Porträt:Die coolste Socke der Welt

Die Karriere der Münchner Holzbildhauerin Jessica Strixner läuft gerade ausgezeichnet. Mit ihren täuschend echt geschnitzten Klamotten stürmt sie den internationalen Kunstmarkt und die Tagesthemen. Durch die Arbeiten setzt sie eine kreative Familientradition fort - ihr Vater ist Quasimodo

Von Karl Forster

Es ist ein Bild, das Erinnerungen an wirklich längst vergangene Tage weckte. "Wie oft hab ich dir gesagt, du sollst deine Socken nicht einfach so rumliegen lassen?" Diese sehr rhetorische Frage der ansonsten nicht sonderlich strengen Mutter tauchte im Kopf auf, als unlängst am Ende der ARD-Tagesthemen eine Tennissocke den Bildschirm füllte, ganz offensichtlich schon benutzt und verschwitzt vom Fuß gezogen, wie die Falten und Wellungen zeigen. Nun ist aber eine Socke nicht immer eine Socke, sonst wäre es ja dieser Nachrichtensendung auch keinen Beitrag wert. Diese Socke ist Kunst, kostet um die 950 Euro und hat Caren Miosga zu der Anmoderation motiviert, es handle sich auch bei der Erschafferin um eine ganz besondere Künstlerin. Da hat sie absolut recht.

Die Holzbildhauermeisterin Jessica Strixner ist 28 Jahre alt und war noch längst nicht auf der Welt, als ihr Papa Rainer Maria Strixner, ebenfalls Meister der Holzbildhauerei, Ende der Siebzigerjahre immer wieder auf der Bühne der Kleinkunstkneipe Drehleier stand. Dort löste er als "Quasimodo", einer der Hauptfiguren der legendären Vorstadtschau "Varieté Spectaculum", wahre Jubelstürme aus, was auch immer wieder Niederschlag in der Kulturberichterstattung der Süddeutschen Zeitung fand. Als nun in dem ARD-Beitrag zur Tennissocke aus Holz der Name Strixner fiel, tauchten nicht nur die mütterlichen Mahnungen aus der Vergessenheit wieder auf, sondern auch die Erinnerung an die vergnüglichen Abende beim Varieté in der Drehleier. Und schnell war erstens klar, dass Jessica Strixner die Tochter vom ewig nicht mehr gesehenen "Quasimodo" Strixner sein muss und zweitens schon deswegen und der verschmutzten Tennissocke wegen ein Besuch bei ihr unbedingt nötig ist.

Und so traf man Tochter und Vater im gemeinsamen Atelier am Münchner Glockenbach direkt östlich des Alten Südfriedhofs, in einem kleinen, etwas seltsamen Gebäude mit Parkplatz, eine Idylle inmitten der Großstadt, in der es nach Holz und Kreativität riecht und die sich beide als Arbeitsplatz teilen. Rechts am Fenster, diagonal gegenüber der Türe, steckt ein fast einen Meter großer Holzblock, von dem Jessica Strixner gleich sagen wird, aus ihm wolle sie einen "Friesennerz" schnitzen. Bei genauerem Hinsehen kann man den Faltenwurf solch eines knallgelben Regenschutzes bereits ahnen. Und man versteht jetzt schon, dass sich diese Künstlerin mit Werken zwischen Tennissocke und Friesennerz ein echtes Alleinstellungsmerkmal geschaffen hat: geschnitzte Klamotten. Das Repertoire reicht vom verspielten Unterhöschen über Büstenhalter bis zur güldenen Jacke, die aussieht, als hänge sie am Haken in der Wand. So täuschend echt, dass man versucht ist, sie anzuprobieren.

Porträt: Wie weich ist dieses Hemd? Jessica Strixner spielt in ihren Werken mit falschen Erwartungen.

Wie weich ist dieses Hemd? Jessica Strixner spielt in ihren Werken mit falschen Erwartungen.

