Gerade wird viel über den neuen 45-jährigen Gitarristen Simon McBride von Deep Purple geredet (23. Oktober, Olympiahalle), wie essentiell der sei für das Aufblühen dieser fast 60 Jahre Hardrock-Haudegen; dass er den Hammond-Organisten Don Airey wieder zu brachialen Sound-Duellen anstachele und den Bassisten Roger Glover und Drummer Ian Paice mit seinen Riffs in den Hintern trete.
Das erinnert an den großen Pop-Erklär-Song der deutschen Band Kante „Die Summe der einzelnen Teile“: „Wir haben Gitarren / Das Klavier und den Bass / Wir haben das Schlagzeug / Den Gesang und all das ...“ Ach so, ja, der Sänger, Ian Gillan, der darf auch noch mitmachen, auf die Musik texten und sich mit ergrauten Stimmbändern räuspern, aber an die Fünf-Oktaven-Höchstleistung von „Child in Time“ anno 1970, da komme er nicht mehr hin, sei ja auch nicht so wichtig ...
Hallo?! Natürlich ist der Gesang wichtig. In einem Pop-Genre ist er sogar das Einzige, was zählt. Nämlich im A-cappella-Fach. Das sind die (in den meisten Fällen) Männer-Gesangsvereine mit den lustigen Texten und ebensolchen Namen (wie Terzinfarkt, 22. November, oder Lehrer haben Freizeit, 30. November, jeweils im Spectaculum Mundi), wo virtuose Stimmen auf allen Frequenzen ganze Bands, ja ganze Orchester ersetzen. Derzeit läuft Vokal Total, viele Jahre lang das größte Festival seiner Art der ganzen Galaxis; weil die Chefin Romy Schmidt nach mehr als 30 Jahren etwas kürzertreten wollte, aber doch nicht loslassen kann, ist es etwas zusammengeschnurrt.
Und doch holt die Vokaholikerin wieder einen ganzen Haufen „Alte Bekannte“ zusammen. Alte Bekannte heißt zum Beispiel eine Gruppe, die einst als Wise Guys bekannt war und dank Gute-Laune-Singalongs wie „Es ist Sommer“ Open-Airs vor Zigtausenden spielte, in der Kongresshalle dürfte es also voll werden (10. Oktober). Auch bei dem kabarettistisch begabten Duo Die Feisten (einst das Duo Ganz schön Feist) am 9. November in der Kongresshalle, beim Niederländischen Cover-Wunder Rock4 (16. November, Spectaculum Mundi) oder bei den Chören Voices in Time (24. November) und Robins Choruso, A Cappella Company und Soul Food Delight (Technikum, 1. Dezember) zählt nur das „beste Instrument der Welt: die menschliche Stimme!“
Natürlich trägt auch bei vielen anderen Konzerten in diesem Münchner Pop-November vor allem die Stimme: Bei Michael Schulte zum Beispiel. Der wurde 2012 Dritter beim Sängerwettstreit „The Voice of Germany“, trat dann für Deutschland beim ESC an (und wurde sensationell Vierter), und trotzdem (muss man fast sagen) ist er immer noch einer der wenigen Popstars mit Erfolg und Format in diesem Land (4. November, Muffathalle).
Oder Bradley Simpson. Der war einst Leadsänger der Britrockstars The Vamps, nun ist er solo und bei seinen „tagebuchartigen Schnappschüssen“ wie „Cry At The Moon“ noch mehr zum Heulen aufgelegt (28. Oktober, Backstage). Die junge jamaikanisch-chinesisch-stämmige Griff, die just den Brit-Award als Rising Star erhielt, mit Megastars wie Taylor Swift verglichen wird und Coldplay und Ed Sheeran begleiten durfte, singt sich am 7. November in der Theaterfabrik ihren Liebeskummer von der Seele. Wahre Wunder sagt man dem Organ von Carminho nach, Portugals neuer Fado-Diva. „Unverfälscht und individuell, traditionell und neu zugleich“ sei ihr Fado, heißt es, das Wichtigste daran, ihre Stimme: „voller Sehnsucht, emotionaler Tiefe, Eleganz und Würde“, die „übersteigt alle Dimensionen“ (30. November, Prinzregententheater).