst genommen. Sie habe nie das Gefühl gehabt, dass ihr Geschlecht eine Rolle spielte; das wolle sie auch gar nicht: "Ich arbeite nicht als Frau. Sondern ich arbeite hier, und ich bin eine Frau. Ich möchte das als Selbstverständlichkeit leben", sagt sie.

Im Inneren hat die Kirche sich den Frauen geöffnet

Neid oder gehässige Kommentare wegen ihres Postens seien ihr nie zugetragen worden. Und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei die Kirche gut aufgestellt. Da gibt es etwa reservierte Plätze in Kindertagesstätten und ein Ferienprogramm für die Kinder. "Ich finde, nicht Frauen und Familien, sondern eher die Singles fallen bei uns hinten runter", sagt Rüttiger. "Auch in der Seelsorge haben wir die Alleinlebenden noch nicht so richtig für uns entdeckt."

Vor mehreren Wochen war Rüttiger auf einem Frauengipfel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie habe die Regierungschefin dort als sehr charmant und witzig erlebt, sagt sie. Etwa 100 Frauen in leitenden Positionen hätten sich zu diesem Anlass in Berlin versammelt - und unter ihnen waren gleich drei Frauen von den beiden großen christlichen Kirchen, eine Protestantin, sie und noch eine weitere Katholikin. Das sei doch keine schlechte Quote.

Ohnehin: Sich selbst sehe sie eher im Bereich der Wegbereitung, sagt Rüttiger. Ob die steinerne Decke in der Kirche eines Tages in sich zusammenfällt? "Wenn Gott das will, dann wird der Geist Gottes das bewirken", sagt sie. "Und wenn nicht, dann ist das halt so."

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