(Foto: Jessica Strixner)

Jessica Strixner wuchs in der Fraunhoferstraße auf, im Rückgebäude des Fraunhofer Wirtshauses, wo die Strixners schon seit 45 Jahren wohnen. Was insofern von Bedeutung ist, als so die kleine Jessica in eine die Kultur der Stadt München prägende soziale Umgebung hineingeboren wurde, zu der Fraunhofer-Wirt Beppi Bachmeier ebenso gehört wie der Drehleier-Betreiber und Varieté-Regisseur Werner Winkler; und aus der jene mittlerweile verklärte Kleinkunstszene zwischen MUH und Drehleier erwuchs, die künstlerischer Nährboden war für Leute wie Sigi Zimmerschied, die Biermösl-Blosn oder Fredl Fesl. Jessica Strixner ist also zum einen mit Holz aufgewachsen im Atelier ihres Papas, damals noch an der Tumblingerstraße, zum anderen "in der Gastro", wie sie sagt, wo sie bis vor kurzem noch gejobbt hat, vorne im Fraunhofer oder im geistesverwandten Mariandl an der Goethestraße. Bis dann der holzbildhauerische Durchbruch kam und sie der Auftragsdichte wegen kündigen musste.

Nun kommt eben auch bei Jessica Strixner nichts von nichts. Der Papa, dem die eher zarte, schlanke Tochter aus dem Gesicht geschnitzt zu sein scheint, hat in einschlägigen Kreisen längst einen Namen als Restaurator und Kopist wertvoller Holzkunst und ist damit auch Stammstandler auf der Auer Dult. Und als er einst den Auftrag hatte, der Kirche St. Maximilian am Isarufer eine weihnachtliche Krippe zu schaffen, war die junge Jessica wieder einmal tief beeindruckt davon, was man alles mit seinen Händen machen kann, wenn man es kann. Das Material damals war Styropor, das man mit Glühdraht "schnitzte". Der kreative Weg mit Holz ist nicht viel anders, er dauert nur länger.

Also ging Jessica Strixner, nach einem kurzen, eher unbefriedigenden Abstecher Richtung Grundschullehrerin an der LMU, auf die Berufsfachschule für das Holzbildhauerhandwerk an der Luisenstraße. Sie blieb zum einen dort bis zur Erlangung des Meistertitels, zum anderen lernte sie ebendort ihren Freund Philipp kennen, mit dem sie, weil er in Halle an der Saale lebt, dort einen zweiten Atelierplatz hat. Er sei, meint sie, eher figürlich orientiert und gießt unter anderem Beton zu Gestalten, "ich hab's da mehr mit der Draperie", sagt Jessica, also mit der Kunst des Faltenwurfs. Dass man Beton und Stoff verbinden kann, zeigen die Arbeiten der beiden zum Beispiel in der Galerie Klose in Essen oder in der Gallery Pien Rademakers in Amsterdam.

Porträt: Jessica Strixners Tennissocke kostet um die 950 Euro - nicht etwa weil sie einen berühmten Träger gehabt hätte, sondern weil sie bei weitem nicht so weich und anschmiegsam ist, wie sie auf dem Bild vorgibt.

Jessica Strixners Tennissocke kostet um die 950 Euro - nicht etwa weil sie einen berühmten Träger gehabt hätte, sondern weil sie bei weitem nicht so weich und anschmiegsam ist, wie sie auf dem Bild vorgibt.

(Foto: Jessica Strixner)

Dass Jessica Strixner nur vier Jahre nach ihrem Abschluss als Meisterin bereits von zwei renommierten Galerien vertreten wird, sagt schon viel. Dass aber der Papa Holzschnitzermeister voller Stolz in der Stimme zur Tochter Holzschnitzermeisterin sagt: "Jetzt hol doch mal die Jacke!", ist wahrscheinlich der noch wichtigere Ritterschlag. Aber wie kam sie überhaupt auf die Idee, Kleidungsstücke zu schnitzen? "Ich habe schon immer ein Faible für alte Kleider, für Vintage-Mode und so", sagt Jessica Strixner und erzählt, wie sie als Kind begeistert in den Kleiderschränken von Eltern und Großeltern gewühlt habe. "Kleider sind auch ein Statement!" Und so habe ihr Freund Philipp beim Ratschen über Kleider den Satz zugeworfen: "Dann schnitze halt mal so etwas." Das war die Geburtsstunde der Tennissocke.

