Pop mit Anspruch:"Die Sängerinnen sind alle halb nackt"

Erst Marienhof-Sternchen, dann Kritiker-Liebling: Die Frontfrau der "Brazilian Girls" aus New York ist eine Münchnerin - und zu Gast in ihrer alten Heimat.

Oliver Hochkeppel

Sie hätte es sich in München bequem einrichten können. Ende der neunziger Jahre war Sabina Sciubba aus Allmannshausen am Starnberger See dabei, als Jazzsängerin zur Hausmarke zu werden: Den Förderpreis des Kulturreferats der Landeshauptstadt hatte die bildhübsche Deutsch-Italienerin ebenso gewonnen wie einen Tassilopreis der SZ, Kritiker griffen für ihre Auftritte in der Unterfahrt oder im Café Giesing zu Superlativen: "echter Hammer" oder "sündhaft gut", so las sich das.

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(Foto: Foto: Muffatwerk)

Solide Medienkarriere

Selbst in modernistischen Designer-Opern wie Gerd Baumanns "Nyx" machte sie eine gute Figur, und dann war da noch die Sache mit dem "Marienhof": 40 Folgen lang durfte - oder musste - sie in der Daily Soap eine karrieregeile Rocksängerin mimen, die ihren süßen Boyfriend für einen schmierigen Produzenten verlässt. Der Weg zu einer soliden Medienkarriere schien gepflastert.

Doch einer der schönsten und variabelsten Stimmen, die diese Stadt je hervorbrachte, war München nicht genug. Vielleicht kam das hiesige Revival des Vokaljazz einen Tick zu spät, vielleicht war es ihr stets überkritisches Naturell, das sich mitunter im "eigenen Ding" verrannte, wahrscheinlich aber lag es an Sciubbas chronisch rast- und ruhelosem Geist.

Seit sie mit sechs Jahren aus Italien nach Bayern gekommen war - mit dem entsprechenden Kulturschock -, wandelte sie stets auf verschlungenen Pfaden. Mal studierte sie eine Zeitlang an der Musikhochschule Graz, mal schmiss sie das Richard-Strauss-Konservatorium, dann wieder pendelte sie zwischen München, Paris und ihrer Geburtsstadt Rom, wo sie zwischendurch den "Concorso Internationale di Musica Libera" gewann.

Als das neue Jahrtausend in Sicht war, zog Sciubba ebenso kurzentschlossen nach Südfrankreich, wo ihre Mutter lebt.

"Die Sängerinnen sind alle halb nackt"

Ein gutes Jahr später war sie aus Münchner Sicht endgültig verschollen. Eigentlich hatte sie nur ein paar Wochen in New York Kontakte knüpfen und Eindrücke sammeln wollen. Doch sie blieb im "Big Apple". Die erste Zeit war hart: Gute Sängerinnen sind dort keine Mangelware, horrende Mieten mussten ertingelt werden, der Schock des 11. Septembers trieb Sciubba einige Zeit nach Brasilien. Schließlich aber zahlte sich die Standfestigkeit und Kontaktpflege aus.

Sie hatte sich mit dem argentinischen Keyboarder Didi Gutman zusammengetan und war eine Art Haussängerin des East-Village-Szeneclubs "NuBlu" geworden. Bei den sonntäglichen Jamsessions stießen der Bassist Jesse Murphy und Drummer Aaron Johnston dazu, die unter anderem bei Harry Belafonte und John Scofield gearbeitet hatten, man verstand sich, und aus wilden Improvisationen formte sich langsam ein Bandkonzept.

Man nannte sich Brazilian Girls - ein Scherz natürlich, bei nur einem weiblichem Mitglied und nicht einem aus Brasilien. Eines Tages saß der Produzent von Philip Glass im Publikum, war von dem Scherz sehr angetan und nahm eine Mini-CD mit ihnen auf. Die wiederum bekam Ron Goldstein in die Finger, der Chef des großen Verve-Labels. Ein halbes Jahr später, im Februar 2005, lag das erste Album in den Läden - und lief prächtig.

Pralle Großstadt-Texte

Noch besser lässt es sich mit der neuen Scheibe "Talk To La Bomb" an. Dabei ist die Musik schwerer denn je einzuordnen und deutlich aggressiver. Elektropop der Achtziger mischt sich mit Acid Jazz und Chanson, durchzogen von Latin-, Punk- und Funkfetzen oder auch mal einem Tango-Sample. Mal erinnern diese Brazilian Girls an Stereolab, mal an Everything but the Girl.

Sciubba singt - was die Labelverantwortlichen schlaflose Nächte kostete - ihre prallen Großstadt-Texte ("Pussy Pussy Marihuana") in fünf Sprachen, mitunter alle in einem Song. Mindestens ebenso exaltiert ist ihr Bühnenoutfit: Glitter-Hosenanzüge oder gar ballonartige Gewänder trägt sie da, Hut-Ungetüme und wilde Frisuren, dazu unvermeidlich riesige Sonnenbrillen, wenn sie ihre olivgrünen Augen nicht gleich hinter Klappen verbirgt oder mit Tüchern verbindet. Gerne erläutert Sciubba, gegen was diese spleenige Show gerichtet ist: "Das Schlimme an der Musik ist heute, dass nichts offen gelassen wird. Die Sängerinnen sind alle halb nackt, alles muss gezeigt werden, jeder Text muss eindeutig sein."

Eigentlich ein europäischer Standpunkt, wie ja auch die Musik eher nach Paris oder London als nach New York klingt. Trotzdem, vielleicht auch gerade deshalb liegt zumindest die US-Ostküste den Brazilian Girls derzeit zu Füßen: Die Kritiker überschlagen sich, unlängst durfte das Quartett bei David Letterman auftreten. Jetzt soll mit Stationen in den drei Millionenstädten Deutschland erobert werden.

Es könnte also eng werden beim Auftakt im Café Muffathalle, wenn das ehemalige Münchner Kindl Sabina Sciubba am Mittwoch Abend (28. Februar, Beginn 21 Uhr, Zellstraße 4) als angehender Pop-Star heimkehrt.

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