Ein Holzunterhöschen mit Menstruationsblut beschämt manchen Ausstellungsbesucher

Nun ist es ja nicht so, dass Jessica Strixner an der Isar spazieren ginge und nach einem geeigneten, vorgeformten Holzstück Ausschau hielte. Ihre Kunst besteht vor allem darin, aus einem toten Stück Holz was lebendiges zu gestalten, aus dem harten Material dem Anschein nach Flauschiges zu schaffen, wozu auch die kunstvolle Bemalung des Schnitzwerks gehört.

So kauft sie also bei einem Spezialhändler in Leipzig das Holz in Blöcken, meist Linde oder Robinie, den Kubikmeter für etwa 500 Euro netto, mindestens zwei Jahre gelagert, "sonst wird das Holz spröde". Dann wird die Restrinde abgeschnitten, das Holz mit dem Hobel abgezogen, wenn nötig verleimt, "und nach zwei, drei Tagen kann ich zum Schnitzen anfangen". Da ist aber die wichtigste Vorarbeit schon geleistet: Die Recherche des Faltenwurfs und die exakt gezeichnete Skizze (dass Jessica Strixner zeichnen kann, hat sie übrigens mit einem köstlichen "Wiesn Wimmelbuch" bewiesen, erschienen im Allitera Verlag). Und so hängt derzeit zum Beispiel ein echter Friesennerz über einem Stuhl, als Modell für den Faltenwurf von der Kapuze bis zum Saum. "Man sieht es zwar nicht gleich, wenn ein Faltenwurf nicht stimmt. Aber man spürt, dass da etwas nicht stimmt." Es weckt Jessicas Strixners Kunst eine ganz spezielle Art von Suspense, man muss die Tennissocke nicht anfassen, weil man weiß, dass sie aus Holz ist. Trotzdem würde man sie am liebsten sofort über den Fuß streifen.

Und dann zeigt Jessica Strixner noch ein paar Köstlichkeiten aus der Kiste. Einen BH, wie er vielleicht am Haken im Badezimmer hängen könnte. Ein Paar Wienerwürstchen, genauer gesagt, eineinhalb Würstchen, denn eines ist angebissen, an dieser Stelle glänzt der Senf, denn er ist aus Gold. Zum Reinbeißen! "Aber auch ein bisschen zum Nachdenken darüber, wie gut's uns geht", sagt Jessica Strixner. Dann kommt ein Satinunterhöschen zum Vorschein, mit kunstvoll gearbeiteter Borte, ein ganz offensichtlich gebrauchtes Unterhöschen, und noch eines mit Menstruationsblut, natürlich nicht echtem, sieht nur so aus. Wie die gebrauchte Tennissocke. "Es ist interessant", sagt die Künstlerin, "dass sich bei einer Ausstellung die Leute an so was nicht recht rantrauen, als würden sie sich schämen." Dabei will sie eigentlich "nur weibliche Flüssigkeit" gesellschaftsfähig machen. Ein Statement auch das. Wie die Tennissocke. "Die war ja bis vor kurzem so was von uncool! Heute kann man sie wieder tragen."

Porträt: Jessica Strixner hat mit ihren Werken zwischen Bomberjacke und Friesennerz ein echtes Alleinstellungsmerkmal geschaffen: geschnitzte Klamotten.

Jessica Strixner hat mit ihren Werken zwischen Bomberjacke und Friesennerz ein echtes Alleinstellungsmerkmal geschaffen: geschnitzte Klamotten.

(Foto: Jessica Strixner)

Und wie kam die Tennissocke dann in die ARD-Tagesthemen? Nun, ein Journalist des Bayerischen Fernsehens sah Jessicas Socken und anderes, fand diese Kunst sehr bemerkenswert und drehte einen Beitrag für den BR. Irgendwer fand diesen samt Inhalt ebenfalls bemerkenswert und bot ihn den Tagesthemen an. Und dort saß womöglich ein Verantwortlicher, der in früher Jugend seine Tennissocken auch nicht immer aufgeräumt hat. So jedenfalls könnte es gewesen sein.

Am Schluss holt Jessica Strixner aus der Kiste noch eine Banane hervor. Nicht eine ganze, nur die Schale. Und legt sie auf den Boden. Es warnt eine innere Stimme: Vorsicht! Man könnte darauf ausrutschen.

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